Frage an Volker Blumentritt von Siegmar H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Blumentritt,
an wen muss ich mich eigentlich wenden, um in den Genuss einer Opferrente für Stasiopfer zu gelangen? Und wann kann damit gerechnet werden, dass das 3. SED- Unrechtsbereinigungsgesetz beschlossen wird? Und wie sieht es mit der Gültigkeit aus? Bekomme ich die Rente auch rückwirkend gezahlt, z.B. vom Tag der strafrechtlichen Rehabilitation an?-Oder erst ab Beginn der Antragstellung?
Mit freundlichen Grüßen
Siegmar Heinrich
Sehr geehrter Herr Heinrich,
vielen Dank für Ihr Schreiben zu den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD vorgelegten Eckpunkten für ein 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Da mich in den letzten Tagen viele gleichlautende Briefe erreicht haben, erlaube ich mir, Ihnen mit diesem Schreiben auch für meine Kolleginnen und Kollegen zu antworten.
Wie Sie sicher wissen, hat der Deutsche Bundestag nun am 1. März 2007 einen Antrag der Koalitionsfraktionen mit Eckpunkten für ein 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz beschlossen. Viele Vertreter von Opferverbänden haben die Bundestagsdebatte im Reichstagsgebäude übrigens auf unsere Einladung direkt verfolgen können.
Gerne erläutere ich Ihnen die Beweggründe, warum CDU/CSU und SPD gemeinsam die nun beschlossenen Eckpunkte vorgelegt haben. Ich bitte um Ihr Verständnis, dass ich dabei nicht auf alle vorgetragenen Bedenken eingehen kann, möchte aber doch gerne die wesentlichen Erwägungen nennen. Ich habe den Text des Beschlusses in der Anlage beigefügt, so dass Sie die Regelungen direkt nachlesen können.
Sie können sicher sein, dass uns das Unrecht, das Sie und viele andere Menschen während der SED-Diktatur erleiden mussten, sehr bewusst ist. Es waren nicht zuletzt auch Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die in den Gefängnissen und Lagern der zweiten deutschen Diktatur zu leiden hatten. Es ist unsere feste Überzeugung, dass Widerstand gegen jegliche Form von Diktatur, das Eintreten für Freiheit und Recht zu den Grundlagen unseres Staatswesens gehören. Denen, die für ihren Widerstand und ihr freiheitliches Verhalten unter der SED-Diktatur Opfer bringen mussten, ist unsere Gesellschaft Dank schuldig. Der Staat sollte auch erlittene Nachteile, soweit möglich, ausgleichen.
Sie kritisieren, dass die von den Fraktionen von SPD und CDU/CSU gemeinsam vorgesehene Opferpension nicht ausreichend sei. Wie Sie sicher wissen, steht das geplante 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, um das es zurzeit geht, nicht allein. Es ergänzt und erweitert vielmehr zwei weitere Gesetze aus den Jahren 1992 und 1994, in denen die strafrechtliche, die berufliche und die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung von Opfern der SED-Diktatur geregelt wird. Darin wurde beispielsweise die Haftentschädigung festgelegt, ebenso auch die rentenrechtliche Behandlung von Haft- bzw. Verfolgungszeiten. Damit ist auch die Differenzierung, die Sie zu Recht fordern, gewährleistet. Hinzu kamen weitere Gesetze zur Verbesserung der Situation der Opfer in den Jahren 1997, 1999 und 2003. Ich kann verstehen, wenn Betroffene sagen, dass die dort festgelegten Leistungen nicht ausreichen. Allerdings kann man meines Erachtens auch nicht sagen, dass in den seit der Wiedervereinigung verstrichenen Jahren nichts getan worden wäre. Insbesondere möchte ich daran erinnern, dass von der SPD-geführten Bundesregierung unter Gerhard Schröder im Jahre 1999 die Kapitalentschädigung pro Haftmonat auf damals 600 DM erhöht worden ist.
Von Seiten der Opferverbände wurde in der Vergangenheit immer wieder gefordert, dass niemand auf Grund erlittener Haft und nachfolgender beruflicher Schikanen in der DDR im Alter Armut leiden dürfe. Diese Forderung versucht die vorgeschlagene Regelung zu befriedigen. Die vorgesehene Höhe der Opferrente von 250 Euro pro Monat entspricht immerhin etwa 10 Rentenpunkten. Ich bin sicher, dass wir damit vielen Betroffenen helfen werden. Betroffenen, die derzeit in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Für diese Menschen wäre die vorgesehene Opferpension nicht nur eine symbolische Anerkennung ihres Eintretens für Demokratie und Freiheit, sondern würde darüber hinaus vor allem auch deren materielle Not lindern helfen.
