Frage an Volker Wissing von Ingrid L. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Dr. Wissing,
ich begrüße Ihr Engagement im Zusammenhang mit dem HRE-Komplex und möchte Ihnen auf diesem Weg dafür danken.
Auch ich bin der Auffassung, dass es hier noch einen umfassenden Aufklärungsbedarf gibt.
Ihr Kollege, der Abgeordnete Florian Pronold, sieht das allerdings nicht so.
Auf meine ihm in diesem Forum gestellte Anfrage vom 25.03.09 hat er mir am 27.03.09 u.a. geantwortet:
" Ich teile Ihre Auffassung, dass die Öffentlichkeit ein Recht auf Aufklärung hat…
Diesem Recht auf Information tragen Parlament und Regierung Rechnung. Die Bundesregierung hat in den letzten Sitzungen des Finanzausschusses beispielsweise auf die Kleine Anfrage der FDP detailliert und in aller Ausführlichkeit zu allen angesprochenen Fragen Auskunft gegeben…“
Weiter sagt er:
„Wie Sie sicher erfahren haben, wollen die Oppositionsfraktionen zur Aufklärung der Vorgänge um die Schieflage der Hypo Real Estate und die staatliche Rettungsaktion die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen. Auch dies trägt dem Recht auf Information der Bürgerinnen und Bürger Rechnung, wenngleich ich keine aufsehen erregenden "Enthüllungen" erwarte, denn die für die Öffentlichkeit relevanten Fakten sind bekannt."
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie nun fragen:
Stimmt es, dass die Kleine Anfrage der FDP umfassend und hinreichend beantwortet wurde?
Warum beantragen die Oppositionsparteien dann einen Untersuchungsausschuss?
Ist Ihnen inzwischen bekannt, wann der Finanzminister Peer Steinbrück erstmals Kenntnis von der "Schieflage" der HRE erlangt hat?
Wenn dieser Punkt so irrelevant ist, wie einige Abgeordnete der Regierungskoalition Glauben machen wollen, warum teilen sie dann nicht einfach das genaue Datum der Kenntniserlangung mit? Warum wird da so gemauert?
Ich wäre dankbar, wenn Sie mir diese Fragen beantworten könnten!
Mit freundlichen Grüßen
Ingrid Linke
Sehr geehrte Frau Linke,
vielen Dank für Ihre Frage vom 28. März 2008.
Damit Sie sich ein Bild von der Qualität der Antworten der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion machen können, habe ich Ihnen eine Kopie beigefügt.
Die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bürgen bei der Hypo Real Estate mittlerweile für einen Betrag in Höhe von mehr als 80 Mrd. Euro. Dieser Betrag entspricht schon fast den gesamten Aufwendungen des Bundes für die Sozialversicherungen. Ein Finanzminister, der die politische Handlungs- und Zukunftsfähigkeit des Landes aufs Spiel setzt, fordert von den Menschen sehr viel Vertrauen ein. Er muss sich dessen allerdings auch als würdig erweisen.
An der Vertrauenswürdigkeit des Bundesfinanzministers gibt es erhebliche Zweifel. So hat der SPD-Minister zu Beginn der Hypo Real Estate wiederholt betont, dass man von den Entwicklungen vollkommen überrascht worden sei. Auf die Nachfrage, ob die deutsche Finanzaufsicht die Bank nicht geprüft habe, erklärte er, dass so etwas rechtlich gar nicht möglich sei. Kurze Zeit später erzählte der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Jochen Sanio, dass man die Hypo Real Estate sehr wohl geprüft habe. Daraufhin musste dann auch die Bundesregierung einräumen, dass das zuständige Referat im SPD-geführten Finanzministerium bereits im März 2008 über die bedrohliche Lage bei der HRE informiert war. In der Antwort auf die Kleine Anfrage, schreibt die Bundesregierung nun sogar, dass bereits zu Beginn des Jahres 2008 die Finanzaufsicht die Gefahren bei der HRE erkannt, entsprechende Sonderberichte eingefordert und diese an das Finanzministerium weitergeleitet habe (Frage 6). Nur hat dort niemand die Brisanz der Berichte richtig eingeschätzt und die Hausleitung informiert. Diese hat angeblich erst am 22. September 2008 davon erfahren (Frage 6). Es hat sage und schreibe neun Monate gedauert, bis das zuständige Fachreferat bis zur Hausleitung durchgedrungen ist. Wie wenig sich die politische Hausleitung generell mit der Finanzaufsicht beschäftigt hat, können Sie der Antwort auf Frage 9 entnehmen.
