Freiwillige Transparenzoffensive: Abgeordnete stellen Steuerbescheid und Lobbytreffen ins Netz | abgeordnetenwatch.de Direkt zum Inhalt
Freiwillige Transparenzoffensive
Abgeordnete stellen Steuerbescheid und Lobbytreffen ins Netz
Transparenz schafft Vertrauen: Weil ihnen die bestehenden Transparenzpflichten des Bundestages zu lasch sind, stellen mehrere Abgeordnete den Steuerbescheid ins Netz und legen ihre Lobbytreffen offen. Wer sind diese Abgeordneten – und was treibt sie an?
Der Fall Amthor macht ein weiteres Mal deutlich, wie unzureichend die Transparenzvorgaben für Abgeordnete sind. Aktienoptionen und Luxusreisen des CDU-Bundestagsabgeordneten kamen nicht etwa durch Offenlegungspflichten ans Licht, sondern durch Recherchen von Journalist*innen.
Transparenz hat in einer Demokratie eine wichtige Funktion. Wenn Volksvertreter*innen ihre Nebeneinkünfte und Zuwendungen für alle sichtbar auf den Tisch legen, schafft dies Klarheit über finanziellen Abhängigkeiten und Interessenkonflikte, die sich durch Nebentätigkeiten bei Unternehmen oder Verbänden ergeben können.
Auch wenn sie es nach den Verhaltensregeln des Bundestages nicht müssten: Einige Abgeordnete schaffen aus freien Stücken Transparenz. Sie geben Einsicht in ihre Nebeneinkünfte oder stellen ihren Steuerbescheid ins Netz.
Einer dieser Politiker*innen ist der niedersächsische SPD-Landtagsabgeordnete Frank Henning (Wahlkreis Osnabrück-Ost). Auf seiner Internetseite können Bürger*innen unter dem Menüpunkt „Gläserner Abgeordneter“ die Steuerbescheide seit 2013 herunterladen, außerdem führt Henning Aufwandsentschädigungen sowie die Höhe seiner Sitzungsgelder auf. Laut seinen Berechnungen kommt er so auf ein monatlich verfügbares Einkommen von 4.689,39 Euro.
"Transparenz und Offenheit sind mir wichtig,“ erklärt der SPD-Landtagsabgeordnete auf Anfrage. „Meine Wählerinnen und Wähler sollen wissen, wovon ich lebe und welche Nebeneinkünfte - insbesondere aus Aufsichtsratstätigkeiten - ich neben meiner Abgeordnetendiät beziehe, um selbst entscheiden zu können, ob ich mich meiner Abgeordnetentätigkeit voll und ganz widmen kann.“ Er halte den Job als niedersächsischer Landtagsabgeordneter für einen Fulltime-Job. „Mir ist es nicht möglich, andere berufliche Tätigkeiten neben meiner Abgeordnetentätigkeit auszuüben. Deshalb dokumentiere ich für jeden zugänglich meine Einkünfte, damit jeder sehen kann, dass ich mich ausschließlich meinem Mandat als Landtagsabgeordneter und Ratsmitglied der Stadt Osnabrück widme."
Freiwillige Selbstverpflichtung
Auch im Deutschen Bundestag sehen zahlreiche Abgeordnete die geltenden Rechenschafts- und Offenlegungspflichten (siehe Infokasten) als unzureichend an und haben sich einer freiwilligen Selbstverpflichtung angeschlossen. 2015 hatte der damalige SPD- und heutige fraktionslose Abgeordnete Marco Bülow aus Dortmund zusammen mit dem inzwischen ausgeschiedenen Grünen-Abgeordneten Gerhard Schickden Verhaltenskodex für Abgeordnete des Bundestags ins Leben gerufen, um Bundestagskolleg*innen aus eigenem Antrieb heraus zu mehr Transparenz zu motivieren. 39 der 709 Bundestagsabgeordneten haben die Selbstverpflichtung unterzeichnet (Liste siehe am Ende des Textes).
ihre Dienstreisen und Lobbytermine transparent zu machen,
nach der Beendigung der Abgeordnetentätigkeit für mindestens drei Jahre keiner Tätigkeit für Unternehmen, Verbände oder andere Organisationen nachzugehen, die zu einem erheblichen Teil aus Lobbyarbeit besteht,
jede Geldspende und geldwerte Zuwendung über 1.000 Euro sowie den Namen des Spenders zu veröffentlichen,
von Unternehmen und Lobbyisten keine Geschenke oder Essenseinladungen über einem Wert von 100 Euro anzunehmen,
die eigenen Nebenverdienste öffentlich zu machen, etwa durch die Offenlegung des Steuerbescheids (unter Schwärzung der privaten Daten).
