Welche konkreten Schritte würden Sie selbst gerne politisch durchsetzen, um die Beschäftigungssituation an deutschen Universitäten für das befristete wissenschaftliche Personal zu verbessern?
Sehr geehrt Frau Groden-Kranich,
Sie haben sicherlich mitbekommen, dass vor einigen Wochen zahlreiche ausgewiesene Wissenschaftler*innen auf Twitter über die Aktion #IchbinHanna auf die prekären Beschäftigungsverhältnisse an deutschen Universitäten aufmerksam gemacht haben. Als Postdoc an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gehöre ich selbst zur Gruppe derer, die ausschließlich befristet beschäftigt werden und damit in der Diktion des von Ihrer Partei geführten Bildungsministeriums das System "verstopft".
Die Entwicklungen, die sich seit einigen Jahren in den Beschäftigungsverhältnissen jenseits der Professuren an deutschen Universitäten abzeichnen, beobachte ich mit großer Sorge. Viel zu viele Absolvent*innen haben sich bei uns - obwohl exzellent qualifiziert - bewusst gegen eine wissenschaftliche Karriere entschieden. Und mir fehlen schlichtweg die Argumente, die sie überzeugen könnten.
Mit freundlichen Grüßen aus Mainz
Sehr geehrter Herr Hölscher,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage über Abgeordnetenwatch.
Der Hashtag #IchbinHanna verweist definitiv auf eine Grundproblematik in unserer Gesellschaft: Planungssicherheit auf der einen, Chancen für Nachwuchs auf der anderen Seite. Ja, bestenfalls sollten wir beides unter einen Hut bekommen, daran müssen wir weiter arbeiten. Insbesondere bei den Hochschulen stellt sich zudem aber die große Herausforderung, dass den jeweiligen Landesministerien die Bildungshoheit in den Bundesländern obliegt.
In Deutschland hat das Berufsfeld "Wissenschaft" einige Besonderheiten, darunter auch ein Befristungsrecht, welches im Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) abgebildet wird, z.B. aufgrund per se befristeter "Forschungsprojekte" o.Ä.
Das Bundesbildungsministerium begründet diesbezüglich wie folgt:
"Ziel des WissZeitVG ist es, das Wissenschaftssystem insgesamt zu stärken, was auch den dort Beschäftigten zu Gute kommt. Es sollen sich dort möglichst viele jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fortentwickeln und sich dort qualifizieren. Es ist auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbreitet, dass Arbeitnehmer während der Qualifikationsphase befristet tätig sind. Ohne eine solche Möglichkeit würden Arbeitgeber weniger Menschen ausbilden und einstellen. Das ist im Wissenschaftssystem nicht anders als auf anderen Arbeitsmärkten.
Eine Abschaffung des WissZeitVG würde sicher nicht zu mehr unbefristeten Stellen führen. Vielmehr wären wissenschaftliche Qualifizierungen nur noch für einen sehr kleinen Personenkreis möglich – es gäbe also weniger Qualifizierungs- und Karrieremöglichkeiten. Eine wissenschaftliche Qualifikation ist jedoch nicht nur für den akademischen Arbeitsmarkt wichtig, sie trägt neben den Erwerbsaussichten der Beschäftigten auch wesentlich zur Innovationskraft der Unternehmen in Deutschland bei. Nicht alle dort ausgebildeten Personen können und müssen daher langfristig im Wissenschaftssystem tätig sein.
Auch könnten weitaus weniger junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Drittmittelprojekten eingestellt werden, wenn dafür nur unbefristete Stellen zur Verfügung ständen. Das WissZeitVG verbessert daher insgesamt die Situation für die Wissenschaft in Deutschland.
Im Übrigen geht es in dem Gesetz ausdrücklich um die Möglichkeit einer Befristung, aber nicht um eine Befristungspflicht. Aus der bloßen Existenz dieses Befristungsrechts im WissZeitVG lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass Dauerstellen nicht gewollt sind. Im Gegenteil.
Zentral ist, dass das Gesetz mit einer guten Befristungspraxis gelebt werden muss. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen als Arbeitgeberinnen müssen mit den ihnen gewährten Freiräumen verantwortungsvoll umgehen.
Die Verantwortung für die auskömmliche Grundfinanzierung der Hochschulen und die Schaffung von Dauerstellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt ausschließlich bei den Ländern und Hochschulen.
Die Bundesregierung setzt sich dennoch mit Nachdruck für gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft ein. Bund und Länder haben sowohl die Exzellenzstrategie als auch den „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ in Nachfolge des Hochschulpakts auf Dauer gestellt. Im Zukunftsvertrag ist ab 2021 ein zentraler Schwerpunkt der Ausbau des dauerhaft beschäftigten hauptberuflichen Personals in Studium und Lehre. Mit diesen beiden dauerhaft geltenden Vereinbarungen verbinden wir die klare Erwartung an Länder und Hochschulen nach mehr Dauerstellen in Studium und Lehre".
Oftmals stoßen wir auch beim Föderalismus an unsere Grenzen und kommen leider nicht über parteipolitische Querele hinweg. In Rheinland-Pfalz gibt es - ich bin regelmäßig vor Ort - tolle Bildungseinrichtungen, Hochschulen und Universitäten, die durch die zuständigen Behörden aber deutlich mehr gefördert werden müssten. Wir - der Bund - bringen immer wieder hohe Summen an Fördergeldern in die Region, stoßen aber in Teilen auch an unsere Grenzen. Ich sage es nochmal: Die Bildungshoheit hat das Land.
Lieber Herr Hölscher, wenn Sie mögen, dann können wir gerne persönlich ins Gespräch kommen und uns austauschen. Wenden Sie sich dazu gerne an mein Wahlkreisbüro, um einen Termin zu vereinbaren.
Beste Grüße
Ursula Groden-Kranich