Frage an Veronika Stossun von Jens E. bezüglich Verbraucherschutz
Thema: Wie stehen Sie zur Möglichkeit der bundesweiten Volksabstimmung?
Sehr geehrte Frau Veronika Stossun,
in den letzten Jahren hat sich in Europa und Deutschland nach US Amerikanischem Vorbild die Tendenz der Privatisierung sämtlicher Bereiche der Gesellschaft ausgebreitet. Unter der Vorstellung einer verbesserten Effizienz wurden zunehmend gesamtgesellschaftlich relevante Bereiche wie öffentliche Krankenhäuser, die allgemeine Gebäudeversicherung, die öffentliche Wasserersorgung von Großstädten, die Gemeindeverwaltungen von Gemeinden und vieles mehr an gewinnorientierte Konzerne verkauft. Dies führt – wie wir inzwischen immer besser wissen – langfristig zu einer zunehmenden finanziellen Abhängigkeit der Bürger von Kapitalgesellschaften. Viele Menschen in Deutschland stehen diesem Privatisierungstrend zunehmend kritisch gegenüber, sehen sich aber außerstande etwas dagegen zu unternehmen, da wir in Deutschland über die Abgabe unserer Stimme zur Wahl hinaus keinerlei Möglichkeiten der basisdemokratischen Mitbestimmung haben. Andere Länder wie die Schweiz haben bewiesen, dass selbst schwierige und unpopuläre Entscheidungen wie Steuererhöhungen basisdemokratisch per Volksabstimmung gefällt werden können, wenn den Bürgern der Sinn der Massnahme einleuchtet. Ich möchte Sie deshalb bitten, dazu Stellung zu nehmen, ob und in welchem Umfang Sie bzw. Ihre Fraktion sich für die Einführung einer bundesweiten Volksabstimmung zu wichtigen gesellschaftspolitischen Fragestellungen in Deutschland einsetzen wollen!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. J. Edrich
Sehr geehrter Herr Dr. med. J. Edrich,
darf ich zu Beginn meiner Antwort Petra Pau, (MdB – Die LINKE, Vizepräsidentin des Bundestages) zitieren:
„Hören Sie nicht, wie es im Grab von Willy Brandt rumpelt? Von den vielen schlechten Beispielen will ich nur an eines erinnern. Als es 2005 um die EU-Verfassung ging, da gab es eine breite gesellschaftliche Bewegung für eine Volksabstimmung, also für direkte Demokratie auch auf Bundesebene. SPD-Kanzler Schröder log damals frech, das würde das Grundgesetz verbieten. Und Grüne-Außenminister Joschka Fischer tönte, er lasse sich sein schönes EU-Werk nicht vom Volk vermiesen.“
Ich erzähle Ihnen gewiss nichts Neues wenn ich „Demokratie“ schlicht und einfach übersetze – Herrschaft des Volkes –. Aber schon bei der Frage, wie diese »Herrschaft« konkret aussehen soll, scheiden sich die Geister. Ich bin der Überzeugung, dass Volksentscheide kein Gegenpart zur parlamentarischen Demokratie sind, sondern diese sinnvoll ergänzen. Sie bedeuten nicht weniger, sondern mehr Demokratie und die kann sich nicht in Wahlen erschöpfen. Die Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, die Politik direkt zu beeinflussen, müssen deshalb erweitert und auch auf die Bundesebene übertragen werden.
Schon unser Grundgesetz - Art.20, 2 bestimmt, dass das »Volk« seine Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen ausübt, das bedeutet auch, dass Volksabstimmungen, die Einführung einer Volksgesetzgebung möglich und erforderlich sind. Den Bürgerinnen und Bürgern wird aber noch immer verwehrt, via Volksentscheiden oder Volksabstimmungen auf Bundesebene ein eigentlich verbrieftes Grundrecht wahrzunehmen. Verweigert übrigens von etlichen Abgeordneten der CDU/CSU und SPD.
Für DIE LINKE ist Demokratie aktiver Schutz der Bürger- und Grundrechte. Beschränkt der Staat sie mit Gesetzen und anderen Maßnahmen behindert er den Souverän, das Volk, bei der Wahrnehmung seiner Interessen.
Zu einer funktionierenden Demokratie gehört für DIE LINKE. auch die staatliche Verantwortung und staatliche Bereitstellung der für ein menschenwürdiges Dasein notwendigen Güter und Leistungen - die öffentliche Daseinsvorsorge und die braucht öffentliches Eigentum.
DIE LINKE und da stehe ich voll und ganz dahinter, tritt für eine umfassende Demokratisierung aller Bereiche ein. Ich halte es für unbedingt erstrebenswert und vorrangig, dass wir, also die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, ein Mitspracherecht haben bei der Reformierung der öffentlichen Verwaltung hin zu einer bürgernahen Verwaltung und dem Ausbau demokratischer Strukturen in Wirtschaft und Arbeitswelt. Ich fordere, wie meine Partei DIE LINKE, eine Ausweitung des Petitionsrechts, Ergänzung der Bürgerbeteiligungsverfahren, innovative Formen wie Runde Tische, Bürgergutachten sowie Bürgerforen, Einführung von Volksinitiative und Volksbegehren auf Bundesebene.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass es nach der Vereinigung ein „Kuratorium für einen demokratischen verfassten Bund deutscher Länder gab. “Es ging um eine moderne Verfassung, die das neue Deutschland zusammen führen sollte. Und dies sollte durch Volksabstimmung geschehen. Die Mehrheit im Kuratorium waren übrigens Juristen, Völker- und Bürgerrechtler aus den alten Bundesländern. Aber auch diese Initiative scheiterte. Nun können sie raten, an wem?
Richtig: An der CDU/CSU und erneut an der SPD.
Es liegen drei Anträge im Bundestag vor, von der FDP, von der Fraktion DIE LINKE und von Bündnis 90/DIE Grünen. Alle drei begehren grundsätzlich, dass Volksabstimmungen auf Bundesebene endlich zugelassen werden. Sie unterscheiden sich jedoch in den Modalitäten. Der Bundestag müsste lediglich mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Aber alle drei führen zum Lackmus-Test für die SPD. Sie werden bei der Abstimmung gleich Zeugnis ablegen, wie ernst sie es mit ihrem Slogan aus Willi-Brandt-Zeiten noch meinen: „Mehr Demokratie wagen!“
Mehr direkte Demokratie auch auf Bundesebene wäre eine probate politische Antwort auf den zunehmenden Demokratieverdruss. Noch immer ist Deutschland in Fragen direkter Demokratie ein EU-Entwicklungsland. Das sollte niemand länger gutheißen.
Mit freundlichen Grüßen
Veronika Stossun