Die Koalitionsparteien wollen mit den vorgeschlagenen Maßnahmen die Lebensleistung der vielen mutigen Menschen in der DDR würdigen, die sich gegen das Regime gestellt haben und Opfer von Verfolgung und Unterdrückung waren. Dies ist eine ganz wichtige Aufgabe für das demokratische Deutschland. Wir sind uns vermutlich darin einig, das dies eine sehr umfassende Aufgabe ist, die vielfältige Aspekte hat. Sie ist sicher nicht allein durch finanzielle Zuwendungen zu lösen. Denn kein Geld der Welt kann das erlittene Unrecht wiedergutmachen. Wir haben uns jedoch bemüht, Nachteile auszugleichen und für Genugtuung zu sorgen.
Das jetzt geplante Gesetz ist übrigens auch nicht auf die „Opferrente“ beschränkt. Zwei weitere wichtige Vorhaben kommen hinzu: zum einen sollen die Fristen für die Antragstellung nach den Rehabilitierungsgesetzen verlängert werden. Und zum anderen werden die finanziellen Mittel der Häftlingshilfestiftung in Bonn verdoppelt. Damit können weitere, bisher nicht betroffene Opfer der SED-Diktatur gefördert werden.
Ich verstehe im Übrigen sehr gut, dass manche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Rentenansprüchen von SED-Kadern auf Unverständnis stößt. Aber wie Sie sicher auch wissen, hat der Deutsche Bundestag jeweils versucht, entsprechende Zahlungen zu verhindern. Milliardenzahlungen an ehemalige Stasimitarbeiter hat es dabei übrigens, anders als manche Medienberichte glauben machen wollen, nicht gegeben. Es gibt keinen Stasigeneral, der eine Generalspension bekäme. Die Renten der ehemaligen Mitarbeiter des MfS/ANS sind auf den Durchschnittswert Ost gekappt worden. Diese Kappung ist auch vom Bundesverfassungsgericht als gerechtfertigt anerkannt worden.
Die immer wieder genannte Zahl von etwa 2,5 Milliarden Euro jährlich für Zusatz- und Sonderversorgungen beruht auf einer technischen Entscheidung im Einigungsvertrag, grundsätzlich alle Rentenansprüche aus der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen. Es gab insgesamt ca. 30 Zusatz- und Sonderversorgungssysteme. Das reicht vom Bergmann unter Tage bis zum Lehrer oder Arzt. Jeder, der mehr als die Bemessungsgrenze, das waren 600 Mark, verdient hat, konnte bzw. musste sich zudem freiwillig zusatzversichern. Auch hier hat es ursprünglich Kappungen gegeben, die vor allem gutverdienende Angestellte in den Ministerien und in der Leitung der Betriebe betrafen. Diese sind leider vom Bundesverfassungsgericht als nicht im Einklang mit der Verfassung stehend angesehen worden, woraufhin das Gesetz geändert werden musste. Nach wie vor sind aber Personen, die gegen die Menschenrechte verstoßen haben bzw. in genau definierten leitenden Positionen tätig waren, das reicht bis zum Sekretär einer Kreisleitung der SED, von den Leistungen ausgenommen.
Ich hoffe, ich habe Ihnen die Hintergründe der Eckpunkte und die Vorstellungen von SPD und CDU/CSU erläutern können. Nachdem nunmehr der Deutsche Bundestag die Eckpunkte zu einem 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz beschlossen hat, wird im weiteren Verfahren die Bundesregierung anhand dieser Eckpunkte einen konkreten Gesetzentwurf für die Regierungsfraktionen formulieren. Dieser Entwurf wird dann im Frühsommer vom Deutschen Bundestag als Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen eingebracht, beraten und – nach meiner Vorstellung – vor dem 17. Juni beschlossen werden. Im Rahmen der parlamentarischen Beratung des dann konkret vorliegenden Gesetzes werden wir natürlich auch weiter das Gespräch mit den Verbänden von Betroffenen suchen.
Ich würde mich freuen, wenn wir dabei die konstruktive Zusammenarbeit mit den Opferverbänden fortsetzen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Blumentritt