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Vasco Schultz
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Frage von Frank J. •

Frage an Vasco Schultz von Frank J. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Schultz !

Mit Interesse habe ich Ihre Antwort betreffend des Hundegesetzes gelesen. Nun gibt es ja auch die Debatte um sogenannte "Intensivtäter". Was mich z.Z. ernstlich erstaunt, ist, dass das Hundegesetz, Falschparken und das neu hinzgekommene Rauchverbot mit aller Macht und schärfsten Mitteln von der Stadt (...und dem Staat) durchgesetzt wird. So konnte man vor kurzer Zeit im Fernsehen einen erwachsenen Mann bitterlich weinen sehen, weil er rd. 450,-- EUR (fast die Hälfte seines Monatsgehaltes) für das Auslösen seines PKWs aus dem sogenannten Autoknast bezahlen musste (Grund : Falschparken). Sodann kam heute Morgen ein Radiobericht über einen Wirt in Kiel, welcher anscheinend das Rauchverbot nicht beachtet hat, wo sofort von der Politik "engere Daumenschrauben" angekündigt werden und die Damen und Herren vom Ordnungsamt anscheinend die Zeit haben mehrere Stunden in Parks und auf Strassen unterwegs sind um die, wie Sie selbst bekunden "öffentliche Ordnung" aufrecht zu erhalten (also um Kasse zu machen). Wehe dem, der dann noch den Strafzettel zu spät bezahlt oder noch viel schlimmer Rechtsmittel einlegt. Dann wird der Betreffende im Regelfall die voller Härte des Gesetzes spüren. Das die Gesetzgebung und Politik in Bezug auf Kriminalität nicht sonderlich erfolgreich ist, zeigt sich ja nun auch in stark steigender Kriminalitätsrate und stark erhöhter Gewaltbereitschaft. Wie gedenken Sie, diesem Problem Herr zu werden ??? Die Strafen für diverse Taten schrecken, dem Anschein nach, ja nicht ab oder werden von deutschen Richtern nicht rigeros genug durchgesetzt.. Für Fälle können Sie ja mal hier : http://www.bild.t-online.de/BILD/news/politik/2008/01/10/junge-kriminelle-auslaender/wahnsinn-im-gericht,geo=3443860.html nachlesen. Wie wollen Sie den Opferschutz hervorheben ? Warum wird das GG Artikel 3 nicht angewendet ? Kurzum : Wie wollen Sie die Sicherheit in Hamburg verbessern ??

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Jahncke,

Vielen Dank für ihre Frage!
Wie sehr das Thema "Jugendgewalt" derzeit instrumentalisiert wird erkennt man schon an der einfachen Tatsache, dass es kaum Hinweise darauf gibt, dass die Jugendgewalt steigt.
Die polizeiliche Kriminalstatistik ist das eine, das andere ist die Dunkelfeldforschung, die
eben gerade keine Erkenntnisse über eine höhere Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen
bietet.
Wenn das subjektiv so wahrgenommen wird, dann vor allem deshalb, weil derzeit die Medien verstärkt über dieses Thema berichten. Vielleicht erinnern Sie sich noch an einen schweren Busunfall vor einigen Jahren, bei dem Deutsche zu Tode kamen: Monatelang gab es fast täglich Berichte über Busunfälle. Inzwischen ist es still geworden, weil andere Säue durchs Dorf getrieben wurden. Aktuell die "steigenden" Zahlen im Bereich der Jugendkriminalität.

