Frage an Wolfgang Stefinger von Jan S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Stefinger,
Saudi-Arabien führt seit längerem einen völkerrechtswidrigen Angriffskrig im Jemen. Ich nehme den aktuellen Cholera-Ausbruch zum Anlass, um Ihnen zu schreiben. Aktuell sind mehrere Millionen von Menschen vom Zugang zu sauberem Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung ausgeschlossen. Wiederholt wurde Saudi-Arabien vorgeworfen Tote unter der Zivilbevölkrung nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern auch aktiv Gebäude wie Krankenhäuser, Märkte oder Schulen unter Beschuss zu nehmen. Auch wurde Saudi-Arabien vorgeworfen Cluster-Munition einzusetzen; dies auch in von Zivilisten besiedelten Gebieten. Saudi Arabien hat wiederholt Rüstungsexporte aus Deutschland erhalten und gilt als "strategischer" Verbündeter Deutschlands im Nahen Osten. Wie ist Ihre Position zu dem Konflikt im Yemen und der Rolle Saudi-Arabiens? Was Gedenken Sie gegen den Krieg im Yemen und die Kriegsverbrechen der Koalition unter Führung Saudi-Arabiens zu Unternehmen?
Vielen Dank und viele Grüße
Jan Stratil
Sehr geehrter Herr Stratil,
haben Sie besten Dank für Ihre Email über Abgeordnetenwatch, in der Sie zu dem Konflikt im Jemen fragen.
Auch wenn der Schwerpunkt meiner politischen Arbeit auf dem Gebiet der Bildungs- und Forschungspolitik liegt, so verfolge ich die aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen mit großer Aufmerksamkeit und Sorge.
Es ist an dieser Stelle unmöglich, den Konflikt im Jemen in all seinen Facetten zu beleuchten. Festzuhalten bleibt: In den Konflikt sind zahlreiche Konfliktparteien involviert. Er ist hochkomplex und trägt mitunter Züge eines Stellvertreterkrieges. Eine völlig verkürzte Sicht wäre es, Saudi-Arabien als den Hauptschuldigen hinzustellen. Auch gibt es leider keine einfachen und schnellen Lösungen.
Seit dem 26. März 2015 führt eine Allianz von Staaten der Region unter der Führung des Königreiches Saudi-Arabien in Jemen Luftschläge gegen Kräfte der Huhti-Saleh-Allianz an. Auslöser des bewaffneten Konflikts, unter dem Millionen von Menschen leiden, war die Besetzung der jemenitischen Hauptstadt Sanaa durch Milizen der Huthi-Bewegung (schiitisch) im September 2014. Die überwiegend aus dem Norden stammende, in den 1990er Jahren entstandene politisch-militärische Bewegung hat weite Teile des Landes und des Sicherheitsapparats unter ihre Kontrolle gebracht. Offiziell wendet sie sich gegen Benachteiligung durch die sunnitische Zentralregierung, doch deutet ihr Slogan „Gott ist groß! Tod Amerika, Tod Israel, verflucht seien die Juden! Sieg dem Islam!“ klar auf eine radikal-islamische Ausrichtung hin. Sie wird dabei offenbar durch den Iran (schiitisch) unterstützt, der als Erzrivale Saudi-Arabiens (sunnitisch) gilt und seinen Einfluss in der Region weiter ausbauen will. Der Huhti-Miliz schlossen sich Anhänger des früheren Präsidenten Saleh an, der einige Jahre zuvor durch Massenproteste zum Rücktritt gezwungen worden war.
Im Süden des Landes strebt eine Bewegung die Loslösung des seit 1990 mit dem Nordjemen vereinigten Südens an. Die Spaltung des Landes nimmt somit weiter zu. Auch die Terrororganisationen „Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel“ und der sog. Islamische Staat (IS) sind seit Jahren in der Region aktiv und nutzen das entstandene Machtvakuum für ihre Zwecke. Immer wieder kommt es auf der arabischen Halbinsel, insbesondere auch im Jemen, zu terroristischen Anschlägen und Entführungen.
Der gewählte Präsident der Republik Jemen Hadi, der im Land jedoch kaum noch Rückhalt besitzt und dem nur noch die Flucht blieb, wird von einer Koalition arabischer Staaten (u.a. Ägypten, Katar, Oman, Vereinigte Arabische Emirate) unterstützt, die von Saudi-Arabien angeführt wird. Ob Saudi-Arabien einen „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ führt sei dahingestellt - die militärische Intervention erfolgt mit Billigung des gewählten jemenitischen Präsidenten Hadi, der sich im saudischen Exil befindet. Doch erfolgte das militärische Eingreifen ohne UN-Mandat. Zur Definition des Angriffskrieg-Begriffs verweise ich auf die Resolution 3314 der UN-Generalversammlung.
