Treffen mit LNG-Unternehmern

Der doppelte Olaf Scholz und die nicht vorhandenen Unterlagen

Ein Steuerberater und ein Immobilienmanager stiegen 2022 ins Millionen-Geschäft mit Flüssiggas ein. Mehrmals trafen sie sich mit Olaf Scholz und dessen Staatssekretär. Doch wie der Kontakt zustande kam, lässt sich in den Akten des Kanzleramtes nicht nachvollziehen. Das liegt an dem doppelten Olaf Scholz, der mal Kanzler ist und mal Abgeordneter.

von Martin Reyher, 13.06.2024
Bundeskanzler Olaf Scholz (links), Abgeordneter Olaf Scholz (rechts)

Bundeskanzler Olaf Scholz (links), Abgeordneter Olaf Scholz (rechts)

Am 15. September 2022 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mehrere Termine, doch einer stand in keinem offiziellen Kalender, wie die Süddeutsche Zeitung vor einiger Zeit zu berichten wusste. Morgens um neun habe sich Scholz zu einem Bürogebäude in einem schicken Potsdamer Viertel bringen lassen. Ein Vorauskommando mit Spürhund hatte den Ort zuvor inspiziert.

An jenem Morgen machte Scholz einem Mann seine Aufwartung, der groß ins Gasgeschäft einsteigen wollte: Der Steuerberater Stephan Knabe. Gemeinsam mit seinem Partner Ingo Wagner, einem Immobilienmanager, hatte Knabe die Idee, mehrere Milliarden Kubikmeter Flüssigerdgas (LNG) per Schiff nach Deutschland zu bringen, es umzuwandeln und dann in das hiesige Fernleitungsnetz einzuspeisen.

Nichts im Kalender, nichts in den Akten

Über dieses Treffen wüsste man gern mehr. Zum Beispiel, wie es zustande kam. Wie ein Neuling im deutschen Gasgeschäft an einen Termin mit Bundeskanzler Olaf Scholz gelangte?

Doch zu dem Termin fehlt nicht nur im Dienstkalender des Kanzlers jede Spur, sondern auch in den Akten des Bundeskanzleramtes. Das ist erstaunlich. Denn bei dem Treffen dürfte es um nicht weniger als um die Energiesicherheit des Landes gegangen sein.

Es ist die Zeit nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Aus Russland fließt Mitte September 2022 kein Gas mehr nach Deutschland und es steht ein kalter Winter bevor. Da kommen dem Kanzler jemand wie Knabe und sein Partner gerade recht.

Treffen mit Scholz, dann Eintrag ins Lobbyregister

Einige Monate zuvor, im April 2022, hatten die beiden Geschäftsleute die Deutsche ReGas gegründet. Was sich groß anhört, war laut SZ zunächst eine "Zwei-Mann-Kombo". Dann ging es für das junge Unternehmen ganz schnell: Im September kommt der Kanzler zum Kennenlernen vorbei. Knapp vier Wochen später trägt sich die Deutsche ReGas ins Lobbyregister des Bundestags ein – untrügliches Zeichen dafür, dass es von jetzt an weitere Treffen mit Politiker:innen geben wird. "Austausch mit politischen Entscheidungsträgern zu energiewirtschaftlichen Fragestellungen", gibt das Unternehmen als Tätigkeitsbeschreibung an

Und tatsächlich: Es bleibt nicht bei der einen Begegnung in Potsdam. Der Kanzler trifft die Geschäftsleute auch am 14. Januar 2023 in Lubmin, wo ein LNG-Terminal der Deutsche ReGas eingeweiht wird, und am 20. April 2023 in Mukran auf Rügen.

Hinzu kommen drei weitere Kontakte zwischen den LNG-Unternehmern und dem Staatssekretär und Kanzlervertrauten Jörg Kukies: am 14. Oktober 2022, 9. November 2022 und 7. Februar 2023. Das lässt annehmen, dass Scholz das LNG-Projekt zur Chefsache erklärt hatte.

Kanzleramt antwortet erst nach 10 Monaten

abgeordnetenwatch.de hat im Juli 2023 beim Bundeskanzleramt alle Unterlagen zu Kontakten mit der Deutsche ReGas beantragt. Dann dauerte es zehn Monate, bis die Regierungszentrale kürzlich eine Antwort schickte. Warum so lange, ist schwer nachzuvollziehen. Denn laut Kanzleramt befinden sich im Aktenbestand nicht allzu viele Unterlagen zu Kontakten mit der Deutsche ReGas, die man hätte sichten müssen.

Insgesamt wurden acht Vorgänge gefunden:

  • Zu drei Vorgängen hat das Kanzleramt Unterlagen an abgeordnetenwatch.de herausgegeben. Sie sind von überschaubarer Relevanz: zum Beispiel ein Einladungsschreiben an die Deutsche ReGas für ein Gespräch mit Kukies und RWE am 7. Februar 2023 im Kanzleramt.

