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Wolfgang Thierse
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Frage von Heide B. •

Frage an Wolfgang Thierse von Heide B. bezüglich Kultur

Sehr geehrter Herr Thierse,

stimmen Sie mir zu, wenn ich fordere, jeglichen Bezug zum deutschen Vaterland aus öffentlichen Darstellungen und Verlautbarungen herauszunehmen? Wie anders sollte man sonst Ihre Reaktion auf den Wahlslogan "Arbeit, Familie, Vaterland" verstehen? Haben Sie kein Vaterland? Wollen wir wirklich alle Worte, die während der Hitler-Diktatur benutzt wurden aus unserem Wortschatz streichen? Dann sollten wir uns auf neue Sprache einigen!
Welchem Herren dienen Sie eigentlich? Dem Volke? Der Nation? Dem Vaterland ja offensichtlich nicht.Peinlich nur, dass sich Ihr Arbeitsplatz in einem Hause befindet, das die Aufschrift "Dem deutschen Volke" tägt. Wie können Sie das mit Ihrer Einstellung vereinbaren?
Ob Sie mir antworten?

Mit freundlichen Grüßen
H. Buss

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Buss,

zunächst möchte ich auf Ihre letzte Frage eingehen: selbstverständlich antworte ich Ihnen. Ihre Haltung kann ich allerdings ganz und gar nicht teilen. Zuerst muss gesagt sein: als Abgeordneter des Deutschen Bundestages und zugleich Mitglied einer demokratischen Partei verstehe ich wie die anderen Mitglieder des Deutschen Bundestages meine Tätigkeit als eine Aufgabe, bei der es darum geht, eine Politik für die Menschen in unserer Gesellschaft, für die Menschen in Deutschland zu machen.
Ohne Zweifel geht es hierbei vor allem darum, die Voraussetzungen zu schaffen, dass Menschen in Arbeit und dadurch in eine materielle Situation kommen, in der sie das tun können, was sich die meisten Menschen wünschen: eine Familie gründen. Arbeitsmarkt- und Familienpolitik gehören zu den Kernfeldern der Politik.
Die Äußerungen eines gewissen sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten machen mich allerdings insofern betroffen, als dass die von ihm gewählte Parole identisch ist mit der Losung des Vichy-Regimes in Frankreich, das mit den Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges kollaborierte. Das zutiefst autoritäre und antidemokratische Vichy-Regime hatte den Ausdruck ganz bewusst als Gegensatz zu dem Motto der französischen Republik und zu den Werten der französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ gewählt. Insofern braucht es nicht zu verwundern, dass die NPD die vom Vichy-Regime geprägte Parole „Arbeit, Familie, Vaterland“ zum Motto ihres Parteitages im letzten Jahr gemacht hat.

Es geht nicht darum, einzelne Worte aus unserem Sprachgebrauch zu eliminieren. Aber es kommt darauf an, warum man welche Worte in einer bestimmten Situation benutzt. Und hier ist der Verdacht nicht unbegründet, dass sich der entsprechende Abgeordnete der rechtsextremen und nationalistischen Neigungen bestimmter Gruppen, die die Werte unserer Gesellschaft wie die Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie und Solidarität grundsätzlich ablehnen, anbiedert statt sich mit Ihnen auseinanderzusetzen. Schließlich äußerte er, dass man Themen wie Arbeit, Familie und Vaterland nicht den Extremisten überlassen dürfe. Hier muss man sich doch fragen: sind diese Themen bislang etwa nicht Themen der CDU gewesen? Werden diese Themen etwa erst zu solchen der CDU, wenn man sie in einer Weise propagiert, wie das die NPD tut?
Scheinbar gelingt es immer wieder, dass sich in der CDU rechtsradikales Gedankengut einnistet. Es offenbart sich (wie auch im Fall Hohmann) ein weiteres Mal auf schockierende Weise das Diktum von Franz-Josef Strauss, der die Union dazu aufrief, dafür zu sorgen, dass es rechts der Union keine politische Kraft geben kann. Demokratische Parteien sollten nicht versuchen am rechten Rand zu fischen, sondern müssen sie im Kampf gegen Rechts gemeinsam Verantwortung übernehmen und zusammenzustehen.

Es ist offensichtlich, dass hier versucht wird, zu Wahlkampfzwecken um die Gunst derer zu buhlen, denen wir sicher mit anderen Mitteln entgegentreten müssen als mit der Aufnahme ihrer Forderungen und der Übernahme ihrer fremdenfeindlichen Parolen. Sich an die Sprache und die Argumente des Vichy-Regimes oder der Neonazis halte ich für alle demokratischen Parteien für untragbar.

Mit freundlichen Grüßen,

Wolfgang Thierse