Frage an Wolfgang Gunkel von Gabriele R. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Gunkel,
mich würde interessieren, wie Sie zu dem Thema der Arbeitnehmer-Freizügigkeit stehen, das doch gerade in Ihrem grenznahen Wahlkreis, der sich u. a. auch durch eine hohe Arbeitslosigkeit auszeichnet, m. E. für die Wähler sehr von Bedeutung ist?
Wie wird sichergestellt, dass es durch die Arbeitnehmer-Freizügigkeit nicht zu noch mehr Lohndumping und ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen kommen wird?
Wie weit sind die Vorhaben bzgl. Mindestlohn, die Frau von der Leyen in der Zeit-Online vom 01.05.2011 ankündigte?
Ein Beispiel aus dem Realleben:
Ein Arbeitnehmer, 2010 als Arbeitsloser eingestellt, wurde dem Arbeitgeber durch die Agentur für Arbeit gefördert, erhält nun seine Kündigung, da er mit einem Stundenlohn von 7,00 € / h zu teuer ist, denn polnische Arbeitskräfte arbeiten schon für 3,50 € / h. Ganz systematisch werden die deutschen Arbeitskräfte ausgetauscht. Ich frage mich, wurde hier schon einmal kontrolliert, wie von Bundesfinanzminister Schäubele, ebenso in der Zeit-Online vom 01.05.2011, angekündigt? Vermutlich nicht, denn der Arbeitgeber ist billig, so billig dass er einen Preis-Vorsprung vor Mitkonkurrenten um Aufträge aus der Bundesverwaltung hat.
Besagter Arbeitgeber verhinderte übrigens auch die Gründung eines Betriebsrates. Einfach mit der Kündigung gedroht und schon machen die Arbeitnehmer alles was verlangt wird.
Grüße aus der Realität
G. Reuter
Sehr geehrte Frau Reuter,
wie Sie sicher wissen, ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Artikel 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der europäische Union und im Artikel 15 Absatz 2 der Charta der Grundrechte als Grundrecht garantiert. Weit vor Beginn der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa am 1. Mai dieses Jahres haben wir Sozialdemokraten uns dafür eingesetzt, dass auch hier in Deutschland ein flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn von ehemals angedacht 7,50 ,nun 8,50 Euro, als untere Lohngrenze eingeführt wird. Leider haben wir dafür weder in der großen Koalition noch als Oppositionspartei bei der schwarz-gelben Bundesregierung Mehrheiten bekommen.
Ich gehe davon aus, dass auch die Bundesarbeitsministerin Frau von der Leyen trotz einzelner Befürworter aus dem Sozialflügel der CDU und weniger Abgeordneter der FDP in der 17. Legislaturperiode die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes nicht durchsetzen wird.
Doch zurück zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und den daraus resultierenden Auswirkungen auf unseren Wahlkreis 158 hier im grenznahen Raum. Ja, sie haben Recht, dass in unserer Region die Arbeitslosigkeit und die Anzahl der Langzeitarbeitslosen seit vielen Jahren sehr hoch ist. Die Gründe dafür liegen im Zusammenbruch ganzer Industriezweige nach der Wiedervereinigung, von der sich die Region bis heute nicht erholt hat. Aus meiner Sicht ist diese Strukturschwäche auf die „Leuchtturmpolitik“ und eine verfehlte Lohnpolitik der sächsischen Staatsregierungen unter der Regie der CDU Sachsen zurückzuführen.
Seit 2002 trete ich deshalb für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und mehr Arbeitnehmerrechte ein.
Es ist bekannt, dass der Freistaat Sachsen im deutschlandweiten Vergleich bei der Lohnentwicklung und der Höhe der Löhne mit zu den Schlusslichtern gehört. Genau wegen dieser dramatischen Situation ist die sogenannte „Schwemme“ von Arbeitnehmern mit Einführung der Freizügigkeit in unserer Region ausgeblieben.
Die polnischen Arbeitskräfte, die, wie von Ihnen beschrieben, auch für 3,50 Euro pro Stunde arbeiten, sind in der Minderheit. Ich bedauere sehr, dass das von Ihnen beschriebene Fallbeispiel ohne Benennung der Branche erfolgt ist, denn so kann ich leider nur vermuten, dass es sich um eine Arbeitsstelle in einem Bereich handelt, wo offenbar nicht einmal ein branchenbezogener Mindestlohn zu Grunde liegt. Bedauerlicherweise haben in diesem Fall die von Ihnen geforderten Kontrollen nur Erfolg und können rechtlich geahndet werden, wenn der Stundenlohn von 3,50 Euro 50 Prozent unter dem üblichen Branchenlohn liegt. Der von Ihnen beschriebene, aus meiner Sicht als sittenwidrig einzustufende Lohn und die Entlassung von Mitarbeitern mit einem höheren Lohn ist nur möglich, wenn die Gewerkschaften in diesem Unternehmen außen vor sind.
Wie mir durch Gespräche mit Arbeitnehmern und Gewerkschaftern bekannt ist, ist es tatsächlich in unserem Wahlkreis Realität, dass diverse Arbeitgeber die Gründung eines Betriebsrates durch Einsatz sittenwidriger Mittel verhindern. Im § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes wird ein derartiges Vorgehen eines Arbeitgebers als Straftat aufgeführt, wobei der verantwortliche Arbeitgeber mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder zu einer Geldstrafe verurteilt werden kann. Deshalb ist es wichtig, dass zur Gründung eines Betriebsrates die zuständige Gewerkschaft hinzugezogen wird, um auch bei Verhinderungsversuchen die notwendigen juristischen Maßnahmen einleiten zu können. Für einen Arbeitnehmer ohne gewerkschaftliche Bindung ist eine wirkungsvolle Vorgehensweise gegen den Arbeitgeber nur unter schwierigsten Voraussetzungen realisierbar.
Noch zu Ihrer Information: Bereits am 27. Januar dieses Jahres hat die SPD–Bundestagsfraktion nach Beginn der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa den Antrag eingebracht „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Forderung ist u. a., dass eine Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor verhindert sowie Lohn- und Sozialdumping auch in der grenzüberschreitenden Leiharbeit nicht möglich ist. So sollen auch Leiharbeiter spätestens nach einem halben Jahr den gleichen Lohn und die gleichen sozialen Rechte wie ihre Kollegen erhalten. Die SPD-Fraktion fordert, dass alle Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden, damit Mindestlohntarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden könnten.
Wenn Sie konkret zu den geschilderten Fallbeispielen eine klare Aussage wünschen, so bitte ich Sie, mir vertrauensvoll die konkreten Fakten mitzuteilen, denn nur durch Kenntnis des genauen Sachverhaltes kann ich konkret antworten.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Gunkel