Frage an Wolfgang Rose von Kerstin B. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben
Sehr geehrter Herr Rose,
als Landesbezirksleiter von ver.di Hamburg, haben sie in den letzten Jahren massiv Kritik an den Sparmaßnahmen des Senats geübt. Sollten die bisherigen Umfragen sich bewahrheiten, können sie direkten Einfluss auf die Korrekturen der politischen Entscheidungen der letzten Jahre nehmen. Daher meine Fragen:
Welche Entscheidungen gehören korrigiert?
Wie wollen sie dies finanzieren?
Bei welchen Entscheidungen würden sie auch gegen die eigene Partei stimmen?
Ich würde sie bitten diese Frage nicht zu allgemein, sondern möglichst konkret an Beispielen zu beantworten. Gerade in Anbetracht der aktuellen Äußerungen von Olaf Scholz, „er habe die Gewerkschafter in seiner Partei schon eingenordet“ (Abendblatt, 20.01.11) ist mir dies als Gewerkschaftsmitglied wichtig!
Liebe Kollegin Burger,
vielen Dank für Ihre engagierten Fragen, die ich gern so konkret beantworten werde, wie es derzeit möglich ist.
Sie fragen, welche Entscheidungen korrigiert gehören? Natürlich eine ganze Menge, ich nenne aus meiner Sicht die wichtigsten:
- Die Hafeninfrastruktur muss von der Stadt betrieben und auch finanziert werden; die unsinnige Parole des jetzigen Senats "Hafen finanziert Hafen" öffnet nur einer weiteren Privatisierung Tür und Tor, mit den bekannten negativen Folgen für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten
- Die Stadt muss wieder aktiv Wohnungsbau fördern, anstatt wie der jetzige Senat zunehmende Wohnungsnot und Mietenexplosion in Kauf zu nehmen; wir brauchen 6.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 2.000 Sozialwohnungen
- Die Förderung von Langzeitarbeitslosen mit Weiterbildung und Jobangeboten ist es den letzten zehn Jahren um mehr als 2/3 zusammengestrichen worden. Wir wollen wieder mehr Qualifizierungsangebote und bessere Jobangebote als 1-Euro-Jobs. Allerdings sind auch die Zuschüsse des Bundes zur Arbeitsmarktpolitik, die den Löwenanteil ausmachen, gerade um 40 Mio. Euro gekürzt worden; das kann Hamburg nur z.T. kompensieren.
- Die Erhöhung der Kita-Gebühren muss zurückgenommen werden. Mittelfristig wollen wir das Grundangebot in den Kitas ganz gebührenfrei machen, denn es geht um vorschulische Bildung, die allen zu Gute kommt.
- Auch bei der Hort-Betreuung darf der sinnvolle Ausbau des Angebots nicht mit einer Verschlechterung der Qualität durch zu große Gruppen bezahlt worden.
- Die Studiengebühren gehören wieder abgeschafft, und auch die Zuschüsse an das Studierendenwerk müssen so bemessen sein, dass die Essenspreise in den Mensen für alle bezahlbar bleiben.
- Die Streichung des Weihnachtsgeldes für Beamte ist de facto eine Gehaltskürzung, sie muss zurückgenommen werden.
- Die Zuwendungen an freie Träger im Sozialbereich sind über Jahre hinweg kaum oder gar nicht angehoben worden, so dass dort entweder zunehmend unter Tarif bezahlt wird oder die Qualität der Arbeit leidet.
- Das derzeitige HVV-Sozialticket für ärmere Menschen verdient seinen Namen kaum, denn es ist nur wenig günstiger als normale Tickets; wir brauchen wieder ein echtes Sozialticket
- Die Kürzungen im Kulturbereich sind falsch, denn sie treffen, v.a. bei den Bücherhallen, die Kulturangebote für die Masse der Menschen, während gleichzeitig für die Elbphilharmonie ein Vielfaches ausgegeben wird
Sie fragen, wie wir bzw. ich dies finanzieren wollen? Die Frage ist berechtigt, denn infolge der Steuergeschenke der Berliner Regierung und der Wirtschafts- und Finanzkrise ist Hamburgs Haushaltslage sehr angespannt. Deshalb wird auch ein SPD-geführter Senat nicht alles machen können, was wir gerne wollten, vor allem nicht sofort. Dennoch können Finanzmittel freigemacht werden, und zwar durch Umschichtungen, durch das Unterlassen unsinniger Ausgaben (z.B. zu viele Leitungspositionen, zu viel Bürofläche, zu viele teure Gutachten), und durch einen wirkungsvollen Steuervollzug. Vor allem letzteres wird erhebliche Mehreinnahmen erzeugen. Außerdem ist mir wichtig, dass der Hamburger Senat sich auf Bundesebene für gerechtere Steuern stark macht, d.h. vor allem für höhere Spitzensteuersätze und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Denn das Grundproblem sind nicht zu hohe Ausgaben, sondern zu geringe Einnahmen. In den letzten zwanzig Jahren fand eine Umverteilung zugunsten des privaten Reichtums, aber zulasten der Masseneinkommen und der öffentlichen Hand in gigantischem Ausmaß statt. Das muss sich wieder ändern.
Sie fragen, bei welchen Entscheidungen ich auch gegen die eigene Partei stimmen würde? Mein Ziel ist, nicht bei Abstimmungen den einsamen Helden zu spielen, sondern im Vorwege möglichst viel von meinem bzw. den gewerkschaftlichen Anliegen durchzusetzen. Wo dies nicht gelingt, muss ich im Einzelfall entscheiden. Klar ist, dass demokratisches Regieren nicht ohne Kompromissbildung abgeht und ohne das Prinzip des Fraktionszwangs schlecht funktioniert. Aber natürlich kann es Einzelfälle geben, wo es klar gegensätzliche Gewerkschaftsbeschlüsse gibt, oder wo ich etwas mit dem eigenen Gewissen nicht vereinbaren kann.
Im übrigen kann ich Ihnen versichern, dass Olaf Scholz nicht vorhat, die Gewerkschafter in der SPD "einzunorden". Die Berufung von Frank Horch als Schatten-Wirtschaftssenator bedeutet keineswegs, dass jetzt eine arbeitnehmer- oder gewerkschaftsfeindliche Politik droht. Grundlage für die SPD-Senatspolitik sind die Positionen der SPD, und die sind in den letzten Jahren wieder viel deutlicher an gewerkschaftliche Positionen herangerückt, als das um die Jahrtausendwende der Fall war. Außerdem können Sie sich darauf verlassen, dass ich mich nicht "einnorden" lasse, selbst wenn das jemand versuchen würde.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Rose