Frage an Wolfgang Thierse von Joachim K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. h. c. Thierse,
wenn ich mich recht entsinne, liegen Ihre politischen Wurzeln in der Bürgerrechtsbewegung der damaligen DDR. Ich glaube mich zu erinnern, das Anliegen dieser Bewegung war es, a) demokratische Strukturen zu schaffen und b) die Beschnüffelungs- und Sanktionierungspraxis des MfS zu beenden.
Zu beiden Zielen ergeben sich für mich Fragen an Sie:
Zu a)
Da zur demokratischen Entwicklung in Russland (aktuelles Beispiel von heute: gewaltsames Vorgehen russischer Sicherheitsorgane gegen friedlich demonstrierende Putingegner auf dem Puschkin-Platz, Moskau) von Ihnen keine kritischen Äußerungen zu vernehmen sind: Teilen Sie die Meinung Gerhard Schröders (Aufsichtsratschef Gazprom Pipeline-Konsortium), Putin sein ´ein lupenreiner Demokrat´?
Kennen Sie Brechts Satz: ´Erst kommt das Fressen und dann die Moral?
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen beiden Fragen?
Zu b)
Da zu den Überwachungs- und Beschnüffelungsplänen des Herrn Innenministers Schäuble von Ihnen keine kritischen Äußerungen zu vernehmen sind:
Sehen Sie auch die Überwachungs- und Beschnüffelungspraxis der STASI heute in milderem, verständnisvollerem Licht? Mit einer Doppelfrage möchte ich enden und mich in die Reihe derer einreihen, die seit einem Vierteljahr untertänigst auf Antwort von Ihnen warten: Können Sie erklären, weshalb Abgeordnete jeweils kurz vor Wahlen das Gespräch mit dem Souverän (ich weiß, das ist ein sehr sehr antiquiertes Wort) suchen, um nach dem Urnengang wieder in der Versenkung zu verschwinden? Oder teilen Sie diese Meinung nicht, weil Ihr persönliches Verhalten nicht verallgemeinbar ist?
Demokratische Grüße,
J.K.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe mich am Modell "Kandidatenwatch" im Bundestagswahlkampf 2005 beteiligt. Nachdem dieses nun in Form von "Abgeordnetenwatch" weitergeführt wird, habe ich die Vor- und Nachteile vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen aus dem Bundestagswahlkampf gründlich abgewogen und bin zu dem Entschluss gekommen, mich an der Weiterführung dieses Kommunikationsinstrumentes nicht zu beteiligen.
Der für mich ausschlaggebende Grund ist, dass eine direkte persönliche Kommunikation über "Abgeordnetenwatch" nur bedingt möglich ist. Zu einem Gespräch, zu einem Briefverkehr oder auch zur elektronischen Kommunikation gehört aus meiner Sicht unabdingbar dazu, dass die Gegenüber sich zumindest mit Namen und den wesentlichen Adressdaten bekannt sind. Dieses gegenseitige Kennenlernen, welches immer den ersten Schritt einer Kommunikation ausmacht, ist auf der Plattform "Abgeordnetenwatch" nicht möglich.
Der Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern ist mir sehr wichtig. Auf meiner Homepage www.thierse.de informiere ich über meine politische Arbeit und verweise u.a. dort auf die zahlreichen Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit mir. Ich möchte Sie daher um Verständnis dafür bitten, dass ich Sie darauf verweise und auf Anfragen über "Abgeordnetenwatch" mit dieser standardisierten Antwort reagiere.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Wolfgang Thierse