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Vasco Schultz
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Frage von Lars N. •

Frage an Vasco Schultz von Lars N. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Schultz,

beeindruckend finde ich Ihre persönlichen Ansichten und Ziele, wie auf dieser Plattform geschildert.
Bei allen Detaildiskussionen, gerade in Wahlkampfzeiten, vermisse ich klare Aussagen zu den Visionen für ein weitgehend gerechtes Miteinander in Bezirken und Bundesländern. Zwar mag das Bewustsein für sozialen Ausgleich und weitestgehende Chancengleichheit bei vielen Bürgern abgestumpft sein, insgesamt würde ich den in Frustration und Perspektivlosigkeit enthaltenen Sprengstoff nicht unterschätzen - gerade was die junge Generation angeht. Frankreichs Krawalle zeigen bereits im Kleinen, was auch hier möglich wäre. Eine freiwillige Maßhaltung der stark überdurchschnittlich Vermögenden scheint nicht realistisch zu sein, dabei halten diese fast das gesamte Kapital. Die Dynamik des Materiellen wird sich von alleine nicht zu Gunsten bemühter aber relativ durchschnittlicher Mittelständler (Wirtschaft genauso wie privat) verändern.
Bei aller Verantwortung jedes Einzelnen:
Was wollen Sie für den sozialen Frieden tun? Wie stellen Sie sich Deutschland in dieser Hinsicht i.J. 2020 vor? Ich gehe davon aus, dass Sie zu diesem Zeitpunkt noch politisch aktiv sind...

Mit besten Grüßen
Lars Nielson

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Nielson,

Vielen Dank für die netten Worte. Ich finde einfach, dass die Wählerinnen und Wähler einen Anspruch darauf haben, sich relativ ausführlich ein Bild von ihren Kandidaten zu machen. Ob ich 2020 noch politisch aktiv sein werde, kann ich im Moment natürlich nicht versprechen. (Oder damit drohen, je nachdem, wen man fragt...) Ich bin der festen Überzeugung, dass das, was heute getan wird, entscheidet, wie es in Hamburg im Jahr 2020 aussieht. Es gibt ja den schönen Spruch: "Versuche die Welt ein Stück besser zu hinterlassen, als du sie vorgefunden hast". Jeder Hamburger und jede Hamburgerin sollte versuchen, sich daran zu halten, dann wären wir schon ein ganzes Stück weiter. Leider denken Politiker meistens nur 4 Jahre im voraus. Das bringt das System leider mit sich und ist auch gar nicht als Kritik gemeint. Denn wer unbequeme Wahrheiten ausspricht, der wird eben einfach nicht gewählt, weil das Wahlvolk es nicht honoriert.

Deutschland hat einen sehr hohen Lebensstandard, wenn man sich die Welt insgesamt ansieht. Teilweise - beispielsweise durch den ungerechten Welthandel - gerade auf Kosten der ärmeren Staaten. Realistisch betrachtet werden wir in Deutschland und gerade auch in Hamburg sehr kämpfen müssen um diesen Standard im internationalen Wettbewerb auch nur zu halten. Das muss uns nicht unbedingt pessimistisch stimmen. Denn natürlich ist der Lebensstandard im Laufe der Jahre gestiegen, aber Probleme wie die Verwahrlosung von Kindern und die Tatsache, dass ganze Bevölkerungsschichten von dem Anstieg des allgemeinen Lebensstandards wenig bis gar nichts mitbekommen haben gehört zur Wahrheit genauso dazu. Das Ungleichgewicht, die "Schere zwischen Arm und Reich" ist gestiegen, wie auch die Diskussion über überzogene Managergehälter zeigt. Die Rücksichtslosigkeit und die Ellenbogengesellschaft ist so stark wie nie zuvor. Kindesmisshandlung und -verwahrlosung geschehen häufig unter den Augen der Öffentlichkeit, die weg schaut, die das nicht interessiert.

Ich wünsche mir für 2020 ein Deutschland, in dem die Menschen sich wieder mehr umeinander kümmern und nicht die egoistische reine Profitmaximierung im Vordergrund steht. Gesellschaftliche Kräfte und Potentiale entfalten sich immer dann, wenn man als Gesamtheit zu seinem Land und seinen Idealen steht. Dafür muss man aber erst einmal definieren, was das genau ist. Der Begriff "Leitkultur" ist sicherlich verbrannt, denn im Grunde geht es auch gar nicht um Kulturen oder Unterschiede zwischen ihnen aufzuzeigen, sondern die Gemeinsamkeiten. Eine Diskussion darüber, welche Grundwerte wir als Deutsche oder besser als Europäer hochhalten wollen halte ich aber für unheimlich wichtig. Für mich ist das ein aufgeklärtes tolerantes Weltbild. Dazu gehört die Ächtung von Ehrenmorden genauso wie die Ablehnung der Todesstrafe oder den absurden Vorstellungen, Kinder in den Knast zu stecken. Wer dies fordert begibt sich geistig vor die Aufklärung ins Mittelalter.

