Frage an Volker Beck von Günter M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Beck!
Herr Bundespräsident Köhler meint, wir sollten den gesamten Balkan und Albanien in die EU aufnehmen. Die Grünen wollen sogar einen Beitritt der Türkei zur EU.
Können Sie verstehen, dass das die Mehrheit der Menschen ablehnt?
Möchten Sie für all diese Länder eine Personenfreizügigkeit? Meinen Sie nicht, dass das deutsche Arbeitnehmer in Bedrängnis bringen wird und zu Lohndumping führen kann?
Und noch eine Frage: Warum sind nicht EU-Mitgliedschaften ohne die Personenfreizügigkeit möglich? Oder setzen Sie sich dafür ein?
Mit freundlichen Grüßen
Günter Möder
Sehr geehrter Herr Möder,
nur eine handlungsfähige Europäische Union ist auch zu weiteren Erweiterungen in der Lage. Deshalb kommt der Vertiefung der Union durch den neuen EU-Verfassungsvertrag auch eine wichtige Bedeutung zu.
Die Erweiterung ist eines der erfolgreichsten friedenspolitischen Instrumente der Europäischen Union. Sie hat die Transformation vieler Staaten in stabile Demokratien und funktionierende Marktwirtschaften wesentlich unterstützt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich immer für diese Erweiterung der Europäischen Union eingesetzt. Dabei geht es nicht nur um die historische Verpflichtung, die Teilung Europas endgültig zu überwinden. Die Erweiterung bedeutet für die alten Mitgliedstaaten - und Deutschland insbesondere - einen enormen Gewinn an Sicherheit und Wohlstand. So konnten wir konnten schon in den ersten beiden Jahren der Mitgliedschaft der mittel- und osteuropäischen Staaten beobachten, dass diese Einschätzung richtig war: Die Staaten haben sich weiter stabilisiert und ihre dynamische wirtschaftliche Entwicklung hat dort wie auch bei uns zu mehr Wachstum und Beschäftigung geführt. Die deutschen Außenhandelszahlen sprechen da eine deutliche Sprache.
Ja, wir treten auch für einen Beitritt der Türkei ein, soweit sie die Kopenhagener Kriterien (u.a. mit der Verpflichtung zur Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten) erfüllt. Denn es ist im ureigenen Interesse der EU, die Türkei in die EU einzubinden. Ein EU-Mitglied Türkei kann ein stabilisierender Anker in der Region sein, der beweist, dass das EU-Modell von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auch eine Perspektive für Länder mit muslimischer Bevölkerung ist. Eine in die EU integrierte Türkei kann weit mehr zur Stabilisierung der Lage im Nahen Osten oder im Kaukasus beitragen als eine weitgehend selbständig agierende Regionalmacht Türkei. Und es ist im ureigenen Interesse der EU, dass die Türkei ein modernes und demokratisches Land wird, in dem die Bürgerrechte, die Rechte der Frauen, ethnische Minderheiten ebenso wie religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften respektiert werden.
Angesichts der Erfahrungen der letzten Erweiterungsrunden sehen wir folgenden Reformbedarf:
1. Keine Beitrittstermine im Vorfeld festlegen. Nur die Erfüllung der Beitrittskriterien (Kopenhagener Kriterien: Grundfreiheiten, Demokratie, Menschenrechte) sowie die vollständige Übernahme und Anwendung des gesamten rechtlichen Besitzstandes der EU muss den Beitrittszeitpunkt bestimmen.
2. Kein entweder- oder, sonder ein differenzierter und schrittweiser Prozess. Die Beitrittsländer sollen nach und nach in den Bereichen der EU mitarbeiten dürfen, in denen sie ihre Gesetzgebung den EU-Standards bereits angepasst haben.
3. Kooperation mit den Nachbarn. Die Fähigkeit effektiv und friedlich mit den Nachbarn zusammen zu arbeiten und regionale Kooperationen zu entwickeln, soll Voraussetzung sein für eine Annäherung an die EU.
Hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, gilt in der Tat, dass Arbeitnehmer und Selbständige aus EU-Staaten das Recht haben, in jedem EU-Land ohne jede Beschränkung aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit unter gleichen Bedingungen tätig zu sein wie einheimische Beschäftigte. Aber, um den Missbrauch der weiterhin national geregelten Sozialsysteme zu vermeiden, gilt das Recht auf Freizügigkeit noch nicht für diejenigen, die auf staatliche Hilfeleistungen angewiesen sind. Und es wurden Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbart, die die EU-Bürger aus Mittel- und Osteuropa vorerst vom deutschen Arbeitsmarkt ausschließen. Damit wurde jedoch ein falscher Anreiz zu Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit gesetzt. Nur so konnte es zum verzerrten Bild des polnischen Klempners oder Fliesenlegers kommen. Deshalb setzten wir uns dafür ein, den Arbeitsmarkt zu öffnen und gleichzeitig durch verbindliche Mindestlohnregelungen einen Schutz vor Lohndumping sicherzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Volker Beck