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Agnieszka Brugger
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Frage von Rainer L. •

Frage an Agnieszka Brugger von Rainer L. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Brugger,

wie ist Ihre persönliche Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen und welche Chancen sehen Sie für dessen Einführung?

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Locke

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Locke,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Ich habe sehr große Sympathie für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, weil es eine Antwort ist auf die soziale Spaltung unserer Gesellschaft und auf die Prozesse, die unsere Arbeitswelt verändert haben und weiterhin verändern werden. Einkommen und Vermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt, viele Menschen können, auch wenn sie Arbeit haben, nicht mehr von dieser leben. Statt Armut effektiv zu bekämpfen, hat die Politik zu lange zugeschaut, wie die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klafft. Die Angst vor Armut reicht heute bis in die Mitte der Gesellschaft hinein und die wachsende Kinderarmut ist einer der größten Gerechtigkeitsskandale unserer Zeit. Um der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft wirksam zu begegnen, halte ich das bedingungslose Grundeinkommen für den richtigen Weg, denn damit würde in Deutschland ein individueller Rechtsanspruch etabliert, ein Leben in Würde und Freiheit sowie im Rahmen des soziokulturellen Existenzminimums zu führen.

Meiner tiefen Überzeugung nach hat jeder Mensch ein Recht auf ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben. Die bisherige Praxis in der Sozialpolitik – insbesondere die von Hartz IV – verstößt allerdings vielfach gegen diese Rechte. Das Grundeinkommen verbindet dagegen die Freiheit jeder und jedes Einzelnen mit der Solidarität innerhalb einer Gesellschaft. Entwürdigenden Bedarfsprüfungen und unmenschlichen Sanktionsmaßnahmen setzt es Vertrauen, Teilhabe und Chancen entgegen. Es schafft Freiheit und entfaltet Kreativität. Das Grundeinkommen ist natürlich kein Allheilmittel für alle gesellschaftlichen Probleme – flankierend brauchen wir vor allem eine Bildungsreform, den Mindestlohn, die BürgerInnenversicherung, eine verlässliche soziale Infrastruktur und eine gerechte Steuerpolitik.

Das Grundeinkommen ist für mich eine überzeugende Idee und eine erstrebenswerte Vision, für die ich mich weiterhin einsetzen und engagieren werde. Ein so weitreichendes Projekt kann aber natürlich nicht auf Knopfdruck verwirklicht werden. Die dafür notwendige Anpassungen haben unterschiedliche Geschwindigkeiten. So schnell wie möglich muss beispielsweise der Hartz IV-Regelsatz angehoben werden, wir brauchen eine individualisierte soziale Sicherung und es muss Schluss sein mit teurer Bürokratie und menschenunwürdigen Repressionen. Um der wachsenden Kinderarmut zu begegnen, müssen wir eine Kindergrundsicherung einführen, und um Altersarmut zu verhindern, brauchen wir eine Garantierente. Im Gesundheits- und Pflegebereich ist der Einstieg in die solidarische BürgerInnenversicherung ein längst überfälliger Schritt. Diese und andere Maßnahmen sind für sich genommen schon gute Schritte, ich betrachte sie aber zugleich auch als Bausteine auf dem Weg hin zu einem Grundeinkommen. Wenn wir diese konsequent angehen und umsetzen, wird aus meiner Sicht auch ein gleitender Einstieg in das Grundeinkommen möglich.

Es gibt mittlerweile bei allen derzeit im Bundestag vertretenen Parteien BefürworterInnen eines Grundeinkommens, aber bisher sind sie jeweils in der Minderheit. Wichtig ist zudem auch, die in der Diskussion stehenden Modelle genau zu betrachten. Nicht alle Konzepte sind überzeugend und werden den oben genannten Ansprüchen gerecht, manche stellen sogar einen Rückschritt zur jetzigen Situation dar.

Ich werde jedenfalls weiterhin mit der wachsenden Bewegung für die Idee eines Grundeinkommens werben – nicht nur in meiner Partei, sondern auch in Politik und Gesellschaft insgesamt.

Mit freundlichen Grüßen

Agnieszka Brugger

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