Der Hamburger Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi ist einer der rund drei Dutzend Unterzeichner*innen. Seine Steuerbescheide können Bürger*innen auf der Homepage einsehen. Diäten, Mitarbeiterpauschalen, Spenden- und Mitgliedsbeiträge sind sowohl für sein Bundestagsmandat als auch für seine Tätigkeit als ehemaliger Europaabgeordneter aufgelistet. „Den Kodex halte ich für eine sinnvolle Initiative, allerdings habe ich meinen Steuerbescheid und die Lobbykontakte bereits vorher veröffentlicht, Transparenz ist für mich eine Selbstverständlichkeit“, erklärt er.
Transparenz-Appell vom Rednerpult im Bundestag
Initiator Bülow wünscht sich weitere Unterzeichner*innen für den Kodex, denn: „Von einem stetig wachsenden Zuspruch kann bisher leider keine Rede sein“, bedauert er. Ende Juni hat der fraktionslose Abgeordnete daher bei einer Rede im Bundestagsplenum einen erneuten Aufruf gestartet und darüber hinaus alle Abgeordneten (mit Ausnahme der AfD) zusätzlich per Mail kontaktiert. Doch gerade einmal vier Abgeordnete konnte er seitdem für den Kodex gewinnen.
„Selbst in den Fraktionen, die sich öffentlich schon länger für mehr Transparenz und für mehr Lobbyregulierung einsetzen, sind viele Bundestagsabgeordnete nicht bereit, voran zu gehen und sich individuell freiwilligen Regeln zu unterwerfen“, kritisiert Bülow.
Ein CDU-Abgeordneter hat den Kodex unterzeichnet – mit Einschränkung
Martin Patzelt hatte auf den Aufruf reagiert und ist seit kurzem der einzige CDU-Bundestagsabgeordnete unter den 19 SPD-, 16 Linken-, zwei Grünen- und einem fraktionslosen Parlamentarier*innen, der auf der Liste steht. Doch Patzelt scheint nicht vollends vom Konzept überzeugt zu sein: „Grundsätzlich begrüße ich Transparenz in Leben und Arbeiten eines Abgeordneten, jedoch gibt es Bereiche des privaten Lebens, die gehen keinen Außenstehenden etwas an“, erklärte der Brandenburger Volksvertreter Patzelt auf Anfrage. Bislang macht er auf seiner Internetseite jedoch keine Transparenzangaben wie etwa zu seinen Treffen mit Interessenvertreter*innen.
Was Abgeordnete offenlegen müssen
Nach dem Abgeordnetengesetz müssen Abgeordnete des Bundestages veröffentlichen, wenn sie für Unternehmen, Verbände und Vereine tätig sind. Auch freiberufliche Tätigkeiten müssen offengelegt werden, ebenso bedeutende Unternehmensbesitze. Einkünfte sind nicht exakt, sondern in einem Stufensystem offenzulegen. Für Lobbykontakte gibt es keine Transparenzpflichten.
Die Berliner Abgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) und Sylvia Gabelmann (Linke) aus Nordrhein-Westfalen stehen ebenfalls auf Bülows Transparenzliste und auch auf ihrer Internetseite fehlen bislang freiwillige Angaben. Die Grünen-Abgeordnete Margit Stumpp (Wahlkreis Aalen-Heidenheim) hat immerhin schon vorgesorgt und die Überschrift „Gläserne Abgeordnete“ auf ihrer Homepage hinzugefügt. Informationen zu Lobbytreffen und Nebeneinkünften sollen noch in der parlamentarischen Sommerpause folgen, verspricht ihr Abgeordnetenbüro gegenüber abgeordnetenwatch.de.
