Anzeigen in der FAZ: Verdeckte FDP-Werbung? Interne Mail wird zum Problem für Christian Lindner | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Anzeigen in der FAZ
Verdeckte FDP-Werbung? Interne Mail wird zum Problem für Christian Lindner
Eine 46.000 Euro teure Anzeigenkampagne hat dem Finanzministerium den Vorwurf eingebracht, Wahlwerbung für die FDP zu betreiben. Jetzt zeigt eine interne Mail: Christian Lindner war stärker involviert, als sein Ministerium zugab.
In den Tagen vor der Europawahl am 9. Juni feierte die FDP eines ihrer Markenzeichen. “Happy birthday!” lautete der Text einer Anzeige, die die Bundestagsfraktion zum 15-jährigen Bestehen der Schuldenbremse auf Instagram geschaltet hatte. “Wir sind übrigens die einzige Fraktion im #Bundestag, die dafür sorgt, dass aus den 15 Jahren noch mehr werden! 😉✔️”.
Fast zeitgleich wurde die Schuldenbremse auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) gefeiert – in zwei großformatigen Anzeigen, die am 29. Mai und am 5. Juni erschienen. Auftraggeber war diesmal nicht die FDP, sondern das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner (FDP).
Mit Steuergeld für ein FDP-Kernanliegen geworben?
Hatte das Ministerium kurz vor der Europawahl mit Steuergeldern für die FDP und eines ihrer Kernanliegen geworben?
Die renommierte Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger von der Universität Düsseldorf sah in den Anzeigen eine unzulässige Regierungskommunikation. Die Anzeigen seien im Kern ein Meinungs- oder Debattenbeitrag gewesen. Das sei „insbesondere so kurz vor einer Wahl in der Regel unzulässig“, sagte sie dem ARD-Hauptstadtstudio kurz nach Erscheinen der Anzeigen.
Schönberger ging sogar noch einen Schritt weiter. Wenn die Werbeanzeige aus dem Finanzministerium so nah am Parteiprogramm und am Auftreten der FDP sei, könne es sich unter Umständen auch um illegale Parteienfinanzierung handeln. Dafür sei aber auch entscheidend, ob FDP-Chef Christian Lindner als Bundesfinanzminister vorab von der Anzeige gewusst habe.
Finanzministerium wiegelte zunächst ab
Das Finanzministerium wiegelte damals ab. Lindner habe zwar von der Kampagnenidee gewusst, mehr aber auch nicht. "Den Vorschlag, dass das BMF an den Jahrestag 15 Jahre Schuldenbremse im Grundgesetz erinnert, kannte er", erklärte das Ministerium gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Die Umsetzung und abschließende Auswahl der Anzeigen sei durch die Kommunikationsabteilung erfolgt.
Doch an dieser Darstellung gibt es nun erhebliche Zweifel. Grund ist eine interne E-Mail aus Lindners Ministerium, die das BMF auf Antrag von abgeordnetenwatch.de nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) herausgegeben hat. abgeordnetenwatch.de stellte sie auch dem ARD-Hauptstadtstudiozur Verfügung.
"Wie am Dienstag mit Minister Lindner besprochen"
Die Mail vom 11. April zeigt eine Korrespondenz zwischen Lindners Ministerium und der Kommunikationsagentur Boros. Der Leiter des Referats “Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerdialog” gibt darin den Kostenvoranschlag für die Anzeigen frei. Interessant ist der Satz unter der Freigabe: „Bei der Gelegenheit bitte ich Sie um Übersendung der beiden neuen FAZ-Anzeige Varianten, wie am Dienstag mit Minister Lindner besprochen.“
Screenshot: abgeordnetenwatch.de
Was wusste Finanzminister Christian Lindner von den Anzeigen seines Ministeriums in der FAZ? Laut dieser Mail eines Referatsleiters war er stärker eingebunden, als es das BMF dargestellt hatte.
War FDP-Chef Lindner also weitaus stärker in die Kampagnenplanung involviert, als es sein Ministerium darstellt? Hat er gar bei der Auswahl der Motive mitgewirkt?
Verfassungsrechtlerin: "Lindners Doppelrolle wird zum Problem für ihn"
Das Finanzministerium räumte auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de ein, dass Lindner mehr als nur Kenntnis von der Kampagnenidee hatte. Der Minister war bei einem Termin mit der Rahmenvertragsagentur am 9. April 2024 sogar “anwesend”, teilte das Ministerium mit. Dort sei “auch der Komplex Schuldenbremse besprochen” worden. Bei solchen Terminen gehe es um die künftigen Schwerpunkte der BMF-Öffentlichkeitsarbeit, teilweise könnten auch einzelne Ideen der Agentur vorgestellt werden.
Für die Verfassungsrechtlerin Schönberger erhärtet die Anwesenheit Lindners bei dem Agenturtermin den Verdacht der illegalen Parteienfinanzierung. Zu abgeordnetenwatch.de sagte sie: „Wenn Lindner bei einem Termin war, bei dem über die Ausgestaltung der Anzeigen gesprochen wurde, dann wird seine Doppelrolle als FDP-Chef und Finanzminister zum Problem für ihn.“ Im Wahlkampf ließen sich die Rollen dann nicht mehr genau trennen. „Insofern muss die Anzeige in FDP-Optik möglicherweise auch dem FDP-Chef zugerechnet werden.“
Ministerium lässt Fragen unbeantwortet
Den Vorwürfen muss nun die Bundestagsverwaltung nachgehen. Kommt sie zu dem Schluss, dass ein Fall von illegaler Parteienfinanzierung vorliegt, weil öffentliche Gelder für Parteiwerbung ausgegeben wurden, müsste die FDP mit einem hohen Ordnungsgeld rechnen.
Das BMF wollte sich zur konkreten Rolle Lindners nicht äußern, etwa zur Frage, ob der Minister an Vorbereitung und Konzeption der Anzeigen beteiligt war. Das Ministerium ließ außerdem unbeantwortet, ob Lindner vor dem Agenturtermin eine sogenannte Ministervorlage erhielt, also ein schriftliches Briefing, wie es bei wichtigen Terminen von Minister:innen üblich ist. Eine Ministervorlage fehlt jedenfalls in den Unterlagen, die abgeordnetenwatch.de vom BMF erhalten hat.
Linkspartei zieht wegen der FAZ-Anzeigen nach Karlsruhe
Inzwischen beschäftigen die beiden FAZ-Anzeigen zur Schuldenbremse das Bundesverfassungsgericht. Die Linkspartei hat vergangene Woche Klage gegen Lindner eingereicht, wie der SPIEGEL zuerst berichtete. Weil der Finanzminister mit Steuergeld Anzeigen in Auftrag gegeben habe, hätte er das Recht der Linkspartei auf gleiche Chancen im Parteienwettbewerb verletzt, heißt es in der Klageschrift in dem Organstreitverfahren, die abgeordnetenwatch.de vorliegt.
Das Verfassungsgericht muss nun entscheiden, ob Lindners Werbekampagne im Einklang mit Recht und Gesetz stand.
Über eines herrscht bereits jetzt Klarheit: Was die Geburtstagsanzeigen für die Schuldenbremse in der FAZ die Steuerzahler:innen gekostet haben. Auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de schreibt das BMF: “Die finalen Gesamtkosten liegen bei 46.367,74 Euro.”