Abgeordnete, die Funktionen in Unternehmen oder Interessenverbänden ausüben, müssen dies nach den Verhaltensregeln des Bundestags offenlegen. Verstoßen sie dagegen, drohen Ordnungsgelder bis zu einer halben Jahresdiät.
Zahlreiche Parlamentarier:innen sind ihren Transparenzverpflichtungen dennoch nicht nachgekommen, wie gemeinsame Recherchen von abgeordnetenwatch.de und ZEIT ONLINE zeigen. Sie gaben nicht an, dass sie sich in der Führungsebene einer Taiwan-nahen Organisation engagieren, in milliardenschweren Lobbyvereinen, in wirtschaftsnahen Denkfabriken oder als Beiräte in Unternehmensverbänden. Beispiele:
- Der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), FDP-Fraktionsvize Michael Theurer und der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek machten ihre Tätigkeit im Beirat der “Initiative Deutsche Infrastruktur” nicht transparent. In der Lobbyorganisation haben sich "Versicherungen, Versorgungswerke und Pensionskassen” mit einem Anlagevermögen von über 200 Milliarden Euro zusammengeschlossen. Ihren Mitgliedern bietet die Initiative "Zugang zu Netzwerken in Politik und Wirtschaft". Während Theurer und Jarzombek ihre Tätigkeiten nach einer Anfrage nachmeldeten, weigert Ramsauer sich bis heute. Im Gegensatz zur Bundestagsverwaltung, die für die Prüfung von Verstößen zuständig ist, sieht der Ex-Minister keine Veröffentlichungspflicht.
- Der Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir hatte seinen ehrenamtlichen Vorstandsposten in der “Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen” bis zur Anfrage von abgeordnetenwatch.de und ZEIT ONLINE nicht veröffentlicht. Die Lobbyorganisation bringt Wirtschaftsverbände und Unternehmen mit hochrangigen Politiker:innen zusammen, Mitglieder sind Konzerne wie BASF, Bayer sowie Lobbyverbände der Banken- und Tabakwirtschaft. Auch die CSU-Abgeordneten Stefan Müller und Reinhard Brandl machten ihre Tätigkeit im Vorstand der Strukturgesellschaft bzw. im Beirat für Sicherheit und Verteidigung erst verspätet transparent.
- Ähnlich reagierte Achim Post von der SPD, der im Vorstand des Nah- und Mittelost-Vereins mithilft, Geschäftsanbahnungen von deutschen Unternehmen im Nahen Osten zu fördern.
- Der CDU-Abgeordnete Ingo Gädechens zeigte seine Mitarbeit im Präsidium des von der Rüstungsindustrie dominierten Vereins “Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik” erst nach einer Anfrage an. Bei dem SPD-Abgeordneten Karl-Heinz Brunner ist der Präsidiumsposten noch immer nicht unter den veröffentlichungspflichtigen Angaben auf der Bundestagsseite zu finden. Bereits in der Vergangenheit hatten Abgeordnete von SPD und FDP ihre Tätigkeit für den Lobbyverein nicht kenntlich gemacht.
- Auf der Bundestagsseite von Olav Gutting (CDU) war nicht ersichtlich, dass er sich im Beirat der Lobbyorganisation "Bundesverband mittelständische Wirtschaft" sowie im Vorstand des Deutsch-Georgischen Forums engagiert. Gutting meldete beides nach. In dem deutsch-georgischen Freundschaftsverein sind auch andere Bundestagsabgeordnete wie beispielsweise Josef Rief (CDU) aktiv. Der Haushaltspolitiker und Landwirt hat das Ehrenamt bis heute nicht auf seiner Bundestagsseite angegeben, ebenso wenig wie seinen Posten als “Finanzvorstand” für die Taiwan-nahe “Weltliga für Demokratie und Freiheit”.
Warum die Abgeordneten den Transparenzpflichten nicht nachkamen – ob vorsätzlich, aus Versehen oder weil sie angesichts von zahlreichen Nebentätigkeiten den Überblick verloren haben – ist schwer zu beurteilen. Zahlreiche Abgeordnete beriefen sich darauf, dass ihre Tätigkeiten ehrenamtlich und nicht vergütet seien. Dies ist wenig überzeugend: Selbst neue Bundestagsmitglieder wissen, dass eine Anzeigepflicht auch bei Ehrenämtern und Tätigkeiten ohne Bezahlung besteht. Zu Beginn ihrer Mandatszeit erhalten sie vom Bundestagspräsidenten eine entsprechende Broschüre. Haben Abgeordnete dennoch Zweifel, wie mit einer Nebentätigkeit zu verfahren ist, müssen sie sich laut Verhaltensregeln beim Präsidenten kundig machen.
Für den laxen Umgang mit den Transparenzvorschriften dürfte es vor allem eine Ursache geben. Über die Jahre haben Abgeordnete die Erfahrung machen können, dass es weitgehend egal ist, ob sie sich an die Verhaltensregeln halten oder nicht. Spürbare Konsequenzen waren meist nicht zu befürchten, wie sich am Beispiel des CSU-Abgeordneten Max Straubinger zeigt. Der langjährige Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe hatte Einkünfte aus mehreren Nebentätigkeiten wiederholt erst mit großer, teils jahrelanger Verspätung gemeldet. Erst nach vielen Jahren wurde er vom Bundestag zur Einhaltung der Regeln aufgefordert. Die wiederholten Verstöße Straubingers wurden in einer Drucksache veröffentlicht – weitergehende Sanktionen wie zum Beispiel ein Ordnungsgeld gab es nicht.
Dass der Bundestag die Parlamentarier:innen trotz schwerwiegender Verstöße oftmals mit Samthandschuhen anfasst, hat einen systemischen Grund: Der Parlamentspräsident ist nach seinem Selbstverständnis immer auch oberster Interessenvertreter der Abgeordneten, zum Beispiel wenn es darum geht, die Kolleg:innen gegenüber Regierung, Öffentlichkeit und Medien in Schutz zu nehmen.
Diese große Nähe zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten brachte dem Bundestag gerade erst eine Rüge des Europarats ein. Er könne die Abgeordneten gar nicht "wirksam kontrollieren und notfalls kritisieren", bemängeln die Expert:innen der Staatengruppe gegen Korruption des Europarates (GRECO) in einem Bericht. Es gäbe gravierende Mängel bei der Kontrolle und Durchsetzung der Regeln für Abgeordnete. Die Maßnahmen des Parlaments, zum Beispiel Ordnungsgelder bei Verstößen gegen die Verhaltensregeln und mehr Personal in der Verwaltung, gehen den EU-Korruptionswächter:innen nicht weit genug, um eine “effektive Kontrolle und Durchsetzung der Regeln für Abgeordnete zu gewährleisten”.
Derzeit berät der Bundestag zwar über eine inhaltliche Verschärfung der Transparenzvorschriften, durch die zum Beispiel bezahlte Lobbytätigkeiten verboten werden sollen. Alles beim alten bleibt dagegen bei den Sanktionen und den unzureichenden Kontrollmechanismen.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Bundestag die Forderungen des Europarates ignoriert.