Zur Untermauerung ein Beitrag aus dem Polizei-Newsletter vom Januar 2008

http://www.polizei-newsletter.de/newsletter_show_article_german.php?N_YEAR=2008&N_NUMBER=104&N_ID=1968
"Jugendgewalt nimmt zu": "Die Welt" schreibt´s - und alle schreiben ab Stein des Anstoßes der jüngsten Mediendebatte zum Thema Jugendgewalt ist ein Artikel der Tageszeitung "Welt am Sonntag". Mit dem Verweis auf eine "Studie", die der Redaktion "vorliegt", wird dort der Anstieg der Jugendgewalt beklagt. Dass es sich bei der "Studie" um einen von fünf Bundesländern erstellten Lagebericht für die diesjährige Innenministerkonferenz (IMK) handelt, der für jedermann zugänglich im Internet "vorliegt", hindert andere Zeitungen nicht, von der "Welt" abzuschreiben, ohne einen Blick auf die Primärquelle zu werfen. Dort liest man zwar, dass die PKS einen Anstieg der Fallzahlen für Jugendgewalt aufweist. Gleichzeitig verschweigt der IMK-Bericht aber nicht, dass die kriminologische Dunkelfeldforschung einen tatsächlichen Anstieg nicht bestätigen kann und dass auf dieser Grundlage eben keine gesicherten Erkenntnisse möglich sind. Die Presseberichte bleiben dennoch so einseitig wie der "Welt"-Artikel. Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, zeigen nun die Reaktionen von Politikern und Kommentatoren, die mit dem Strafrecht auf das Phänomen Jugendgewalt reagieren wollen. Der IMK-Bericht verweist hingegen auf kriminologische Forschung, die die Ursachen der Jugendgewalt in der sozialen und schulischen Lage sieht und vor diesem Hintergrund Ansätze in eben diesem Bereich vorschlägt. In der Schlussbemerkung der IMK-Arbeitsgruppe wird folgerichtig nicht nach dem Strafrecht gerufen, sondern gefordert, zunächst das Lagebild innerhalb der Bundesländer zu vervollständigen, bevor konkrete Reaktionen auf jugendliche Gewalttäter empfohlen werden können.

Der 27-seitige Bericht der Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz inklusive Anlagen ist zu finden unter:
http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/imk2007/beschluesse/imk_185_bericht_top16.pdf

der "Welt"-Artikel ist online verfügbar unter:
http://www.welt.de/article1464386/Jugendgewalt_in_Grossstaedten_nimmt_zu.html

Wenn man sich den Bericht der Innenministerkonferenz genau durchliest, dann stellt man mit Erstaunen fest, dass ausgerechnet Hessen keine Bekämpfungsprogramme gegen jugendliche Straftäter hat. Dabei - wir erinnern uns - ist es ausgerechnet der hessische Ministerpräsident Roland Koch, der das Thema "Jugendkriminalität" zum Wahlkampfthema machen möchte. Also ein Thema, bei dem er selbst seit Jahren versagt hat. Außer Thüringen existieren in allen anderen Bundesländern solche Programme. Sie werden mir sicherlich zustimmen: Das ist schon sehr dreist! Hier hat Herr Koch jahrelang versagt und glaubt jetzt, durch ein paar billige populistische Sprüche, die von der "Bild" aufgegriffen werden, das wieder wett zu machen. Auch bei der Intensität und Qualität der Straftaten ergibt der Bericht der IMK (Innenministerkonferenz) kein einheitliches Bild. So gibt Baden-Würtemberg sogar an, dass die Brutalität gesunken sei.

Hamburg beantwortet diese Frage mit:
Hamburg: keine Erkenntnisse, Gewalt scheint jedoch anzusteigen, allerdings eher im Bereich der "Rangeleien" und der KV, schwere Misshandlungen eher selten.

Übrigens: Natürlich kann Roland Kochs "Hessen" auch hier keine Angaben machen.

Dass keine klare Aussage darüber getroffen werden kann, ob die Zahl der Intensivtäter zugenommen hat, zeigt auch die Antwort auf Frage 8.1.: Mehrere Bundesländer, wie Baden- Würtemberg oder Sachsen-Anhalt haben rückläufige Zahlen, andere Bundesländer wie Hamburg oder Berlin haben eine Steigerung zu verzeichnen.

Sie fragen sich jetzt sicherlich:
Wie kann das sein, wo jetzt doch ständig über schwere Übergriffe Jugendlicher berichtet wird?
Ganz einfach: Durch die öffentliche Diskussion werden in den Hamburger Medien über Fälle von Jugendkriminalität aus ganz Deutschland berichtet. Das war vorher nicht so. Somit entsteht ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit.