Die Unverbindlichkeit der Maßnahmen zeigt die Grenzen des Kodex: Unterzeichnen kann jede*r Bundestagsabgeordnete*r, doch eine verpflichtende Umsetzung aller Maßnahmen oder Konsequenzen bei Verstoß gegen die Leitlinien gibt es nicht.
Bülow weiß das: „Der Kodex beruht auf Freiwilligkeit, Sanktionsmechanismen gibt es nicht“, sagt er. Doch wenn Wähler*innen wüssten, dass Abgeordnete sich dem Verhaltenskodex angeschlossen haben, würden sie die Transparenzbemühungen der Abgeordneten eher hinterfragen.
Auflistung von Lobbytreffen
Ein zentraler Bestandteil des Kodex ist die Offenlegung von Lobbykontakten. Denn noch immer existiert kein verbindliches Lobbyregister, aus dem ersichtlich wird, wer sich wann mit wem über welches Thema unterhalten hat. Kodex-Unterzeichnerin Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Linken aus Brandenburg, hat auf ihrer Website einen Lobbykalender veröffentlicht, in dem sie ihre Treffen mit Interessenvertreter*innen auflistet.
Screenshot abgeordnetenwatch.de
Lobbykalender Anke Domscheit-Berg
Um sich als Gläserne*r Abgeordnete*r bezeichnen zu dürfen, müssten laut Domscheit-Berg mindestens drei Anforderungen erfüllt sein: Transparenz zu den Nebeneinkünften, Transparenz zu allen erhaltenen und geleisteten Spenden und Transparenz zu Lobbyterminen, die ein*e Abgeordnete*r wahrnimmt. Domscheit-Berg gibt in Ausschussreports zusätzlich Einblicke in den parlamentarischen Alltag und hält in Instagram- und Twitter-Posts ihre Wahlkreis- und Medientermine fest. Auch ihre Nebeneinkünfte, die sie nach eigenen Angaben alle spendet, sind aufgelistet.
Für den transparenten Landtagsabgeordneten aus Niedersachsen, Frank Henning, steht die Veröffentlichung von Lobbytreffen dagegen nicht zur Debatte: „Dann wird niemand mehr ein vertrauliches Gespräch mit mir als Abgeordneter führen wollen. Die Inhalte und Gründe dieser Probleme sind vertraulich und nicht für die Öffentlichkeit geeignet, weil individuelle Schicksale offen gelegt würden, was ich nicht in Ordnung fände.“
Auch die Kodex-Unterzeichnerin und Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier (SPD) möchte „mit gutem Beispiel voran gehen“. Einsicht in ihre Steuerbescheide gibt sie jedoch nicht: „Ich bin für weitgehende Transparenz. Für solche bedarf es nicht die Offenlegung der Einkommensbescheinigung – davon sind auch die Ehepartner betroffen.“ „Milchglas-Abgeordnete“, so nennt sich die in Baden-Württemberg beheimatete Breymaier selbst.
"Wirksames Mittel gegen Politikverdrossenheit"
Während Volksvertreter*innen wie der Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi eine Kopie ihres Steuerbescheides online stellen, verzichten andere auf die Veröffentlichung des Originals, stellen aber die Basisdaten daraus ins Netz, zum Beispiel die schleswig-holsteinische SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn. Sie sieht in der Veröffentlichung ihrer Diäten und ihrer Einkünfte als parlamentarische Staatssekretärin "ein wirksames Mittel gegen Politikverdrossenheit und für mehr Glaubwürdigkeit in der Politik". Nebeneinkünfte beziehe sie keine: „Bei gewissenhafter Arbeit im Sinne des Mandats bleibt gar keine Zeit für Nebentätigkeiten - die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Berlin und im Wahlkreis zu vertreten ist mehr als ein Fulltime-Job.“
So wie Hagedorn veröffentlichen unter anderem auch der Bundestagsabgeordnete und Schatzmeister der SPD, Dietmar Nietan (Wahlkreis Düren), und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil aus Niedersachsen die Basisdaten aus ihrem Steuerbescheid. Im Juni sprach Klingbeil mit dem stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert in einem Instagram-Live-Video über die Themen Lobbyismus und Transparenz: „Treffen mit Lobbyisten sind per se nichts Schlechtes, erst wenn der Lobbyist den Abgeordneten einkauft, wird es fatal. Deshalb muss jedes Treffen mit Interessenvertretern transparent gemacht werden“, erklärte Klingbeil, der seine Lobbyist*innengespräche auf der Abgeordnetenwebsite festhält.
