Frage an Ahmet Iyidirli von Carsten N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Iyidirli,
könnten Sie mir einen oder zwei wichtige Punkte nennen, in denen sich die Integrationspolitik, die Sie vertreten, in Inhalt und Durchführung von den Positionen Ihres Gegenkandidaten von den Grünen unterscheidet?
Ferner interessiert mich bei Direktkandidaten von Parteien auch, in welchen Positionen sie von der Mehrheitsmeinung in Ihrer Partei abweichen - und wie sie damit umgehen. Denn schließlich hat auch die beste Partei nicht immer Recht. Wenn Sie Zeit hätten, würde ich mich freuen, wenn Sie mir das für Ihren Fall an einem kurzen konkreten Beispiel (vielleicht auch aus Ihrer bisherigen politischen Arbeit) erläutern könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Niemann
Sehr geehrter Herr Niemann,
sie können sich sicher vorstellen, dass ich als Deutscher mit Migrationshintergrund einige Zeit damit verbracht habe, Positionen zu Integration von allen Parteien gelesen habe. Ich habe im laufe der letzten Jahre den Eindruck gewonnen, dass alle Positionen egal von wem, sich auf Überschriften beschränken und das auch diese Überschriften / Schlagworte unabhängig von der Lebenswirklichkeit aufgestellt worden sind. Die Überschrift Multikulti ist wohl die am meisten genutzte Schlagzeile, sie beschreibt eher einen Zustand, denn ein politisches Konzept in dem ein Wertesysteme durchdekliniert worden sind.
Gerade in Friedrichshain-Kreuzberg ist sichtbar, dass dieses Land ein Einwanderungsland ist. Migranten leben hier in der 3 Generation und ein Großteil von ihnen ist hier heimisch geworden. Ich gehöre ebenfalls dazu. Damit sich Gebiete wie unser Wahlbezirk positiv verändern und entwickeln können, ist die Teilhabe an dieser Gesellschaft, die Chancengleichheit in der Bildung, die Freiheit der Lebensgestaltung massiv auszubauen. Ich stehe dafür, dass Veränderungen möglich ist, dass die politische Einflussnahme, Mitgestaltung bedeutet.
Die Grundlage für Integration, für Teilhabe ist Chancengleichheit in der Bildung. Davon sind wir noch weit entfernt. Es ist in unserem Land immer noch so, dass das Bildungsniveau „vererbt“ wird. Die mangelnde Bildung ist für große Teile der Bevölkerung das größte Integrationshindernis. Hier reichen bisherige Anstrengungen einfach nicht aus.
Das beste Beispiel für mein Abweichen von der sog. Mehrheitsmeinung ist Hartz:
In Friedrichshain-Kreuzberg ist jeder Vierte arbeitslos, daran haben auch die Hartz-Gesetze nichts geändert.
Das Grundproblem in unserem Bezirk ist:
1. zu viele Menschen haben keinen Schulabschluß oder einen sehr niedrigen Schulanschluß
2. Es gibt eine viel zu hohe Nachfrage an Arbeiten für Geringqualifizierte, als Angebote.
3. Generell gibt es zu wenig Ausbildung für bildungsferne Menschen
4. Nicht sehr wenige Familien in der 4. bzw. 3 Generation leben ausschließlich nur von Transferleistungen.
Wir brauchen hier gar nichts neues zu erfinden, wir brauchen nur nach Großbritanien zu schauen, da gab es genau für diesen Personenkreis einen geschlossenen 3. Arbeitsmarkt, mit hochqualifizierten Ausbildern. Das mit dem Ziel, das wenigstens die darauf folgende Generation weiß, was Freiheit und Teilhabe bedeutet, nämlich zu wählen wo und wie man leben will. Hartz IV hilft hier tatsächlich kein Stück weiter. Hartz IV macht auch prinzipiell nur dann Sinn, wenn es Arbeitsplätze in ausreichendem Maße gibt. Es gibt keine Arbeitsplätze. HartIV das Fordern und Fördern hat viel mit Zynismus und weniger mit Realität zu tun.
Mit freundlichen Grüßen
Ahmet Iyidirli