Frage an Volker Beck von Dominique S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Beck,
Danke zunächst für ihre Antwort auf meine Frage zur Position der GRÜNEN zum §1626a BGB.
Leider haben sie mir nur ausweichend geantwortet haben. Ich bemühe mich daher nochmal punktierter nachzufragen.
1. Wie ist ihre Position zur Rechtssprechung des EGMR und deren Einhaltung in der BRD ?
2. Kennen sie die Rechtssprechung des EGMR zur Entwicklung von Entfremdungsproblematik (Stichwort PAS) bei Trennungskindern ?
3. Kennen sie Proksch-Studie - die bisher größte deutsche Studie zu Trennungsfamilien ?
Die Proksch Studie belegt eindeutig den Zusammenhang zwischen alleiniger elterl. Sorge und somit u.a. auch §1626a und dem totalen Kontaktverlust zum einem Elternteil vom ca 30% aller Trennungskinder.
4. Wenn sie in ihrer Antwort die These aufstellen, dass ein "Konflikt" zw. den Eltern durch rechtliche Ausgrenzung eines Elternteiles "kindeswohlgerecht" gelöst wird, bedeutet dies, dass sie die durch Proksch beschriebene Folge, dass das Kind de facto zum Halbwaisen gemacht wird ( in 30% der Fälle !!!) als dem "Kindeswohl" entsprechend ansehen ?
5. Wenn sie im Falle eines "Konflikts" einen Kontaktverlust des Kindes zu einem Elternteil als Problemlösung betrachten, dem "Kindeswohl" entsprechend, wie deckt sich dies bitte mit der Rechtssprechung des EGMR ?
6. Wen ein Amtsrichter im Kreis Cochem in 10 Jähriger Praxis es schafft durch staatliche Intervention in nahezu allen Fällen von "Konflikt", diesen im elterliche Kooperation umzuwandeln (Quote von ca 99% gem. elterl. Sorge), wie es ist dann vertretbar zu behaupten "Gemeinschaft kann man nicht verordnen"?
Mit freundlichen Grüßen
D. Strauss
Sehr geehrter Herr Strauss,
vielen Dank für Ihr Interesse am Thema Sorgerecht. Von den Verfechtern eines automatischen gemeinsamen Sorgerechts ab Geburt auch für Nichtverheiratete wird immer wieder ein sehr starker Zusammenhang zwischen dem gemeinsamen Sorgerecht und dem Kontakt beider Elternteile mit dem Kind hergestellt. Ein Zusammenhang, den wir so nicht sehen. Das Umgangsrecht ist in Deutschland klar geregelt und sorgt im Normalfall dafür, dass beide Eltern mit dem Kind Kontakt haben können. Das Sorgerecht ist keineswegs eine Voraussetzung für diesen Umgang. Die Proksch-Studie hat hier in der Tat einen Zusammenhang hergestellt, dieser wird aber von zahlreichen Expertinnen und Experten nach meinen Informationen bezweifelt. Sie kritisieren, Proksch drehe die Kausalität um und vermittele damit den Eindruck, dass allein das Sorgerechtsmodell das Verhalten nach Trennung und Scheidung bestimmt und dass nicht die Verhaltensweise der Eltern vor und während der Trennung und Scheidung die Sorgerechtsform begründet. Die erhobenen Daten können – so die ExpertInnen – die einseitig positiven Aussagen für ein gemeinsames Sorgerecht auch nicht stützen. Von den befragten Eltern gaben beispielsweise knapp 60 Prozent der Eltern mit gemeinsamer Sorge, bei denen die Kinder leben, auf die Frage nach der grundsätzlichen Zufriedenheit in der Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil an, dass die Zusammenarbeit nicht gut sei. Auch was das Cochemer Beispiel betrifft, sind uns auch andere Zahlen bekannt, denen zufolge die hart erarbeitete elterliche Kooperation in zahlreichen Fällen nur eine relativ kurze Zeit gehalten hat.
Wie Ihnen bereits geschrieben, diskutieren wir Grünen derzeit über eine vorsichtige Öffnung des Sorgerechts - wir halten dies aber nur für sinnvoll, wo Väter auch ernsthaft Bereitschaft zeigen, Verantwortung für das uneheliche Kind zu übernehmen. Dies ist - auch wenn wir hier positive Entwicklungen sehen - nach wie vor viel zu häufig gar nicht im Interesse des Vaters. Die Entscheidungen des Sorgerechts greifen aber tief in das Leben des Kindes ein und setzen Anteilnahme am alltäglichen Leben des Kindes voraus.
Die von manchen geäußerte Erwartung, dass mit einer gemeinsamen Sorge auch die Bereitschaft der Väter drastisch erhöht wird, Verantwortung für ihr (uneheliches oder aus einer geschiedenen Ehe stammendes) Kind zu übernehmen, halten wir allerdings für eine Illusion. Nach wie vor liegt der Lebensmittelpunkt der Kinder nach Trennung und Scheidung überwiegend bei den Müttern. Damit wird deutlich, dass die tatsächliche Sorge, die sich an den Aufenthalt des Kindes bindet, weiterhin überwiegend von den Müttern ausgeübt wird. Auch die Erhöhung der statistischen Gesamtverteilung der gemeinsamen elterlichen Sorge hat keinen signifikanten Einfluss auf die tatsächlich gelebte Sorge genommen.
Sollten Sie weitere, detaillierte Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich doch bitte an die beiden federführenden Büros von Irmingard Schewe-Gerigk, MdB und Ekin Deligöz, MdB. Diese Büros koordineren und erarbeiten derzeit auch die grüne Position hierzu.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Volker Beck