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Volker Wissing
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Frage von Heinrich H. •

Frage an Volker Wissing von Heinrich H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Wissing,

die Vorgänge der letzten Wochen in Europa (EU,Bundestag,Verfassungsgericht) lassen Zweifel aufkommen, ob der Ernst der Lage bewußt ist. Es geht jetzt um den Bestand unserer Demokratie. Können denn die Abgeordneten wirklich einem Vertrag (ESM) zustimmen, in dem festgelegt wird, daß die Mitglieder der neuen bankähnlichen Behörde alles was sie tun geheim halten müssen (Art.34), ihreTätigkeiten jeder gerichtlichen Kontrolle entzogen sind (Art.32), für die Prüfung der billionenschweren Bilanz ihre Prüfer selbst aussuchen können und sogar eine externe Kontrolle durch Rechnungshöfe und Abgeordnete nicht stattfinden darf? ( Prof. Homburg, FAS 29.7.12). Die Hoheit und Kontrolle über das Finanzgebahren des Staates ist eine der wichtgsten Aufgaben einer freiheitlich-parlamentarischen Demokratie. Die Zustimmung zum ESM-Vertrag käme einem Ermächtigungsgesetz zur Teilabschaffung der Demokratie gleich. Die Hoheit über das gesamte Finanzwesen in ganz Europa hätte künftig ein Duo von Aufsichtsrat und Vorstand im ESM, die nationalen Parlamenrte sind ausgebotet. Welcher Abgeordnete könnte das verantworten, wo er doch geschworen hat, das deutsche Volk vor Schaden zu bewahren und die unter unendlichem Leid und nach katastrophalen Verirrungen mühsam errungene freiheitliche Rechtsordnung unser höchstes Gut ist ?
Dies alles träfe nicht nur die Staaten, die unter dem "Schirm" stehen. Auch die anderen sind nicht mehr Herr im eigenen Haus, weil sie zahlen müssen - und keiner weiß wieviel. Es sind fantastische Zahlen im Umlauf, deren Bandbreite einem schon schaudern läßt (Risiko für Deutschland min 190 Mill, aber auch Billionen sind denkbar). Mit jedem zu Rettenden fällt ein Zahler aus, die Anteile der anderen steigen. Daran kann später nichts mehr geändert werden, der Vertrag ist unküdbar - und den Letzten beißen die Hunde.

Wie sehen Sie die Dinge?

Herzliche Grüße

Prof. Heinrich Heyel

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Professor Heyel,

vielen Dank für Ihre Frage vom 2. August 2012.

Die Skepsis und Bedenken vieler Menschen in Zusammenhang mit der Einführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus kann ich sehr gut nachvollziehen. Allerdings müssen diese auch in Relation zu der Dimension der Eurokrise gesehen werden.

Ich bin mir bewusst, dass die Eurostabilisierung in der Bevölkerung kritisch gesehen wird. Aber wir diskutieren leider mehr über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Fiskalpakt als über die Eurokrise, welche diese Maßnahmen notwendig gemacht hat. Das führt zu einer problematischen Entwicklung, die Menschen empfinden nicht die Eurokrise, sondern die Stabilisierungspolitik als Sicherheitsrisiko, und ich halte das für sehr bedenklich. Selbst die 172 Wirtschaftsprofessoren, die sehr publikumswirksam die Eurostabilisierung kritisieren, bleiben in ihrem Aufruf Alternativkonzepte schuldig. Der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn der sich bislang als besonders entschiedener Kritiker der Eurostabilisierung hervorgetan hat, kann in dem Handeln der Bundeskanzlerin keine gravierenden Fehler erkennen. ( http://is.gd/KFtEEu )

Sie sollten nicht vergessen, dass Deutschland nicht nur zahlt, sondern selbst auch ein Schuldnerstaat ist. Jedes Jahr refinanziert Deutschland an den Finanzmärkten 300 Mrd. Euro alte Schulden durch neue Kredite, hinzu kommt eine Neuverschuldung in Höhe von ca. 40 Mrd. Euro. Sollte es uns durch die unkontrollierte Insolvenz von Staaten nicht möglich sein, diesen Betrag zu refinanzieren, dann wäre das auch für unseren Staat und unsere Gesellschaft ein enormer Stresstest. Bei einem Volumen des Bundeshaushaltes in Höhe von ca. 370 Mrd. Euro wäre es uns jedenfalls unmöglich, alle unsere Verbindlichkeiten zu tilgen und gleichzeitig den Sozialstaat aufrecht zu erhalten. Ganz davon abgesehen, dass eine Krise in unseren Nachbarländern auch unsere Wirtschaft hart treffen würde und unser Land geradewegs in eine Rezession führen würde.

Wir können versuchen, die Eurokrise zu bekämpfen, solange sie noch in Griechenland, Portugal, Irland oder Spanien wütet oder aber wir können warten, bis sie unser Land erreicht hat und für die Bürgerinnen und Bürger spürbar wird. Wenn Sie sich einmal entschieden haben, der Eurokrise freien Lauf zu lassen, können Sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zu einer Stabilisierungspolitik zurückkehren, diese wäre dann kaum noch glaubwürdig und deshalb nicht finanzierbar. Aus deutscher Sicht geht es im Kern um die Frage, wie wollen wir unseren Beitrag zur Eurostabilisierung leisten. Wir können bedrohte Länder unterstützen und dafür viel Geld ausgeben, oder wir müssen zuschauen, wie unser Land und vielleicht sogar die Weltwirtschaft in eine Rezession abgleitet, mit Massenarbeitslosigkeit und schweren sozialen Verwerfungen. Wollen wir versuchen das Problem auf zwischenstaatlicher Ebene zu lösen oder es lieber national auf wirtschafts- und sozialpolitischer Ebene. Sie scheinen letzteres zu bevorzugen, ich tue mich damit sehr schwer. Eine Rezession mit Massenarbeitslosigkeit trifft die Schwächsten in der Gesellschaft am härtesten.

Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete, dass im Falle eines Auseinanderbrechens der Währungsunion die Wirtschaft um 9,2% einbrechen und die Arbeitslosigkeit auf 9,3% bzw. 3,9 Mio. Arbeitslose steigen würde. Die Steuereinnahmen würden einbrechen, der Bedarf an Sozialausgaben explodieren, gleichzeitig wären diese nicht mehr finanzierbar. Sie würden unzählige Menschen arbeitslos machen und in die Armut stürzen.

Die eigentlich Gefahr für unser Land geht meines Erachtens vor allem von der Eurokrise und nicht von der Eurostabilisierung aus.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Volker Wissing, MdB

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