Frage an Walter Kolbow von Rainer B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kolbow,
auf Basis des vor einigen Monaten verkündeten neuen Grundsatzprogramm der SPD habe ich überlegt in die Partei einzutreten.
In diesem Programm wird das Thema Menschnrechte neu priorisiert.
Ihre jetzige Kritik an dem Treffen von Frau Witcorek-Zeul mit dem Dalai Lama ist für mich ein Verstoß gegen dieses Grundsatzprogramm wie auch schon die Kritik von Herrn Steinmeier an dem Treffen der Kanzlerin vor einigen Monaten.
Das erscheckt mich sehr!
Daher möchte ich Sie fragen wie ernst es Ihnen und der SPD insgesamt mit dem Thema Menschenrechte wirklich ist?
Haben bei Ihnen kurzfristige wirtschaftliche Interessen doch Vorrang vor den Menschrechten?
Dann ist die SPD wohl doch nicht die richtige Partei für mich.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Baack
Sehr geehrter Herr Baack,
es freut mich, dass die Positionen der SPD offenbar mit Ihren politischen Überzeugungen soweit übereinstimmen, dass Sie einen Beitritt erwägen. Sie empfinden meine Kritik an publikumswirksamen Terminen deutscher Politiker mit dem Dalai Lama als einen Verstoß gegen das Grundsatzprogramm der SPD. Zur Außenpolitik heißt es dort:
„Die internationale Politik der deutschen Sozialdemokratie dient dem Ziel, Konflikte zu verhindern und Frieden zu schaffen. Unsere Prinzipien dafür sind Verständigung, internationale Solidarität und gemeinsame Sicherheit durch Kooperation.“
Das beinhaltet die Auseinandersetzung und den Dialog innerhalb vorgegebener außenpolitischer Strukturen und die Berücksichtigung existierender Machtverhältnisse. Beides ist nicht immer so, wie wir es uns wünschen.
Willy Brandt hat einmal zu diesem Thema sehr treffend folgendes gesagt:
„Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre Realpolitik.“
Friedenspolitik heißt für uns, große Visionen und Hoffnungen vom Frieden, der das Zusammenleben der Völker bestimmen soll, auf die konkreten Realitäten und Herausforderungen unserer Zeit herunterzubrechen und wirksam umzusetzen.
Die Lage der Menschen in der Autonomen Region Tibet ist ohne Zweifel eine Frage, die die Verantwortlichen in China nicht nur kurzfristig sondern auch auf langer Sicht klären müssen. Die SPD und auch ich haben unsere chinesischen Partner stets aufgefordert und ermutigt, den Dialog mit den Abgesandten des Dalai Lama zu führen. Dies ist der richtige und erfolgversprechende Weg. Beide Seiten haben in diesem Frühjahr die Gespräche wieder aufgenommen. Wir erwarten, dass die Gespräche substantiell und zielorientiert geführt werden.
Der Weg des Dialogs ist für beide Seiten politisch nicht unumstritten. Umso wichtiger ist es, dass der Dialogprozess von Außen positiv begleitet wird. Für uns steht im Focus, dass es den Menschen vor Ort durch politische Maßnahmen in der Perspektive besser geht. Grundsätzliche Fragen werden dabei im Rahmen des bilateralen Rechtsstaats- und Menschenrechtsdialog offen angesprochen und diskutiert. Bei meinen Gesprächen in China spielt natürlich auch die Lage der Menschen in Tibet eine wichtige Rolle. Dies ist unser politischer Ansatz, den ich für erfolgsversprechend halte.
Ich habe in Bezug auf das Treffen unserer Entwicklungsministerin mit dem Dalai Lama gesagt, dass ich als Regierungsmitglied ein solches offizielles Gespräch nicht geführt hätte. Nicht nur in der Innenpolitik sondern auch in der Außenpolitik kommt es darauf an, politisches Handeln vom möglichen Ergebnis her zu beurteilen. Ich bin in dieser Frage zu dem Ergebnis gekommen, dass es den Menschen in Tibet mehr nutzt, wenn man im bilateralen Kontakten versucht, Fortschritte zu erreichen.
Die chinesische Regierung fühlte sich durch den Empfang des Dalai Lama – wenngleich auch unnötig – über die Maßen provoziert. Dies war und ist der Ausgangspunkt für die erheblichen Zweifeln Chinas an Deutschlands traditioneller Ein-China-Politik. Die Bundeskanzlerin hat sich – auch was Tibet anbetrifft – wiederholt und zuletzt in einem Telefonat mit dem chinesischen Staatspräsidenten hierzu bekannt, um die entstandenen politischen Irritation im bilateralen Verhältnis wieder auszuräumen.
Diese Phase der bilateralen Verstimmungen – und zwischenzeitlichen Gesprächsabsagen bei so wichtigen Themen wie Klimapolitik und Menschenrechte – hätten wir vermeiden können, wenn auf die gewollten Bilder mit dem Dalai Lama verzichtet worden wäre. Dies hat nicht mit falsch verstandenem Verständnis gegenüber Versäumnissen und Fehlern Chinas bei den Menschenrechten zu tun, sondern mit der grundsätzlichen Abwägungen, mit welchem Vorgehen wir für die Menschen, für die wir uns alle einsetzen wollen, am meisten geholfen wird.
Helmut Schmidt hat in seinem vielbeachteten Vortrag in der DGAP am 12. Juni 2008 sehr treffend gesagt, dass man auch den Chinesen mit Respekt entgegen treten müsse. Immerhin schauten sie schon auf eine über 4000jährige Kulturgeschichte zurück. Veränderungen schaffe man nicht durch Belehrungen sondern durch Dialog, der im Respekt voreinander geführt werden müsse. Wie viele Verantwortliche auch in meiner Partei, habe ich mich für den zwar mühsamen aber dafür erfolgversprechenderen Weg entschieden.
Ich hoffe, ich habe Ihnen meine Position zu der Frage erläutern können und würde mich freuen, wenn sie der Sozialdemokratie nicht nur gewogen bleiben, sondern Ihr Können und Wissen aktiv in die Partei einbringen.
Mit freundlichem Gruß
Walter Kolbow