  • Zu fünf Vorgängen hält die Regierung Unterlagen unter Verschluss. Das betrifft u.a. zwei interne Mails vom 6. Januar bzw. 6. Februar 2023 sowie Dokumente zur Eröffnung des LNG-Terminals in Lubmin am 14. Januar, wo Scholz die beiden Vertreter der Deutsche ReGas traf. Hierbei handle es sich um „interne Mitteilungen“, die nach dem Umweltinformationsgesetz nicht herausgegeben werden dürften – es sei denn, das öffentliche Interesse überwiege. Doch das sei in diesem Fall nicht gegeben, behauptet das Kanzleramt.

In dem zehnseitigen Schreiben an abgeordnetenwatch.de kommt ein Ereignis an keiner Stelle vor: Scholz’ Treffen am 15. September 2022 in Knabes Büro. Keiner der acht aufgeführten Vorgänge passt zeitlich oder inhaltlich zu diesem Treffen.

Bundeskanzler Olaf Scholz mit den LNG-Unternehmern Wagner und Knabe sowie Ministerpräsidentin Schwesig
Chefsache: Für das LNG-Projekt der beiden Unternehmer Ingo Wagner (links) und Stephan Knabe (rechts) setze sich Olaf Scholz persönlich ein – mal als Kanzler, mal als Abgeordneter (hier mit Ministerpräsidentin Manuela Schwesig am 14. Januar 2023 in Lubmin).

In manchen Momenten des Tages ist Olaf Scholz Kanzler, in manchen Abgeordneter

Dass der Scholz-Termin in den Akten des Kanzleramts keinerlei Spuren hinterlassen hat, ist angesichts der bekannten Eckdaten (Bundeskanzler trifft Unternehmer, der mit 100 Millionen Euro Kapital ins LNG-Geschäft einsteigen will) bemerkenswert. Einerseits.

Andererseits gibt es dafür eine einfache Erklärung. Und die hat mit dem doppelten Olaf Scholz zu tun.

In manchen Momenten des Tages ist Olaf Scholz Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Bei dem, was er als Kanzler dann tut oder nicht, unterliegt er einer Auskunftspflicht: Gegenüber der Opposition, gegenüber den Medien und auch gegenüber der Öffentlichkeit, die z.B. auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) Unterlagen beim Bundeskanzleramt anfordern kann.

Doch dann gibt es solche Momente, in denen aus dem Bundeskanzler Olaf Scholz der Abgeordnete Olaf Scholz wird. Als Abgeordneter muss er nicht auf Anfragen der Opposition antworten, auch nicht auf Anfragen der Presse und schon gar nicht auf Anträge der Öffentlichkeit nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Denn für Abgeordnete gilt das IFG nicht.

„Der Bundesregierung liegen zu den Inhalten des Gesprächs keine eigenen Kenntnisse vor“

Warum man im Kanzleramt angeblich nichts über das Treffen weiß, liegt daran, dass Scholz am Morgen des 15. September als Wahlkreisabgeordneter für Potsdam unterwegs war und nicht als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Anlass des Treffens sei ein "Wahlkreistermin als MdB“ gewesen, schreibt die Regierung in einer Antwort auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Matthias Hauer. „Der Bundesregierung liegen zu den Inhalten des Gesprächs keine eigenen Kenntnisse vor.“

Wann Scholz Kanzler ist und wann Abgeordneter, liegt weitgehend in seinem Ermessen. Aber natürlich gibt es klare Grenzen. So dürfte er als Mitglied des Bundestages nicht Gäste ins Kanzleramt einladen und auf Kosten der Steuerzahler:innen bewirten.

Und was sagt Scholz' Abgeordnetenbüro? Nicht viel

Wenn im Kanzleramt keine Kenntnisse über das Gespräch und dessen Zustandekommen vorliegen, dann muss es sie im Abgeordnetenbüro von Olaf Scholz geben. Zum Beispiel darüber, wann und mit welchem Anliegen ihn die Vertreter der Deutsche ReGas zum ersten Mal kontaktierten? Und ob es weitere Kontakte gab, die über das Abgeordnetenbüro liefen?

Zu diesen Fragen will Scholz nichts sagen. Auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de schickte sein Bundestagsbüro eine allgemein gehaltene Antwort. Scholz nehme regelmäßig Termine in seinem Wahlkreis wahr, die von seinem Abgeordnetenbüro organisiert würden. Bei dem Gespräch mit Knabe im September 2022 sei es „um eine Vielzahl von Themen“ gegangen. Man bitte um Verständnis, dass man bei nicht-presseöffentlichen Terminen grundsätzlich keine weiteren Einzelheiten bekannt gebe.

Abgeordneter zu sein und keiner Auskunftspflicht zu unterliegen, ist manchmal von Vorteil. Auch für einen Bundeskanzler.

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