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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Anna W. •

Frage an Agnieszka Brugger von Anna W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Malczak,

mein Name ist Anna Wehrheim und ich bin Schülerin der 12 Klasse des Gymnasiums am Römerkastell in Alzey. Im Rahmen meiner Facharbeit "Von der Politikverdrossenheit der Bürger zur Bürgerverdrossenheit der Politiker- Befindet sich die repräsentative Demokratie in der Krise?" beschäftige ich mich unter anderem mit der sich wandelnden Protestkultur in unserem Land und interessiere mich deshalb für Stimmen von Bürgern und Politkern zu ihrem subjektiven Empfinden des Verhältnisses von den Regierenden zu den Regierten.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich in meiner Arbeit unterstützen könnten, indem Sie den angehängten Fragebogen beantworten.
Schon jetzt vielen Dank für Ihre Zeit und Mühe.

Mit freundlichen Grüßen

Anna Wehrheim

1) Wie bewerten Sie die aktuelle Protestkultur in Deutschland, im Hinblick auf die Demonstrationen gegen Stuttgart 21 und die Proteste gegen Castortransporte?

2) Wie bewerten Sie die momentan praktizierte Kommunikation zwischen Parlament und Öffentlichkeit?

3) Was kann Ihrer Meinung nach getan werden, um diese Kommunikation in Zukunft aufrechtzuerhalten, beziehungsweise zu verbessern?

4) Halten Sie persönlich Volksentscheide auf Bundes- und/ oder Länderebene für sinnvoll?

5) Haben Sie alternative Vorschläge, die Bürger besser in den politischen Entscheidungsprozess einzubinden und die Akzeptanz der Bevölkerung für bereits getroffene Entscheidungen zu erhöhen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Liebe Frau Wehrheim,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Das Thema „Demokratie und BürgerInnenbeteiligung“ ist in den vergangenen Monaten von den Bürgerinnen und Bürgern selbst auf die politische Tagesordnung gesetzt worden. Ich freue mich, dass auch Sie sich im Rahmen Ihrer Facharbeit näher mit diesem Thema auseinandersetzen möchten. Dabei darf ich Ihnen viel Erfolg wünschen und hoffe insbesondere, dass meine Antworten hilfreich und interessant für Sie sein können:

1) Wie bewerten Sie die aktuelle Protestkultur in Deutschland, im Hinblick auf die Demonstrationen gegen Stuttgart 21 und die Proteste gegen Castortransporte?
Als grüne Abgeordnete aus Baden-Württemberg habe ich natürlich sowohl die Proteste gegen Stuttgart 21 als auch gegen die Castortransporte intensiv verfolgt und mich auch selbst aktiv an ihnen beteiligt. Die Bürgerinnen und Bürger haben sich selbstbewusst zu Wort gemeldet, weil die Politik sie eben nicht angemessen an getroffenen Entscheidungen beteiligt hatte. Sie wollten es nicht akzeptieren, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Gemeinsam und aus guten Gründen sind deshalb so viele Menschen für ihre Meinung auf die Straße gegangen und haben sich zu einer echten Bürgerprotestbewegung zusammengefunden. Sie haben bunt, kreativ und friedlich von einem fundamentalen Grundrecht in unserem demokratischen Rechtsstaat Gebrauch gemacht. Das ist für mich deshalb beeindruckend, weil ich es schätze, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger in die Politik einmischen und ihre Ideen und Meinungen einbringen. Eine solche Protestkultur kann ich als überzeugte Demokratin nur begrüßen: Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus, sagt schließlich unser Grundgesetz.

2) Wie bewerten Sie die momentan praktizierte Kommunikation zwischen Parlament und Öffentlichkeit?
Bei dieser Frage muss man im Hinterkopf behalten, dass „das Parlament“ aus dem Plenum, aber auch aus fünf Fraktionen und zurzeit 621 Abgeordneten besteht. Es ist die Aufgabe jeder Fraktion und jeder Abgeordneten bzw. jedes Abgeordneten Politik zu erklären, Entscheidungen transparent zu machen und den Bürgerinnen und Bürgern zuzuhören. Und das gelingt unterschiedlich gut. Ich habe beispielsweise das Gefühl, dass die Fraktionen der Koalition nicht gut erklären konnten, warum ihre Kanzlerin sich für ein Moratorium bei der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke entschieden hat. Meine Fraktion und auch ich selbst bekommen regelmäßig sehr viele Anfrage und bemühen uns um gute Antworten. Mir persönlich ist es ein Anliegen, mir dafür Zeit zu nehmen, genau zu lesen bzw. zuzuhören und sie gründlich und verständlich zu beantworten. Wenn man das tut, bekommt man auch oft positive Rückmeldungen, selbst dann, wenn die Fragensteller nicht unbedingt die eigene Meinung teilen. Insgesamt machen Stichworte wie „Politikverdrossenheit“ und „Wutbürger“ aber deutlich, dass die Kommunikation zwischen Politik und Bürgerinnen und Bürgern verbesserungswürdig ist.

