Frage an Ahmet Iyidirli von Bruno J. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Meine Frage bezieht sich ebenfalls auf das Thema der Vorgänge in den Jahren 1915/16 im osmanischen Reich. Ich möchte aber nicht die allgemeine Frage nach Entschädigung aufwerfen sondern spezieller fragen, ob Sie die in dieswem Jahr mit großer Mehrheit im Bundestag verabschiedete Resolution zu dem Thema unterstützen und ihr als MdB zugestimmt hätten. Halten Sie den Text dieser Resolution (in dem meines Wissens nicht von Genozid sondern von "organisierten Massakern" gesprochen wird) für ausgewogen und angemessen? Und wie beurteilen Sie die zurückweisende Reaktion der türkischen Regierung? Ich weiß, daß Sie kein Repräsentant dieser Regierung sind und möchte Sie auch nicht zu einem solchen machen, würde mich aber dennoch für ihre Haltung in dieser Frage interessieren.
Mit freundlichen Grüßen
Bruno Jahn
Sehr geehrter Herr Jahn,
vielen Dank für Ihre Frage. Die von Ihnen gestellten Fragen betreffen ein Thema, das sehr ernst und sensibel ist und seriös nicht mit einigen Sätzen beantwortet werden kann. Ich bedauere den sinnlosen Tod und das Leiden der Menschen und spreche den Nachkommen mein tiefstes Mitgefühl aus.
Zu Ihrer Frage, ob ich die Resolution unterstützt bzw. ihr zugestimmt hätte, muss ich Ihnen sagen, dass ich mir gewünscht hätte, bereits im Bundestag gewesen zu sein, da mir dieses Thema am Herzen liegt. Ich denke, dass ich durch meinen Hintergrund als Migrant bestimmt dazu hätte beitragen können, dass die integrative Komponente stärkere Berücksichtigung gefunden hätte. Als Kandidat für den Deutschen Bundestag habe ich natürlich Respekt vor den dort gefassten Beschlüssen. Als Mitglied der SPD habe ich ebenfalls Respekt vor den Entscheidung meiner Parteigenossen. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich als Abgeordneter im Deutschen Bundestag dafür einsetzen werde, dass wir als Deutsche unserer besonderen Verantwortung gegenüber der Türkei und Armenien dadurch gerecht werden, dass wir all unsere Kraft dafür einsetzen, damit in Zukunft eine nachbarschaftliche Atmosphäre entsteht, wie wir sie mit unseren Nachbarn pflegen.
Zu einer Zeit da sich die benachbarten Staaten annähern und Gespräche über ihre Vergangenheit führen um die Zukunft zu gestalten, ist es meines Erachtens wichtig, diese darin zu unterstützen. Daher begrüße ich die vom türkischen Ministerpräsidenten initiierte Einrichtung einer bilateralen türkisch-armenischen Historiker-Kommission. Die Türkeipolitik von Bundeskanzler Gerhard Schröder halte ich für die einzig richtige und mögliche, um die Türkei auf dem Weg in ein Europa zu begleiten, das in Zukunft auch weltpolitisch immer mehr Verantwortung übernehmen wird. Dagegen sind die in immer neuen Gewand daherkommenden Parolen „EU ohne Türkei“ so gestrig und überholt, dass sie nicht einmal in der Union Mehrheiten finden. Im Wahlkampf wird leider von verschiedener Seite eine verkürzte und auf Konfrontation ausgerichtete Diskussion geführt, was ich für falsch halte, da nicht nur die historische Chance der Aussprache und Versöhnung erschwert, sondern auch integrationsfeindliche Stimmung für die in unserem Land lebenden Menschen nicht-deutscher Abstammung erzeugt wird.
Ich danke Ihnen für das mir entgegengebrachte Vertrauen und bin jederzeit gerne bereit, Ihnen meine Standpunkte – auch zu anderen Themen – zu erläutern.
Mit freundlichen Grüßen
Ahmet Iyidirli