Frage an Wolfgang Wetzel von Wolf-Christian H. bezüglich Naturschutz
Auch wenn wir als Gesellschaft langsam anfangen, angesichts der Klimakrise die Weichen anders zu stellen, müssen wir uns eingestehen:
Trotz besserem Wissen haben wir viel zu lange und viel zu stark in die falsche Richtung gesteuert. Die Maßnahmen reichen daher bei Weitem nicht aus, um den Kollisionskurs mit der Klimakatastrophe zu verhindern. Dazu wären weit deutlichere und für alle auch einschneidendere Maßnahmen nötig.
Und genau dafür ist ein Bürger:innenrat zum Thema Klima ein essentieller Baustein - zusammen mit der Selbstverpflichtung der Politik, die daraus hervorgehenden Vorschläge und Entscheidungen nicht nur zu berücksichtigen, sondern handlungsleitend und als gewaltige Chance zu begreifen. Denn nur mit dem Rückenwind aus der Bevölkerung können die notwendigen krassen Kurskorrekturen vorgenommen werden, ohne die Demokratie zu beschädigen.
Letztendlich definiert unser Strafrecht, was wir als Gesellschaft tolerieren und was nicht. Die Sklaverei war beispielsweise solange nicht nur geduldet sondern sogar die wirtschaftliche Basis für viele Bereiche, bis sie klar und international unter Strafe gestellt wurde. Genau diese Klarheit brauchen wir jetzt, um den verheerenden und für viele Menschen unmittelbar oder mittelbar tödlichen Umweltzerstörungen Einhalt zu gebieten.
Seit wenigen Tagen unterstützt neben immer mehr Staaten nun auch das europäische Parlament die Bestrebungen, ÖKOZID als internationales Verbrechen anzuerkennen und vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) strafbar zu machen.
In Frankreich hat der Bürger:innen-Klimarat die Kriminalisierung von #ÖKOZID als wichtigste Maßnahme gefordert.
Wie stehen Sie als Mitglied des Petitionsausschusses zur Einberufung eines bundesweiten Bürger:innenrates zur Klimapolitik?
Wie stehen Sie generell zur Einstufung von Ökozid als Verbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof einerseits und vor nationalen Gerichten andererseits?
Sehr geehrter Herr Hingst,
vielen Dank für Ihre Anfrage und bitte entschuldigen Sie meine verspätete Rückmeldung.
Was Ihre Frage zum Thema Bürger*innenrat angeht, so kann ich Ihnen berichten, dass ich an der
Öffentliche Beratung des Petitionsausschusses am 25. Januar, in der nicht abgestimmt wurde, als ordentliches Mitglied des Petitionsausschusses teilgenommen habe. Den Petenten sowie den Unterstützer*innen der Petition Bürger*innenrat zur Klimapolitik bin ich für das Engagement sehr dankbar.
Wir Grüne im Bundestag kämpfen für konsequenten Klimaschutz. Die vom Menschen verursachte Klimakrise wird zur Klimakatastrophe, wenn wir den Ausstoß von Treibhausgasen nicht drastisch reduzieren. Schon heute nehmen weltweit extreme Wetterereignisse wie Stürme, Hitze und Dürren stark zu.
Zentrale Grundlage unserer Politik ist das Klimaabkommen von Paris sowie der Bericht des Weltklimarates zum 1,5-Grad-Limit. Durch die verfehlte Klimapolitik der Bundesregierungen unter Kanzlerin Merkel ist dieses sehr ehrgeizige Ziel in weite Ferne gerückt. Denn die nötigen Weichen wurden in den vergangenen Jahren viel zu oft falsch gestellt. So wurde der dringend nötige Ausbau der erneuerbaren Energien sprichwörtlich abgewürgt, der Kohleausstieg auf die lange Bank geschoben, in der Verkehrspolitik weder die Antriebs- noch die Verkehrswende vorangetrieben und im Gebäudebereich die notwendigen Sanierungsraten nicht annähernd erreicht. Auch wenn wir 2020 wegen der Corona-Einschränkungen das offizielle nationale Klimaziel erreicht haben, die Folgen dieser verfehlten Politik werden gerade in den nächsten Jahren überdeutlich zu Tage treten.