Die Probleme der bildungsfernen, perspektivlosen Schichten hat in Frankreich tatsächlich eine Brisanz erreicht, die wir bisher in Deutschland noch nicht erlebt haben. Aber es ist bereits absehbar, dass auch wir dahin kommen werden, wenn nichts passiert. Ich habe auch kein Patentrezept, mit dem man von heute auf morgen dieses Problem lösen kann. Komplexe Probleme haben keine einfachen Lösungen. Ehen wir den Tatsachen ins Auge: Durch Computerisierung, Automatisierung und allgemein Rationalisierung fallen immer mehr einfache Arbeitsplätze weg. Selbst ein Bäcker muss heutzutage mit teilweise komplexen Maschinen umgehen können. Die Jugendlichen mit schlechten oder ganz ohne Bildungsabschlüsse merken das natürlich und das führt je nach Charakter entweder zur Selbstaufgabe und Abstumpfung oder zu Aggressionen. Ich wünsche mir ein Deutschland 2020, das dieses Problem in den Griff bekommen hat. Dazu braucht es zum einen ein vollkommen anderes Bildungssystem, das nicht mehr auf Selektion in Gewinner und Verlierer setzt sondern versucht, die Verlierer zu Gewinnern zu machen. Wer heute auf der Haupt- oder Sonderschule ist, der weiß genau, dass er mit einem noch so guten Abschluss kaum eine Chance haben wird. Wenn man dann von zu Hause auch noch keinerlei Unterstützung und Motivation erfährt, dann ist es vermessen von diesen Menschen zu erwarten, dass sie selbst aus ihrem Käfig ausbrechen. Das wäre etwas, wo die Politik handeln muss. Als GAL haben wir ein Vorschlag für ein neues Schulmodell, das unserer Meinung nach diese Probleme an der Wurzel anpackt: "9-macht-klug": http://www.hamburg-kreativestadt.de/

Gleichzeitig brauchen wir aber ein gesellschaftliches Bewusstsein für diese Probleme. Es darf nicht immer erst dann über sozial problematische Gebiete im Fernsehen berichtet werden, wenn irgend ein schlimmes Ereignis eingetreten ist. Jugendliche brauchen Vorbilder von Menschen, die erfolgreich aus dem Teufelskreis der Perspektivlosigkeit ausgebrochen sind, darüber muss auch berichtet werden um den Jugendlichen Hoffnung zu geben. Menschen aus sozial problematischen Stadtteilen sind nicht dümmer als Menschen aus den Hamburger Villenvierteln. Ich erwarte von Firmen und Betrieben, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung annehmen und sich zusammen tun, Patenschaften für solche Gebiete übernehmen. Dass sie gezielt Jugendliche aus diesen Gebieten holen und ihnen eine Chance geben. Wenn dann darüber noch groß berichtet wird, dann hat sowohl das Unternehmen etwas davon als auch die Jugendlichen, die ernst genommen werden, die eine Chance im Leben bekommen. Eine Keimzelle für eine erfolgreiche Veränderung benachteiligter Stadtteile und Quartiere können ehrenamtliche Stadtteilbeiräte sein, die bereits jetzt einen unverzichtbaren Beitrag zur Stärkung des Lebens vor Ort sind.. Hier braucht es mehr Unterstützung durch die Politik. Einige konkrete Maßnahmen, die wir für benachteiligte Stadtteile ergreifen möchten finden sich ebenfalls unter: "Viertel vor": http://www.hamburg-kreativestadt.de/

Das sind alles keine Patentrezepte und vielleicht teilweise auch Dinge, die sich im Nachhinein als Falsch oder wirkungslos herausstellen. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann ist, dass wenn nichts getan wird die Probleme nicht von alleine verschwinden werden, sondern größer werden.

Weitere wichtige Maßnahmen um den sozialen Frieden sicher zu stellen sind ein gerechtes Steuersystem, in dem die starken Schultern mehr tragen als die Schwachen und nicht Unternehmen ihre Steuerschuld auf Null herunter rechnen können.. Genauso verwerflich finde ich es, wenn einige bekannte Sportler, Showmaster, Manager etc. zwar in Deutschland den Ruhm und das Geld einheimsen, aber ihre Steuern nicht hier zahlen. So etwas muss endlich gesellschaftlich geächtet werden. Viele dieser Menschen sind darüber hinaus ja erst mit deutschen Fördergeldern so bekannt geworden. Und natürlich muss es einen Mindestlohn geben, der den Menschen das Gefühl gibt, dass ihre Arbeit etwas wert ist und der dafür sorgt, dass sie ihre Familien ernähren können.

Auch innerhalb der GRÜNEN findet derzeit eine hoch spannende Diskussion zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen" statt. Informationen dazu finden sich beispielsweise hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Bedingungsloses_Grundeinkommen Die Politik ist also nicht ganz so untätig, wie sie manchmal erscheint. Große gesellschaftliche Sprünge brauchen allerdings die entsprechenden politischen Mehrheiten. Eine große Koalition ist in dem Sinne denkbar ungeeignet.

Natürlich gibt es für Deutschland noch weitere Herausforderungen, die nicht direkt im sozialen Bereich liegen. Zu nennen wäre da beispielsweise der Klimawandel, der Hamburg ja direkt bedroht und der absehbar zu größeren Völkerwanderungen auf der Welt führen wird. Aber ich glaube, dass sie mit ihrer Frage vor allem einen Fokus auf den sozialen Frieden legen wollten und das habe ich auch mit meiner Antwort versucht.

Ich hoffe, dass ich Ihnen einige meiner Gedanken zu diesem schwierigen Thema darlegen konnte.

Mit freundlichen Grüßen,
Vasco Schultz