3) Was kann Ihrer Meinung nach getan werden, um diese Kommunikation in Zukunft aufrechtzuerhalten, beziehungsweise zu verbessern?
Kommunikation darf keine Einbahnstraße sein, das gilt besonders in der Politik. Im Gegenteil lebt die politische Auseinandersetzung geradezu vom offenen Austausch und dem lebhaften Diskurs: Das Ringen um die besten Argumente, die tragfähigsten Lösungen und das sorgfältige Abwägen von Alternativen sind wesentliche Merkmale der politischen Kommunikation. Ich bin mir dabei sicher, dass uns das Internet auch in diesem Bereich viele neue Möglichkeiten eröffnet hat und noch weitere eröffnen wird. Ich selbst versuche neben dem persönlichen Gespräch auch über die sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter für die Bürgerinnen und Bürger ansprechbar zu sein. Aber auch E-Mails, Briefe und abgeordnetenwatch.de sind wichtige Instrumente. Es hat mich beispielsweise auch gefreut, dass sich die Enquete-Kommission "Internet und Digitale Gesellschaft" dafür entschieden hat, ein Beteiligungstool für Bürgerinnen und Bürger einzusetzen, das unter http://www.enquetebeteiligung.de erreichbar ist. In der digitalen Gesellschaft muss es darum gehen, die „ePartizipation“ weiter auszubauen und zu fördern. Darüber darf man aber nicht vergessen, dass die klassischen Orte der Kommunikation wie zum Beispiel der Infostand und Diskussionsveranstaltungen eine hohe Bedeutung haben. Es ist wichtig, dass man sich dort Zeit für das persönliche Gespräch nimmt.

4) Halten Sie persönlich Volksentscheide auf Bundes- und/oder Länderebene für sinnvoll?
Ich bin überzeugt davon, dass es längst überfällig ist, den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit einzuräumen, sich direkt und aktiv an politischen Entscheidungen zu beteiligen – auch wenn gerade kein Wahltag ist. Wir Grüne setzen uns deshalb für die Einführung von Volksbegehren, Volksinitiativen und Volksentscheiden auf Bundesebene ein. Dazu haben wir erst kürzlich Gesetzentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes in den Bundestag eingebracht. Ich möchte, dass die Bürgerinnen und Bürger direkter in politische Vorhaben einbezogen sind. Wichtige Sachfragen soll die Bevölkerung – rechtlich bindend – selbst entscheiden können. Das beginnt für mich vor Ort in den Kommunen, gilt aber genauso für die Landes-, Bundes- oder Europaebene. Direkt-demokratische Elemente sind aus meiner Sicht auf allen politischen Ebenen eine wichtige Ergänzung und eine große Bereicherung für politische Entscheidungsprozesse.

5) Haben Sie alternative Vorschläge, die Bürger besser in den politischen Entscheidungsprozess einzubinden und die Akzeptanz der Bevölkerung für bereits getroffene Entscheidungen zu erhöhen?
Es ist aus meiner Sicht dringend notwendig, politische Fragestellungen von Anfang an transparent zu gestalten und den Bürgerinnen und Bürgern umfassende Informationen, direkte Mitsprachemöglichkeiten und echte Beteiligung zu ermöglichen. Es geht aus meiner Sicht deshalb um neue demokratische Beteiligungsformen und um neue politische Diskussions- und Entscheidungsformate. Dazu gehört die frühzeitige Einbeziehung von Betroffenen ebenso wie die Einrichtung von Runden Tischen, die rechtzeitige Einleitung von ergebnisoffenen Schlichtungsverfahren oder der Einsatz moderierter Bürgerdiskussionen. Eine frühestmögliche Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in Zielbestimmungen, Planungsprozesse und die ehrliche Diskussion über Alternativen, das ist meine Vorstellung von einer modernen Demokratie. So können politische Planungs- und Entscheidungsprozesse demokratischer und zugleich effizienter gemacht werden. Ein neuer, partizipativer Politikstil leistet auch einen wichtigen Beitrag dafür, verloren gegangenes Vertrauen in die Politik wiederherzustellen.

Mit freundlichen Grüßen
Agnieszka Malczak

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