Was die Thematik der Bürger*innenräte betrifft, fordern wir Grüne seit vielen Jahren Instrumente der direkteren Beteiligung und Mitbestimmung der Bürger*innen. Denn die Essenz unserer Demokratie ist, dass unterschiedliche Perspektiven aktiv eingebracht werden können. Eine vielfältige Demokratie braucht Einmischung, Repräsentanz, Lust zur Auseinandersetzung und Kompromissfähigkeit. Wir wollen, dass die Bürger*innen die Möglichkeit bekommen, die politische Agenda stärker selbst zu gestalten. Dieses Grundprinzip grüner Politik spiegelt sich auch im neuen Grünen Grundsatzprogramm wieder:
„Direkte Beteiligungsmöglichkeiten bereichern die repräsentative Demokratie. Mit Bürger*innen-Räten soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von Bürger*innen noch direkter in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. Zufällig ausgewählte Bürger*innen beraten in einem festgelegten Zeitraum über eine konkrete Fragestellung und erarbeiten Handlungsempfehlungen und Impulse für die öffentliche Auseinandersetzung und die parlamentarische Entscheidung. Es gilt sicherzustellen, dass die Teilnehmenden sich frei, gleich und fair eine Meinung bilden können und dass ihnen ausreichend Raum für eine intensive Auseinandersetzung mit der Fragestellung gegeben wird. Bürger*innen-Räten kommt eine rein beratende Funktion für die öffentliche Debatte und Gesetzgebung zu. Regierung und Parlament müssen sich mit den Ergebnissen auseinandersetzen, ihnen aber nicht folgen. Bürger*innen-Räte können auf Initiative der Regierung, des Parlaments oder als Bürgerbegehren zu einer konkreten Fragestellung eingesetzt werden. Das soll auch auf Bundesebene möglich sein.“
Wir halten diese Form der direkten Beteiligung am politischen Aushandlungsprozess in Zeiten starker Polarisierung und gesellschaftlicher Pluralisierung für ein passendes Instrument, um unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen wieder miteinander ins direkte Gespräch zu bringen. Denn nur so kann eine gemeinsame Idee für die Zukunft dieses Landes entwickelt werden, nur im Austausch von Argumenten und Perspektiven kann in einer zersplitterten Gesellschaft Zusammenhalt gesichert werden.
Gute Aushandlungen über politische Fragen können dann entstehen, wenn sichergestellt wird, dass Menschen sich frei, gleich und fair eine Meinung bilden können, unbeeinflusst von Lobbyinteressen. Nicht als Konkurrenz zum Parlament, sondern als Ergänzung und Stärkung. Bürger*innen-Räte haben auch den Vorteil, dass wir mit ihnen dem Repräsentationsdefizit unseres politischen Systems begegnen können. Bei der Auswahl der Zufallsbürger*innen kann auf die repräsentative Verteilung etwa von Frauen oder Minderheiten geachtet und so garantiert werden, dass alle Stimmen gleichberechtigt und repräsentativ gehört werden. Hass, Hetze, Lügen und Stammtisch-Parolen treten erfahrungsgemäß in den Hintergrund und verschwinden ganz, wenn es um konstruktiven Dialog geht.
Zu Ihrer Frage zum Thema Ökozid:
Wie schon oben beschrieben, die Klimakrise, das rapide Artensterben, die Vermüllung der Erde mit Plastik, die großen Umweltkrisen unserer Zeit sind menschengemacht und werden jeden Tag größer. In diesem Kontext brauchen wir eine Debatte über Verantwortlichkeiten, die Weiterentwicklung des Umweltrechts und des Umweltstrafrechts, aber auch über den Vollzug bestehender Gesetze sowie den Stellenwert des Vorsorge- und Verursacherprinzips.
Regelungen wie zum Beispiel die Paragraphen 324 bis 330 d) des Strafgesetzbuches (Straftaten gegen die Umwelt) sind notwendig und müssen wie alle Gesetze regelmäßig an sich verändernde Rahmenbedingungen angepasst werden. Nationale Regelungen stoßen in einer globalisierten Welt jedoch immer an Grenzen. Deshalb ist es richtig, über das bestehende nationale Recht hinaus auch die Debatte zur Weiterentwicklung eines internationalen Umweltschadens-, Haftungs- und Umweltstrafrechts zu führen. Das Ziel muss eine erfolgreiche, überstaatliche auch strafrechtliche Bekämpfung von Umweltzerstörung sein.
Die dazu abgestimmte Entschließung des Europäischen Parlaments (https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0014_DE.pdf) sehen wir als relevanten Diskussionsbeitrag, wie einer langfristigen und erheblichen Beschädigung oder Zerstörung von Ökosystemen auch international im Wege des Strafrechts entgegengewirkt werden kann. Wir erwarten, dass diese Debatte auch in Deutschland an Fahrt aufnehmen wird und beschäftigen uns in der Fraktion fortlaufend mit dem Thema. Auch im Neuen Grundsatzprogramm der Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN ist dieses Thema aufgenommen: Da Verbrechen gegen die Umwelt nicht vor Ländergrenzen Halt machen, ist es im globalen Interesse, dass die internationale Staatengemeinschaft eine Gerichtsbarkeit schafft, die diese Verbrechen unabhängig und grenzüberschreitend verfolgt.
Mit besten Grüßen
Wolfgang Wetzel