Frage an Waltraud Wolff von Marco B. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Wolff,
angesichts der bevorstehenden ESM - Abstimmung bitte ich Sie, sich gegenüber den Bürgern aus Ihrer Heimat zu erklären, ob Sie am Donnerstag für oder gegen den unbegrenzten ESM - Blankoscheck für vertragsbrüchige EU - Mitgliedsstaaten stimmen werden. Sollten Sie ggf. noch unsicher sein, was der weit überwiegende Teil des Wahlvolkes denkt und von Ihnen erwartet, dann werfen Sie doch bitte einen Blick auf die Lesermeinungen & Kommentare in F.A.Z., Zeit, Spiegel oder Handelsblatt zu diesem Thema.
Im Vertrauen darauf, dass Sie sich dem einzigen Souverän verpflichtet fühlen - den in diesem Land lebenden Menschen - verbleibe ich
mit freundlihen Grüßen
Marco Behrens
Sehr geehrter Herr Behrens,
viele Menschen in Deutschland sind angesichts der aktuellen Debatte über die zu ergreifenden Maßnahmen zur Stabilisierung der Währungsunion und zur Unterstützung der hochverschuldeten Euro-Länder zutiefst verunsichert und machen sich Sorgen: Sorgen um die Stabilität unserer Währung, um das Ersparte und Erarbeitete und die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes.
Ich kann diese Sorgen nachvollziehen: Keine der möglichen Antworten kann für sich in Anspruch nehmen, keine Risiken zu beinhalten.
Um die derzeitigen Probleme zu meistern, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Europa – daran habe ich keinen Zweifel. Nur mit einer starken Europäischen Union wird Deutschland in einer immer mehr globalisierten Welt auch in Zukunft wirtschaftlich und politisch eine Rolle spielen.
Deutschland ist der Gewinner Europas: Politisch, weil es die deutsche Einheit ohne die europäische Einigung nicht gäbe. Wirtschaftlich, weil Millionen deutscher Arbeitsplätze vom Export deutscher Güter und Dienstleistungen in die Europäische Union und die Euro-Zone abhängen.
Deshalb bin ich grundsätzlich für die europäischen Rettungsschirme. Sie sind Ausdruck der innereuropäischen Solidarität. Diese Solidarität ist selbstredend keine Einbahnstraße. Die von der Refinanzierungskrise betroffenen Staaten müssen ihrer Verantwortung für den Abbau ihrer Verschuldung gerecht werden. Wir werden uns auch weiterhin für eine Wachstumsstrategie stark machen, denn ohne wirtschaftliches Wachstum in den Krisenstaaten kann die notwendige Konsolidierung ihrer Haushalte nicht gelingen.
Unsere Anforderungen sind klar: Alle Eurostaaten müssen ihre Staatsschulden in den Griff bekommen, die Gläubiger müssen sich beteiligen, die Finanzmärkte müssen besser reguliert werden, die Wirtschaftspolitik innerhalb der EU muss besser koordiniert werden.
Es geht aber nicht nur um’s Sparen allein, wir müssen genauso in Wachstum investieren. Die Einnahmen einer Finanztransaktionssteuer müssen dazu dienen, Europa und vor allem den Krisenstaaten in Südeuropa auch eine Wachstumsperspektive zu geben. Die drastischen Sparmaßnahmen z. B. in Griechenland werden das Land nicht aus der Krise führen. Im Gegenteil: die Sparmaßnahmen allein führen zu einer ständig steigenden wirtschaftlichen Rezession im Land. Im Ergebnis reichen alle Sparanstrengungen nicht einmal aus, den wirtschaftlichen Rückgang auszugleichen – geschweige denn die Verschuldung abzubauen. Ohne die Kombination der notwendigen Sparmaßnahmen mit Investitionen in Infrastruktur, Bildung und wirtschaftliches Wachstum wird das Land immer mehr in einen krisenhaften Zyklus gezwungen, dessen Folgen die Bevölkerung nicht auf Dauer akzeptieren wird.
Deutschland hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Griechenland in der Euro-Zone zu halten. Die Folge einer fortgesetzten wirtschaftlichen Rezession in Griechenland und dem damit nicht mehr auszuschließenden Staatsbankrott oder einem Austritt aus der Euro-Zone wären auch für unser Land dramatisch: die erneute Stabilisierung betroffener deutscher und europäischer Banken und vor allem die Gefahr der „Ansteckung“ weiterer Mitgliedstaaten der Euro-Zone würde zu immer größeren finanziellen Anstrengungen führen, um eine allgemeine wirtschaftliche Rezession und steigende Arbeitslosigkeit auch in Deutschland zu verhindern.
Die parlamentarischen Beratungen zum dauerhaften Rettungsschirm - dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) - haben jedoch noch nicht begonnen – auf europäischer Ebene wird neu verhandelt. Die Abstimmung über den jetzt vorliegenden Entwurf für einen weiteren Europäischen Rettungsschirm (EFSF) sowie die zeitgleich vorgelegten Regeln für die Beteiligung des Deutschen Bundestages und den Schutz des Budgetrechts für das deutsche Parlament sind aber nur der erste Schritt zu einem finanziell stabilen und wirtschaftlich erfolgreichen Europa.
Mit freundlichen Grüße
Waltraud Wolff