Nebeneinkünfte veröffentlicht: Bundestagsabgeordnete kassierten 24,8 Millionen Euro nebenher

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Berlin/Hamburg, 6. Juni 2023 – Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben seit Beginn der Legislaturperiode im Herbst 2021 meldepflichtige Einnahmen von mindestens 24,8 Millionen Euro erhalten. Das berichtet die Transparenzorganisation abgeordnetenwatch.de, die gemeinsam mit dem SPIEGEL die Selbstauskünfte der Parlamentsmitglieder gegenüber dem Bundestag ausgewertet hat.

Die Recherchen zeigen, dass zahlreiche Abgeordnete

  • zusätzlich zu ihrer Diät noch ein monatliches Zweiteinkommen beziehen,
  • neben ihrem Bundestagsmandat mehrere Geschäftsführungsposten ausüben,
  • hohe Summen von Konzernen erhalten haben,
  • hunderttausende Euro aus der Beteiligung an Unternehmen kassierten.

Lisa Böhm von abgeordnetenwatch.de kritisierte die außerparlamentarischen Aktivitäten zahlreicher Bundestagsmitglieder: "Es ist äußerst fraglich, ob bei allen Abgeordneten die Tätigkeit im Bundestag tatsächlich im Mittelpunkt steht".

So gibt etwa der AfD-Abgeordnete Bernd Schattner an, als geschäftsführender Gesellschafter einer Küchen- und Granitvertriebsgesellschaft monatlich 9.050 Euro zu verdienen. Zu der Frage, wie er seinen Firmenjob mit der Arbeit im Bundestag vereinbart, wollte Schattner “keine weiteren Angaben” machen.

Problematisch ist außerdem die Verbindungen in die Wirtschaft. Mehrere Abgeordnete erhalten Geld aus der Finanz- und Versicherungsbranche. Die Ideal Lebensversicherung AG überweist dem FDP-Abgeordneten Lars Lindemann jeden Monat 2.400 Euro für ein Aufsichtsratsmandat. Der FDP-Politiker gehört dem Bundestagsausschuss für Gesundheit an. Auf Anfrage zu einem möglichen Interessenkonflikt reagierte Lindemann zunächst nicht.

"Durch die Vergabe von Posten verschaffen sich Unternehmen Zugang zu politischen Entscheidungsträger:innen”, erklärte Lisa Böhm von abgeordnetenwatch.de. “Abgeordnete müssen raus aus den Aufsichtsräten und Beiräten von Konzernen."

Lange Zeit war unbekannt, was die Abgeordneten seit der Wahl im Jahr 2021 neben ihren Bundestagsdiäten erwirtschaftet haben. Die Veröffentlichung durch die Bundestagsverwaltung verzögerte sich immer wieder. abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL haben die Angaben der Abgeordneten auf der Bundestagsseite ausgewertet. In den wenigen Fällen, in denen diese noch nicht veröffentlicht waren, wurden die betreffenden Abgeordneten um Auskunft zu ihren Meldungen beim Bundestag gebeten. Außer in einem Fall lassen sich nun alle Nebeneinkünfte nachvollziehen. Demnach meldeten 286 der 736 Abgeordneten gegenüber der Bundestagsverwaltung veröffentlichungspflichtige Einnahmen (38,9 Prozent). Bei FDP und der Union ist der Anteil mit 55 bzw. 51 Prozent am höchsten. Mit deutlichem Abstand folgen SPD (37 Prozent), Grünen (25 Prozent), Linke (23 Prozent) und AfD (19 Prozent).

Die höchsten Summen meldeten folgende Abgeordnete:

  • Sebastian Brehm (CDU/CSU): 3,4 Millionen Euro aus Tätigkeiten als Steuerberater
  • Markus Herbrand (FDP): 3,3 Millionen Euro aus Tätigkeiten als Steuerberater
  • Alexander Engelhardt (CDU/CSU): 2,1 Mio. Euro als Inhaber einer Biomühle
  • Ophelia Nick (Grüne): 1,7 Millionen Euro, im Wesentlichen aus Gewinnbeteiligungen von Unternehmen
  • Thomas Heilmann (CDU/CSU): 1,2 Mio. Euro aus der Beteiligung an Unternehmen

Vergleichen lassen sich die Zahlen allerdings nur bedingt. Bei den Euro-Beträgen kann es sich um Einkünfte, Gewinn vor Steuern, Gewinnbeteiligungen, Umsätze oder andere Angaben handeln. Vor allem bei freiberuflich und selbstständig tätigen Abgeordneten gehen neben der Umsatzsteuer meist noch Personal- und Sachkosten ab. Nichtsdestotrotz geben die “veröffentlichungspflichtigen Angaben” Aufschluss über geschäftliche Verbindungen der Abgeordneten sowie über mögliche Interessenkonflikte. Letzteres ist zum Beispiel der Fall, wenn Abgeordnete einem Parlamentsausschuss angehören, in dem Anliegen ihrer Geldgeber:innen behandelt werden.

In der Liste der Abgeordneten mit Nebenverdiensten finden sich auch zahlreiche prominente Politiker:innen. Den Generalsekretären von CDU und SPD, Mario Czaja und Kevin Kühnert, brachten ihre Parteijobs bislang 160.000 bzw. 153.000 Euro ein. Sahra Wagenknecht von den Linken nahm aus einem Buchvertrag 720.000 Euro ein (Einkünfte insgesamt: 792.000 Euro). Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) meldete Einkünfte als Buchautor in Höhe von rund 88.000 Euro. Bei Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) sind knapp 144.000 Euro als Rechtsanwalt sowie aus "publizistischen Tätigkeiten" zusammengekommen. Gregor Gysi (Linke) zeigte gut 236.000 Euro aus Vorträgen, Unternehmensposten und der Mitwirkung an der “Rocky Horror Show” an.

abgeordnetenwatch.de begrüßt, dass seit dieser Legislaturperiode strengere Transparenzregeln greifen: "Erstmals müssen Abgeordnete ihre Einkünfte Euro und Cent genau angeben und nicht nur in groben Stufen", sagt Lisa Böhm. "Gut ist auch, dass nun Gewinne aus Unternehmensbeteiligungen transparenter gemacht werden müssen." Böhm forderte aber weitere Maßnahmen. "Die Aufsicht über die Nebeneinkünfte darf nicht bei der Bundestagspräsidentin liegen. Dass Bärbel Bas ihre Nebeneinkünfte als Aufsichtsratsmitglied eines Stahlkonzerns bei sich selbst melden muss, ist absurd." Es brauche dringend eine unabhängige Prüfinstanz.

Weiterführende Informationen

Das verdienen die Abgeordneten im Bundestag nebenher (ausführliche Analyse und Liste mit den Nebeneinkünften aller Abgeordneten)

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