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Frage von Nils D. •

Frage an Ulrich Kelber von Nils D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kelber,

es freut mich sehr, dass Sie gegen den Gesetzentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmenund sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Vorratsdatenspeicherung) gestimmt haben. Damit hat sich der Wahlkreis Bonn mit einer immerhin satten Zwei-Drittel-Mehrheit dem Gesetzentwurf widersetzt :-) Und Sie persönlich konnten – im Gegensatz zu 26 Ihrer Kollegen aus der SPD-Fraktion – unter Beweis stellen, dass Sie Rückgrat besitzen. Dagegen haben Ihre besagten Kollegen dem Gesetzentwurf trotz schwerwiegender verfassungsrechtlicher Bedenken zugestimmt und versuchen sich nun damit rauszureden, das Bundesverfassungsgericht werde die möglicherweise verfassungswidrigen Bestandteile des Gesetzes schon kippen. Was soll man als Bürger von einem solchen Gesetzgeber halten? Ich kann Ihnen nur nochmals sagen, dass ich froh bin, dass Sie eine klare Meinung zu der Thematik haben und dann auch den Mumm besitzen, diese zu vertreten. Das sollte zwar eigentlich selbstverständlich sein (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG), aber offenbar gehören Sie damit zu einer kleinen, aber feinen Minderheit. Bleiben Sie weiter standhaft.

Meine Frage: haben Sie sich durch Ihr Abstimmungsverhalten dem Fraktionszwang bzw. der Fraktionsdisziplin widersetzt (einige Ihrer Kollegen versuchen mit dem Verweis darauf ihr Abstimmungsverhalten zu rechtfertigen) oder wurde die Abstimmung „freigegeben“? Müssen Sie nun ggf. Repressalien befürchten oder sich zumindest für Ihr Abstimmungsverhalten fraktionsintern rechtfertigen?

Mit freundlichen Grüßen

Alex Neumann

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Derlingen oder sehr geehrter Herr Neumann,

vielen Dank für Ihre Anfrage.
Sind Sie Mitglied in einem Verein oder einer Wohngemeinschaft oder einer Familie? Wie werden bei Ihnen Entscheidungen getroffen? In den meisten Zusammenschlüssen, die ich kenne, werden Entscheidungen nach (langer) Diskussion mit Mehrheit getroffen und diejenigen, die "verloren" haben stehen dann ebenfalls zu dieser Entscheidung, oft maulend aber dennoch. Eine Fraktion ist nichts anderes als ein Zusammenschluss frei gewählter Abgeordneter, die sich vereinbaren, für die gemeinsamen Parteiziele zu arbeiten und zusammenzustehen. Auch in der Fraktion werden Entscheidungen mit Mehrheit getroffen und wer "unterliegt", stimmt trotzdem mit der Mehrheit - oft maulend aber dennoch.

Die einzige Ausnahme, die schon das Grundgesetz vorsieht aber natürlich auch die Geschäftsordnung der SPD-Bundestagsfraktion, sind solche Abstimmungen/Themen, die der/die Einzelne zu einer Gewissensentscheidung erklärt. Aber hier wird es kompliziert, was ist eine Gewissensentscheidung? Auslandseinsätze der Bundeswehr, Abtreibungsrecht, Sterbehilfe, das sind mit Sicherheit Entscheidungen, wo in erster Linie das Gewissen befragt werden muss, weil es um Leben und Tod geht. Gesundheitsreform, Hartz-Gesetze, Bahnprivatisierung, das sind Themen über die man grundsätzlich unterschiedlicher Meinung sein kann (auch in einer Partei/Fraktion) - Gewissensentscheidungen sind dies aber nicht.
Das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, und genau darum ging es nach meiner Überzeugung bei der Entscheidung über die Vorratsdatenspeicherung, ist ein schwieriger Grenzfall, den ich ein wenig anders entschieden habe, als meine Kolleginnen und Kollegen, die "nur" eine Erklärung zur Abstimmung abgegeben haben. Sie dürfen mir glauben, inhaltlich sind wir "Protestler" alle der gleichen Auffassung, wir haben nur die Frage, ob dies eine Gewissensentscheidung ist, unterschiedlich beantwortet. Und ob eine Abstimmung eine Gewissensfrage ist, kann nur jeder einzelne Abgeordnete für sich entscheiden, das ist nämlich das vertrackte an diesem Gewissen. Kurz: nein, die Abstimmung zur Vorratsdatenspeicherung war nicht "frei" gegeben, nein, ich erwarte keine Repressalien und dass ich mich für ein abweichendes Stimmverhalten rechtfertige ist selbstverständlich, das habe ich wie gesagt mit dem Eintritt in die Fraktion als Geschäftsgrundlage anerkannt und erwarte dies ja auch von den Kolleginnen und Kollegen.

Mit freundlichem Gruß
Ulrich Kelber