Frage an Wolfgang Thierse von Helga M. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Thierse
das bisherige Familienministerium sieht Familien vordringlich unter dem Aspekt Gewinn. Aufgefallen ist mir auch der Wille zur Frühpädagogik, zu Ganztagesschulen etc. Damit einher geht mit Sicherheit eine starke Kontrolle jeder Familie, die ihr Kind in so eine vom Familienministerium geförderte Einrichtung bringt.
-Ist das den jungen Eltern bewußt?
-Worin besteht heute noch der besondere Schutz der Familie wie er im Grundgesetz vorgesehen ist?
-Und hätten Sie das Vertrauen, daß die Einrichtungen verschwiegen sind für andere Ämter, Personen etc und andernteils auch transparent genug für die Eltern bleiben.?
Das derzeitige Familienministerium läßt sich z.B. beraten von Leuten, die keine Transparenz bei ihrer Fragetechnik etc. zulassen. Jugendämter und juristisch Tätige sind heute schon nicht immer verschwiegen, wie ich es bei einem konkreten Fall miterlebt habe.
Im Bildungswesen ist erwiesen, daß nirgends so stark aussortiert wird bei den Schulkindern wie in Deutschland. Man redet schon wieder vom notwendigen Selektieren!( habe ich selbst in zwei Radiosendungen gehört). Potentielle Eltern müssen viel Mut haben in diesem Land oder ahnungslos sein.
-Finden Sie diese Entwicklung berechtigt, bedenklich oder gut?
Sehr geehrte Frau Müller,
aus gutem Grund sieht das Grundgesetz den besonderen Schutz von Ehe und Familie vor. Familienpolitik ist eine der Kernaufgaben des Staates. Dabei geht es nicht darum, dass der Staat in die Wohnzimmer der Menschen hineinregiert oder ihnen etwa vorschreibt, wie ihre individuelle Lebensplanung und –gestaltung auszusehen hat. Der Entschluss, eine Familie zu gründen, ist ein freier Entschluss. Der Entschluss jeder einzelnen, jedes einzelnen.
Der Staat aber hat die immens wichtige Aufgabe, die gesellschaftlichen und sozialen Voraussetzungen zu schaffen, dass die freie Entscheidung möglichst für jede und jeden gegeben ist. Damit das „Ja“ zu Partnerschaft und Kindern nicht den Verlust wirtschaftlicher, sozialer oder beruflicher Lebenschancen bedeutet. Denn wir wollen, dass junge Menschen sich ihre Kinderwünsche erfüllen und beide Elternteile Familie und Beruf zugleich in Einklang bringen können.
Deshalb haben die Bundesregierung und die SPD-Fraktion im Bundestag in den vergangenen sieben Jahren Anstrengungen in vielerlei Richtungen unternommen, um Familien zu fördern und die Gründung einer Familie zu erleichtern.
Neben dem Erhalt bestehender Einrichtungen wie dem Mutterschaftsschutz, der Elternzeit, Steuervergünstigungen für erwerbstätige Eltern und vieler anderer Einrichtungen haben wir das Kindergeld um 42 € auf 154 € erhöht. Wir haben den Kinderzuschlag in Höhe von 140 € für geringverdienende Eltern eingeführt. Niedriges Einkommen und Familie sollen kein Armutsrisiko sein. Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz haben wir die Tagesbetreuung ausgebaut und verbessert und dabei auch Betreuungsmöglichkeiten für die unter Dreijährigen geschaffen. Insgesamt haben wir die Aufwendungen für Familien seit 1998 um knapp 50 % von 40,2 Milliarden Euro auf 60 Milliarden Euro gesteigert. Dies zeigt, welche Bedeutung die SPD der Förderung der Familie beimisst. Und wir haben uns weitere Schritte zur Förderung der Familie und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorgenommen. Bis 2010 wollen wir die Tagesbetreuung für Kinder ab dem 2. Lebensjahr ermöglichen. Dabei wollen wir in Zusammenarbeit Ländern und Gemeinden die Gebührenfreiheit für Kitas erreichen. Das bisherige Erziehungsgeld wird in ein für ein Jahr zu zahlendes Elterngeld umgewandelt werden, so dass der Lebensstandard der Familien auch bei Unterbrechung der Erwerbstätigkeit gewahrt werden kann. Und auch an der 3-jährigen Elternzeit mit Arbeitsplatzgarantie halten wir fest. Das fördert auch die Gleichstellung der Frau.
Hinsichtlich der Bildungspolitik hat die SPD seit jeher klare Positionen. Schon immer stand die SPD für Chancengleichheit in der Bildung, denn wir wollen jedem und jeder Einzelnen unabhängig von der sozialen Herkunft Zugang zu guter Bildung ermöglichen. Dies ist vor allem ein Gebot der Gerechtigkeit. Deshalb werden wir, um eine frühe Förderung der Fähigkeiten und Talente unserer Kinder zu ermöglichen, auf der Grundlage des Tagesbetreuungsausbaugesetzes bis 2010 insgesamt 230.000 zusätzliche Plätze in Kindergärten, Krippen und Kitas schaffen. Zudem wollen wir das Schulsystem dahingehend verändern, dass es in stärkerem Maße als bisher auf Durchlässigkeit, Integration und individuelle Förderung ausgerichtet ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Thierse