Soviel erst einmal zur Einordnung der derzeitigen hysterischen Diskussion, bei der man ja den Eindruck gewinnt, man könne sich von heute auf Morgen nicht mehr auf die Straße wagen ohne umgebracht zu werden.
Berichte in der "Bild" haben für mich keinerlei Relevanz. Um sich einen Eindruck zu gewinnen, mit welch hanebüchenen Methoden dort ständig haarsträubender journalistischer Unsinn produziert wird empfehle ich: http://www.bildblog.de/

Ich finde diese Einordnung wichtig, denn populistische Forderungen, die mit falschen "Tatsachen" untermauert werden bringen uns bei der Bekämpfung von jugendlichen Straftätern nicht voran. Im Gegenteil: Häufig wird ja behauptet, die derzeitige "Kuschelpädagogik" oder die "laschen Richter" müssten endlich gestoppt werden, weil diese nichts brächten und zu dem "Anstieg der Jugendkriminalität" geführt hätten.
Aufgrund dessen halte ich von vielen der derzeit in der Diskussion stehenden Maßnahmen
wenig bis gar nichts, denn ICH möchte tatsächlich, dass die Jugendkriminalität sinkt
und dass wir weniger Opfer von Gewalttaten haben.

Wer glaubt, dass härtere Strafen automatisch zu einer geringeren Anzahl von Verbrechen führt, der braucht sich nur die Vereinigten Staaten anschauen: Todesstrafe, gleichzeitig aber auch exorbitant hohe Mordrate. Einfache Lösungen für komplexe Sachverhalte gibt es eben nicht! Viele Straftaten werden im Affekt begangen oder unter Alkoholeinfluss. Die Kriminologie lehrt: Jugendkriminalität ist überwiegend Spontankriminalität, die Folgen werden nicht bedacht. Die Taten werden in der Regel nicht geplant und schon gar nicht unter Berücksichtigung möglicher Strafmaße kalkuliert.
Härtere Strafen schrecken nicht ab. Sie befriedigen allenfalls die primitiven Rachegelüste einer geifernden Öffentlichkeit.
Im Übrigen gibt es keinen ernst zu nehmenden Sozialwissenschaftler der bestreitet, dass helfende und die soziale Integration fördernde Reaktionen erfolgreicher sind als freiheitsentziehende wie die Jugendstrafe oder der Jugendarrest. Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts lehne ich deshalb ab.
Viel besser fände ich es, wenn die Bundesländer endlich dafür sorgen, dass Jugendliche schnell bestraft werden und nicht erst Jahre später! Leider kostet das Geld, populistische Sprüche sind da natürlich kostenlos...
Was man tatsächlich genau unter die Lupe nehmen sollte ist die Frage, wann Volljährige eine Jugendstrafe erhalten und wann sie nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden sollten. Aber diese Frage entscheidet sich immer im Einzelfall. Genauere Erkenntnisse darüber, wie hoch der Prozentsatz von über-18-jährigen ist, die in Hamburg noch nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, liegen mir allerdings nicht vor.
Auch die Schuld auf "zu lasche" Richter zu schieben ist wieder eine zu einfache Schuldzuweisung. Richter müssen jeden Einzelfall prüfen und zusammen mit Psychologen und anderen Experten entscheiden, welche Maßnahme die sinnvollste ist, damit aus einem jugendlichen Kriminellen ein guter Staatsbürger wird. Eine Maßnahme kann auch ein "Erziehungscamp" sein - sofern es hier ein sinnvolles Konzept gibt, dass den Jugendlichen eine Perspektive bietet und ihnen auch wirklich hilft. "Boot-Camps" nach amerikanischem Vorbild haben mit Sicherheit nicht den Anspruch, mündige Staatsbürger zu erziehen.
Dergleichen gibt es eine große Auswahl an sinnvollen Maßnahmen für jugendliche Kriminelle.

Das Allerbeste sowohl für die Jugendlichen aber natürlich noch viel mehr für die Opfer wäre aber doch, dass Straftaten gar nicht erst statt finden.
Wenn man sich anschaut, welche Jugendlichen straffällig werden, dann weisen sie meist einige dieser Merkmale auf: schlechte Bildung, kein Job, kein Ausbildungsplatz, keine Perspektive, zerüttetes Elternhaus.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es entschuldigt keineswegs Straftaten, wenn man in seiner Kindheit geschlagen wird und selbstverständlich müssen Jugendliche nach der Gesetzeslage bestraft werden. Aber es hilft, einen Blick dafür zu gewinnen, wo die Ursachen für Jugendkriminalität liegen. Und gegen diese Ursachen kann man etwas tun!
Und natürlich hat ein überproportionaler Anteil der straffälligen Jugendlichen einen Migrationshintergrund. (Ist also entweder selbst Ausländer oder hat ausländische Eltern bzw. Großeltern) Aber der Migrationshintergrund als solcher ist nicht die Ursache des Problems - das wäre tatsächlich eine rassistische Unterstellung. Das Problem ist, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund überproportional häufig eines der oder mehrere oben genannten Merkmale aufweisen: schlechte Bildung, kein Job etc.. Daran muss dringend gearbeitet werden! Das ist mir tausendmal wichtiger als eine Phantomdebatte über härtere Strafen, die auch noch mit falschen Fakten geführt wird.

Schlechte Bildung:
In Deutschland hängt Bildung so stark wie in kaum einem anderen Land davon ab, wie die Bildung der Eltern ist. Mit anderen Worten: Kinder reicher und gebildeter Eltern haben bessere Chancen, einen guten Abschluss zu machen als Kinder aus ärmeren Familien. Und das, obwohl Kinder aus ärmeren Familien natürlich in der Gesamtheit genauso klug sind, wie die Kinder reicherer Eltern. Das ist Schlichtweg ein Skandal! Wir schlagen mit unserem Konzept "9macht klug" - http://www.hamburg-kreativestadt.de/ - eine Schule vor, die diese Probleme angeht und endlich alle Kinder fördert.
Damit gehen wir gegen eine der Ursachen von Jugendgewalt vor.

Ausbildungsplätze, Perspektivlosigkeit, Jobs:
Bildung schafft Lebensperspektiven und bessere Chancen, einen Ausbildungsplatz und einen Job zu bekommen. Der Einfluss der Politik auf die Wirtschaft ist in einem globalisierten kapitalistischen System relativ gering. Deshalb kann die Politik nicht guten Gewissens Heilsversprechen machen, die sie nicht wird halten können. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir in einer "sozialen" Marktwitschaft leben. Der Staat hat die Verantwortung, Auswüchse des reinen gewinnorientierten marktwirtschaftlichen Systems aufzufangen. Neben einem Mindestlohn und armutsfesten Sozialleistungen gehört für mich auch dazu, die Unternehmen notfalls mit einer Aubildungsplatzumlage dazu zu zwingen, Ausbildungsplätze zu schaffen.

Zerrüttetes Elternhaus:
Bei der Diskussion um vernachlässigte Kinder konnte man das gleiche Problem aus einer andere Perspektive sehen. Die nötigen Maßnahmen sind aber die selben: Kinder brauchen einen geregelten Tagesablauf, Bezugspersonen, Menschen, die sich um sie kümmern. Gerade Kinder aus ärmeren Familien und mit Eltern, die Hartz 4 beziehen müssen einen Anspruch auf einen KITA-Platz bekommen!

Zum Artikel 3 GG:
Sie meinen sicherlich Absatz 1: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich".. Ich sehe da keinen Widerspruch: Alle Menschen werden beim Rauchergesetz gleich behandelt und alle Jugendlichen Kriminellen werden ebenso ohne Ansehen der Person vor dem Gesetz gleich behandelt. Aus ihren Ausführungen entnehme ich aber das subjektive Gefühl, dass Menschen für "Bagatelldelikte" ihrer Meinung nach zu stark bestraft werden und jugendliche Kriminelle eher nicht. Zum Sinn und Unsinn stärkerer Strafen bei jugendlichen Kriminellen habe ich oben ja bereits Stellung genommen. Der Unterschied hier natürlich auch der, dass höhere Bußgelder bei Verkehrsverstößen tatsächlich über den Geldbeutel Einsicht bei den Delinquententen hervorrufen.

Ich hoffe, ich konnte ihre Fragen ausführlich zu ihrer Zufriedenheit beantworten.

Mit freundlichen Grüßen,
Vasco Schultz