Ich schreibe Ihnen das deshalb so ausführlich, da bis zum 15. September 2008, dem Tag der Pleite der US-Bank Lehman Brothers, eine Refinanzierung der HRE vielleicht nicht einfach, aber möglich gewesen wäre. Das Bundesministerium der Finanzen ist deshalb mitverantwortlich, an der Katastrophe bei der HRE. Während die Rauchmelder bereits seit Monaten Alarm schlugen, hat das Bundesministerium der Finanzen gewartet bis es bei der HRE lichterloh brannte. Das politisch-administrative Versagen ist offensichtlich.
Aber Fehler können passieren, auch sehr schwere, sogar katastrophale, das liegt in der menschlichen Natur. Aber es ist die Frage, wie wir damit umgehen, ob wir bereit sind daraus zu lernen und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Nach den Ergebnissen und Konsequenzen einer Schwachstellenanalyse befragt, antwortet die Bundesregierung lapidar, dass sie künfitg die "jederzeitige Verfügbarkeit der Entscheidungs- und Verantwortungsträger sicherstellen will" (Frage 11). Wie war das eigentlich vorher?
Die deutsche Finanzaufsicht warnt vor einer Katastrophe und die verantwortlichen Personen sind nicht erreichbar? Wer das liest, dem wird sehr schnell klar, dass in Deutschland eine Finanzkrise keine Frage des ob, sondern eine Frage des wann war. Ich kann der Frage 11 jedenfalls keinen Hinweis entnehmen, dass Peer Steinbrück auch nur ansatzweise willens ist, die offenkundigen strukturellen bzw. organisatorischen Defizite seines Hauses zu beheben. Diese Uneinsichtigkeit ist es, die dazu führt, dass Deutschland auch künftig für Finanzmarktkrisen anfällig sein wird. Ein Ministerium darf Berichte nicht nur abheften, es muss sie lesen und darauf reagieren. Dass SPD-geführte Finanzministerium hat sich als ein finanzpolitisches Sicherheitsrisiko erwiesen und der Untersuchungsausschuss wird darauf drängen, dass dieses beseitigt wird.
Es gibt noch zahlreiche andere offene Fragen. So sprach Peer Steinbrück zunächst von einer "geordneten Abwicklung" der HRE, dann wollte er sie retten schließlich verstaatlichen und kürzlich erschienen Berichte über eine Fusion mit der Eurohypo. Im Finanzausschuss prophezeite der Bundesminister der Finanzen der HRE sogar eine hervorragende Zukunft. Als ich ihn nach dem Geschäftsmodell fragte, welches seinen Optimismus hervorgerufen hat, sagte er mir, dass er das nicht kenne, da dieses Sache der Geschäftsleitung sei.
Dass die SPD keinen Aufklärungsbedarf sieht, mag parteipolitisch verständlich sein, verantwortungsbewusst ist es nicht. Die SPD hat in enger Abstimmung mit dem Finanzministerium verzögert, wo sie kann. Die Frist für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage beträgt normalerweise 2 Wochen. Die Bundesregierung hat sich nahezu 4 Wochen Zeit gelassen, um die Kleine Anfrage der FDP zu beantworten. Auch bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses besteht die SPD auf die formale Einhaltung von Fristen, um die Arbeitsaufnahme des Gremiums zu verzögern.
Die FDP hatte Peer Steinbrück einen großen Vertrauensvorschuss eingeräumt. Wir haben bei der IKB auf einen Untersuchungsausschuss verzichtet, nicht zuletzt, weil der Finanzminister zugesagt hatte, den Deutschen Bundestag künftig umfassend zu informieren. Dieses Versprechen hat er nicht nur nicht gehalten, er hat die Politik des Täuschens und Vertuschens fortgeführt.
Der Minister hat mit seinem Umgang mit der Wahrheit einen Untersuchungsausschuss alternativlos gemacht.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Volker Wissing, MdB