Steuerbescheid nur auf Anfrage
Der Viersener CDU-Bundestagsabgeordnete Uwe Schummer handhabt es wiederum anders und informiert auf seinem Blog „Berliner Woche“ in regelmäßigen Berichten über Treffen mit Interessenvertreter*innen und Dienstreisen. Seinen Steuerbescheid erhält man nur auf Anfrage: „Seitdem ich verpartnert bin, gibt es eine gemeinsame steuerliche Veranlagung. Deshalb stelle ich meine Steuererklärung nicht mehr ins Netz.“ Zu seinen Beweggründen erklärt er auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage: „Wichtig ist bei mir die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Mandates und dass die Bürgerinnen und Bürger meines Heimatkreises über die Arbeit im Parlament informiert werden. Meine Erfahrung ist, dass aufgrund der Offenlegung kaum noch Kritik an den "zu hohen Diäten" geübt wird. Oft ist nicht bekannt, dass auch Abgeordnete Steuern zahlen, 70 Stunden die Woche arbeiten, ihr Bürgerbüro finanzieren, einen zweiten Wohnsitz einrichten müssen und bei der AOK versichert sind."
"Uns geht es nicht um eine freiwillige Selbstverpflichtung", sagen die Grünen
Während unter den Oppositionsabgeordneten der Transparenzgedanke bei den Linken recht präsent scheint, ist man in anderen Fraktionen vom Kodex nicht vollends überzeugt. Die Grünen geben sich gerne kritisch gegenüber Lobbyismus, doch ihre Abgeordneten fehlen weitgehend auf der Liste. Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter (Wahlkreis München-Land) und Parteichefin Annalena Baerbock aus Brandenburg führen auf ihrer Homepage lediglich die ohnehin bekannten Diäten und Kostenpauschalen auf, konkrete Auflistungen von Lobbytreffen und Einkünften erhält man jedoch nicht. Grünen-Sprecherin Iris Throm erklärt das so: „Für uns ist die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte auf Euro und Cent ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz. Uns geht es um Regeln für alle Abgeordnete gleichermaßen, nicht um die freiwillige Selbstverpflichtung einzelner.“
In der FDP sind „Gläserne Abgeordnete“ nicht zu finden, zumindest hat sich bisher kein FDP-Abgeordneter Bülows Kodex angeschlossen. Dabei hatten Partei- und Fraktionschef Christian Lindner (Wahlkreis Rheinisch-Bergischer-Kreis) und der Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann (Wahlkreis Gelsenkirchen) erst kürzlich in einem gemeinsamen Brief an die „Allianz für Lobbytransparenz“ mehr Transparenz durch klarere Verhaltensregeln und die Offenlegung von Aktienoptionen gefordert. Lindners Internetauftritt verrät jedoch wenig über Transparenz in eigener Sache, dabei geht er zahlreichen bezahlten Nebentätigkeiten in Form von Vorträgen und „Kamingesprächen“ nach, wie auf der Bundestagsseite nachzulesen ist. Weiteres Engagement über die verpflichtenden Vorschriften des Bundestags hinaus ist auch bei Buschmann nicht ersichtlich.
„Die Freien Demokraten halten sich bei Angaben zu ihren Einkünften selbstverständlich an das Abgeordnetengesetz und die Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages“, heißt es aus der Pressestelle der FDP.
Das Gegenteil wäre allerdings auch höchst bemerkenswert.
Diese Bundestagsabgeordneten haben den Transparenz-Kodex unterzeichnet: