Warum verklagt abgeordnetenwatch.de den Deutschen Bundestag?
Die Parlamentsverwaltung weigert sich uns gegenüber eine Liste mit Lobbyverbänden offenzulegen, die mit Bewilligung der Parlamentarischen Geschäftsführer von CDU/CSU, SPD, Linke und Grüne einen Bundestagshausausweis erhalten haben. In unserer schriftlichen Anfrage vom 17. April 2014 berufen wir uns auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das Bürgern ebenso wie Organisationen das Recht gibt, Informationen von öffentlichen Stellen einzuholen.
Warum will der Bundestag die Lobbykontakte der Fraktionen nicht nennen?
Der Deutsche Bundestag argumentiert in erster Linie damit, dass es sich in diesem Fall um eine parlamentarische Angelegenheit handele, da die Hausausweise von einem Parlamentarier - konkret: einem Parlamentarischen Geschäftsführer - bewilligt würden, dies falle nicht unter das Informationsfreiheitsgesetz. abgeordnetenwatch.de ist dagegen der Meinung, dass die Ausstellung von Hausausweisen ein Verwaltungshandeln darstellt, da - bildlich gesprochen - der Stempel unter einen Lobbyisten-Hausausweis von einem Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung gesetzt wird. "Öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben" fallen sehr wohl unter das Informationsfreiheitsgesetz.
Was sagen die Fraktionen selbst zur Offenlegung ihrer Lobbykontakte?
Im April 2014 hat abgeordnetenwatch.de alle Parlamentarischen Geschäftsführer um Auskunft gebeten, welchen Interessenverbänden sie einen Bundestagshausausweis bewilligt haben. Linke und Grüne kamen unserer Bitte nach und legten die Verbändenamen offen (s.u.). Union und SPD weigerten sich mit Verweis auf den Datenschutz.
Organisationen, denen die Linksfraktion Hausausweise bewilligt hat: Forschungsforum "Öffentliche Sicherheit" e.V., IG Bau-Agrar-Umwelt, Aktionsbündnis gegen AIDS, Interessenverband Unterhalt und Familienrecht
Organisationen, denen Bündnis 90/Grüne Hausausweise bewilligt hat: Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin, Agora Energiewende, Bündnis90/Die Grünen (Bundespartei), Bundesverband Solarwirtschaft, BSW - Solar e.V., Digital Courage, Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychatrie, Deutsche Umwelthilfe, Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", Heinrich-Böll-Stiftung, KfW-Bank, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Medico International, Metro AG, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Verband Entwicklungshilfe Deutscher Nichtregierungsorganisationen, WWF Deutschland, Forum Menschenrechte.
Um wie viele Hausausweise für Interessenvertreter geht es bei der Klage?
Nicht einmal das wollte uns die Bundestagsverwaltung auf unsere IFG-Anfrage vom 14. April 2014 mitteilen. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung, die im Januar 2015 nachfragt hatte, waren die Parlamentsbürokraten sehr viel auskunftsfreudiger: Insgesamt etwa 1.000 Hausausweise wurden Dank Bewilligung eines Parlamentarischen Geschäftsführers herausgegeben. Zieht man von dieser Zahl die 22 Organisationen ab, die Linke und Grüne freiwillig genannt haben, entfallen weit über 950 auf Union und SPD. De facto geht es bei der Klage also um die Offenlegung der Lobbykontakte von CDU/CSU und SPD.
Welche Anwälte vertreten abgeordnetenwatch.de sowie den Deutschen Bundestag?
Wir werden von der Berliner Anwältin Katja Pink vertreten. Frau Pink erwirkte vor einigen Jahren bereits die Veröffentlichung der Gästeliste von der fragwürdigen Geburtstagsparty des damaligen Deutsche Bank-Chefs Josef Ackermann im Bundeskanzleramt. Damals hatte das Kanzleramt eine Herausgabe der Liste nach dem Informationsfreiheitsgesetz ebenfalls zunächst verweigert.
Der Deutsche Bundestag hat die Kanzlei Redeker Sellner Dahs beauftragt. Diese gehört mit über 100 Anwälten und Büros in Berlin, London, Brüssel und anderen Städten zu den juristischen Topadressen in Deutschland. Redeker Sellner Dahs vertrat in der Vergangenheit u.a. Alt-Kanzler Helmut Kohl im Zusammenhang mit der Flick-Parteispendenaffäre oder Bundespräsident a.D. Christian Wulff in der Affäre um seinen Privatkredit. Der Tagesspiegel schrieb über Redeker Sellner Dahs: "Wo immer sich in Deutschland ein Polit- oder Wirtschaftskrimi abspielt, die Bonner Kanzlei ist dabei."
Wie geht es nach der morigigen Verhandlung weiter?
Erhalten wir vor Gericht Recht und der Bundestag muss die Lobbykontakte der Bundestagsfraktionen offenlegen, würde dies zum ersten Mal Klarheit bringen, welche Interessenvertreter im Bundestag weitgehend ungehindert ein und aus gehen. Ein für uns positives Gerichtsurteil wäre außerdem eine Stärkung des Informationsfreiheitsgesetzes, weil die Bundestagsverwaltung häufig damit argumentiert, bei ihr würde das IFG nicht greifen. Allerdings bliebe abzuwarten, ob die Gegenseite gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht in Berufung geht.
Sollten wir mit unserer Klage in erster Instanz keinen Erfolg haben, werden wir alle Rechtsmittel ausschöpfen.
Warum wir dagegen klagen, erklärt auch das folgende Video (1:46 Minuten):