Gerhard Schröder, Heiko Maas, Dirk Niebel: Welche Ex-Politiker:innen mit der Regierung in Kontakt standen
Mit einer Kleinen Anfrage wollte die Linksfraktion im August mehr zu den "Lobbykontakten ehemaliger Amts- und Mandatsträger zur Bundesregierung" in Erfahrung bringen. Jetzt hat die Fraktion eine Antwort erhalten, die abgeordnetenwatch.de und dem Tagesspiegel vorliegt.
In dem Schreiben der Bundesregierung sind neben Kontakten mit dem früheren Minister und Stahllobbyisten Sigmar Gabriel (s.o.) auch Termine mit zahlreichen weiteren Ex-Politiker:innen aufgeführt. So traf sich der frühere Außen- und Justizminister Heiko Maas im März 2023 mit Bundeskanzler Scholz zu einem "allgemeinen Austausch". Maas ist seit Jahresbeginn Partner bei der Anwaltskanzlei GSK Stockmann. Auf die Frage von abgeordnetenwatch.de, ob das Treffen einen Bezug zu Maas' Kanzleitätigkeit hatte, wollten sich bis zum Erscheinen des Artikels weder der Minister a.D. noch das Kanzleramt äußern.
Der frühere FDP-Minister Dirk Niebel taucht in der Regierungsantwort mehrmals auf. Niebel betreibt inzwischen eine Beratungsagentur und ist Lobbyist für den Rüstungskonzern Rheinmetall. Im Dezember 2022 traf er Wirtschaftsminister Robert Habeck am Rande einer Konferenz in Johannesburg (Südafrika) zu einem "allgemeinen Austausch". Im Mai 2022 tauschte Niebel sich mit einem Parlamentarischen Staatssekretär im Verkehrs- und Digitalministerium über "Digitalisierung, Schienenverkehr und Logistik" aus.
Erwähnung findet außerdem Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder (SPD). Schröder wird als Teilnehmer an einer Veranstaltung zusammen mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michael Kellner (Grüne), zum Thema "Fahrscheinfreier Stadtverkehr Templin" im Januar 2023 aufgeführt (Update 25.04.2024: Die Bundesregierung hat nun mitgeteilt, dass es sich bei dieser Angabe um einen Fehler gehandelt habe. Tatsächlich habe Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel an besagter Veranstaltung teilgenommen und nicht Schröder.) Bereits bekannt war eine weitere Begegnung des Ex-Kanzlers mit einem Vertreter der Bundesregierung, die weitaus brisanter war: Am 5. Januar 2022, wenige Wochen vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, traf Schröder den ehemaligen Russland-Koordinator der Bundesregierung, Johann Saathoff. Saathoff ist inzwischen Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium. Bei dem Termin sei es um "die Situation der Zivilgesellschaft in Russland" gegangen.
Manches bleibt in der Regierungsantwort allerdings im Verborgenen – zum Beispiel, in wessen Auftrag die Ex-Politiker:innen mit der Bundesregierung sprachen. In ihrer Antwort führt die Regierung etwa ein Gespräch des ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Volkmar Vogel (CDU) im Bundesumweltministerium im April 2023 auf ("allgemeiner Austausch"). Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de wurde Vogel als Vertreter der Lobbyagentur EUTOP vorstellig, für die er laut Lobbyregister als Berater tätig ist.
Auch der Auftraggeber eines anderen Lobbyisten taucht in der Regierungsantwort nicht auf. Im Februar 2023 traf sich Florian Pronold, ein ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär von der SPD, mit Bauministerin Klara Geywitz (SPD), um über die EU-Nachhaltigkeitsregeln ("ESG") zu sprechen. Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de nahm Pronold den Termin für den Lobbyverband Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) wahr, dem große Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia angehören. (Update 20. Oktober 2023: Nach Angaben des Ministeriums liegen zu dem Treffen "keine amtlichen Informationen" vor.)
Zu bestimmten Lobbykontakten will sich die Bundesregierung gar nicht äußern. Die Linksfraktion verweist in ihrer Anfrage auf "Recherchen von abgeordnetenwatch.de", wonach aktuell mehr als 100 ehemalige Abgeordnete und Regierungsmitglieder im Lobbyregister aufgeführt sind. Die Fraktion wollte wissen, welche der Ex-Politiker:innen mit der Ampel-Regierung in Kontakt standen. Dazu verweigert die Bundesregierung eine Auskunft. Dies nachzuvollziehen, sei zu aufwändig. "Bis zu 836 Stunden" würde die Beantwortung angeblich dauern.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, hält das für vorgeschoben. "Nicht unsere Fragen, sondern die wortreiche Weigerung der Bundesregierung, sie anständig zu beantworten, ist unzumutbar," schreibt er auf Anfrage. Die Regierungsantwort zeige, dass es umgehend einen exekutiven und legislativen Fußabdruck sowie eine umfassende Offenlegung von Lobbykontakten brauche. "Denn freiwillig rückt die Regierung diese Informationen offensichtlich nicht heraus."