Laut Angaben der UN hat der Konflikt bereits über 10.000 Todesopfer gefordert. Die humanitäre Situation gilt als katastrophal. Viele Menschen sind von Hunger und Cholera bedroht oder leiden bereits darunter. Der gewaltsame Konflikt im Jemen ist innenpolitisch ein Kampf um Macht und Einfluss und ein Kampf um den Zugang zu Ressourcen. Durch die Vielzahl der beteiligten Akteure hat er aber eine regionale Dimension. Gerade dies macht eine Lösung besonders schwierig.
Der im Frühjahr 2015 ernannte UN-Sondergesandte für Jemen, Ismail Ould Sheikh Ahmed, bemüht sich intensiv um eine politische Lösung des Konflikts. Der Konflikt lässt sich nicht militärisch lösen. Bei seinen Bemühungen wird Sheikh Ahmed von Deutschland und der EU in hohem Maße unterstützt. Die Gespräche über eine Feuerpause bzw. einen Waffenstillstand und eine friedliche Lösung gestalten sich jedoch aufgrund der höchst unterschiedlichen Interessenlagen der Konfliktparteien äußerst schwierig. Sämtliche Friedensgespräche verliefen bisher erfolglos. Deutschland und seine Partner haben die Konfliktparteien wiederholt aufgefordert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Ich begrüße es außerordentlich, dass Deutschland die Berghof Foundation, eine unabhängige und gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, weiterhin bei ihren Bemühungen unterstützt, alle jemenitischen Gruppen im Rahmen eines inklusiven informellen Dialogformats zusammenzubringen.
Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen sind ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht und nicht hinnehmbar. Immer wieder werden gegen die Konfliktparteien - keineswegs nur gegen Saudi-Arabien - Vorwürfe von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. Deutschland und seine Partner haben die Konfliktparteien mehrfach aufgefordert, bei ihren Kampfhandlungen alles zu unterlassen, was das Leben von Zivilisten gefährden könnte. Eine nationale jemenitische Untersuchungskommission sowie ein gemeinsames Auswertungsgremium der Militärkoalition gehen derzeit Vorwürfen von Verletzungen humanitären Völkerrechts nach. Die Einrichtung solcher Gremien ist ein erster wichtiger Schritt. Ziel sollte aber die Einrichtung einer internationalen Kommission sein, um eine unabhängige Untersuchung sicherzustellen. Dafür setzt sich Deutschland mit Nachdruck ein.
Der UN-Sicherheitsrat hat zwischenzeitlich ein Waffenembargo und Sanktionen gegen die Huthi-Milizen verhängt. Die Regierung Saudi-Arabiens hat vor einigen Monaten erklärt, die Bundesrepublik künftig nicht mehr um Genehmigungen für die Lieferung von Rüstungsgütern zu bitten. Bei allen Differenzen in politischen Fragen, etwa in Fragen der Menschenrechte, bleibt Saudi-Arabien ein wichtiger Partner Deutschlands in der Golfregion. Als geographischer Ursprungsort des Islams hat das Königreich eine gewichtige Stimme in der islamischen Welt und ist ein unverzichtbarer Dialogpartner in der Region.
Auch jenseits der politisch-diplomatischen Ebene engagiert sich die Bundesregierung in hohem Maße, um die Not der Menschen im Jemen zu lindern. Dabei gliedert sich die deutsche humanitäre Hilfe in das von den UN koordinierte humanitäre System ein und unterstützt deutsche Nichtregierungsorganisationen und die humanitären Organisationen der UN im Rahmen des humanitären Hilfsplans, sowie die internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung.
Die Schwerpunkte der deutschen humanitären Hilfe in Jemen sind Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene sowie Schutzmaßnahmen. Einen wichtigen Beitrag leistet die Bundesregierung auch für das Welternährungsprogramm, dessen Schwerpunkt auf Ernährungssicherung liegt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Eindämmung des aktuellen Cholera-Ausbruchs. Darüber hinaus führt die Bundesregierung die Entwicklungszusammenarbeit - im Gegensatz zu einer Reihe anderer Staaten - weiter. Die Entwicklungszusammenarbeit wurde an den Krisenkontext angepasst, um etwa noch vorhandene öffentliche Strukturen zur Versorgung der Bevölkerung mit Basisdienstleistungen aufrechtzuerhalten. Unser Land ist der drittgrößte bilaterale Geber an humanitärer Hilfe im Jemen. Im Jahr 2016 hat das Auswärtige Amt hierfür mehr als 32 Mio. Euro bereitgestellt, u.a. für den Yemen Humanitarian Pooled Fund der UN, mit dem Hilfsprojekte lokaler Nichtregierungsorganisationen unterstützt werden. Für dieses Jahr stellt die Bundesregierung angesichts des gestiegenen humanitären Bedarfs nach derzeitigen Planungen 125 Mio. Euro für humanitäre Hilfsmaßnahmen zur Verfügung.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen und zeigen, dass Deutschland sich sowohl auf diplomatischer als auch auf humanitärer Ebene intensiv darum bemüht, die Lage im Jemen zu verbessern und die Waffen zum Schweigen zu bringen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Stefinger, MdB