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Ulrich Kelber
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Frage von Winfried H. •

Frage an Ulrich Kelber von Winfried H. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Kelber,

mit Wut im Bauch lese und höre ich die Meldung, dass die große Koalition vorhat, die Diäten der Abgeordneten um 9,4% zu erhöhen. Die Diäten sollen sich wohl an den Einkommen von Bürgermeistern und Bundesrichtern orientieren.
Alleine die Summe der Erhöhung - wohl zwischen 650 und 700 Euro - haben viele Menschen in unserem Land nicht zur Verfügung. Wie, bitte schön, wollen Sie die Erhöhung z.B. Rentnern erklären, die entweder Nullrunden oder nur minimale Erhöhungen bekommen? Wie erklären Sie das Hartz-IV-Empfängern? Wie erklären Sie das all den Menschen, die nicht selber über die Höhe ihres Einkommens bestimmen können? Warum wird bei der Diskussion über den längeren Bezug von ALG I davon gesprochen, dass eine solche Verlängerung kostenneutral sein müsse - ist die Erhöhung der Diäten auch kostenneutral bzw. diskutiert irgend jemand darüber? Oder ist Maßlosigkeit (siehe Forderung der Lokführer) derzeit angesagt?
Die Liste der Fragen ließe sich fast endlos fortsetzen. Bedenken Sie, dass Sie ein Volksvertreter sind, ein Staatsdiener (das heißt nicht, sich am Staat zu bedienen). Wundern Sie sich nicht über zunehmende Politikverdrossenheit bzw. Abwanderung zu links- und rechtsextremen Parteien - solche Aktionen wie die unangemessene Erhöhung sind die Nahrung dafür. Das Ansehen von Politikern ist ohnehin nicht sehr hoch, verspielen Sie nicht den letzten Rest von Glaubwürdigkeit. Niemand hat etwas gegen ein gutes Einkommen (bei entsprechender Leistung!) und gegen moderate Steigerungen. Man könnte die Diäten z.B. an die Rentensteigerungen koppeln - das wäre ein faires und nachvollziehbares Verfahren (selbst dann fällt die Erhöhung in Euro beim Abgeordneten wesentlich höher aus als beim Rentner). Sie sind nur Ihrem Gewissen und dem Volk gegenüber verantwortlich, von daher erwarte ich von Ihnen, dass Sie dieser unmoralischen Erhöhung nicht zustimmen.

Mit verärgerten Grüßen
Winfried Hofmann

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hofmann,

vielen Dank für Ihr Anfrage zur Abgeordnetenentschädigung. In diesen Tagen wird öffentlich über das Einkommen der Abgeordneten diskutiert. Das finde ich sehr gut. Transparenz hat noch niemandem geschadet und wer ein öffentliches Amt wahrnimmt, muss sich Fragen zum Beispiel nach seinem Einkommen gefallen lassen. Wie Sie sicherlich wissen, tue ich dies bereits seit Jahren auf meiner Webseite und bin dafür schon mehrfach als transparentester Abgeordneter ausgezeichnet worden. Gerne antworte ich Ihnen daher und schreibe Ihnen meine Meinung zur Höhe der Abgeordnetenentschädigung, den Diäten.

Abgeordnete haben nach Artikel 48 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) und der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung („Diät“) und eine entsprechende Altersentschädigung (Ruhegeld), die der Besoldung folgt. Beide wurden zuletzt zum 1. Januar 2003 angehoben, 2004, 2005, 2006 und 2007 folgten „Nullrunden“.

Die Bundestagsabgeordneten erhalten monatlich ein „Gehalt“ von derzeit 7.009 Euro brutto. Diese Abgeordnetenentschädigung ist wie alle Einkommen (Lohne, Gehälter) voll zu versteuern. Bei der Einführung der Pflegeversicherung in Deutschland wurde vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Feiertag gestrichen. Da die Abgeordneten jeden Tag Abgeordnete sind, konnte man ihnen natürlich keinen Feiertag streichen, deshalb wurde das ausgezahlte „Gehalt“ reduziert auf aktuell 6.989,80 Euro. Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, ein dreizehntes Monatsgehalt oder ähnliches bekommen Abgeordnete nicht. 7.009 Euro sind viel Geld. Die Abgeordneten verdienen damit mehr als die große Mehrzahl ihrer Wählerinnen und Wähler. Es ist deshalb auch falsch, wenn sich Abgeordnete darüber beklagten, dass sie zuwenig verdienen, oder Nebenverdienste anstreben. Natürlich sind diese 7.009 Euro weniger als das Monatsgehalt vieler Führungskräfte in der Wirtschaft, den Verbänden, den Gewerkschaften, und dazu muss man gar nicht auf die höchsten Hierarchiestufen schauen. Trotzdem: Kein Abgeordneter leidet an Armut.

Niemand macht Politik - oder sollte Politik machen -, weil er oder sie Geld verdienen will. Auch ein gut verdienender Rechtsanwalt, eine Managerin, ein Unternehmer, ein hoch bezahlter Wissenschaftler oder eine gut verdienende Künstlerin kann in die Berufspolitik gehen. Das geschieht auch. Sie müssen aber wissen, dass sie ihr früheres Einkommen dabei meistens nicht wieder erreichen, sondern weniger verdienen werden. Das ist bei einem öffentlichen Amt auch zumutbar, soweit zum Beispiel die Abgeordnetenentschädigung nicht zu gering und angemessen ist. Bei der Höhe der Abgeordnetenentschädigung ist vor allem die Frage zu beantworten, was ist angemessen. Was ist angemessen für einen Wahlkreisabgeordneten oder eine Wahlkreisabgeordnete, die die Interessen von ca. 300.000 Bürgerinnen und Bürgern vertreten? Was ist angemessen für jede und jeden der über 600 Abgeordneten, die in unserem Land darüber entscheiden, ob deutsche Soldaten ins Ausland geschickt werden (Beispiel Kosovo, Afghanistan) oder nicht (Beispiel Irak)? Was ist angemessen für die Abgeordneten, die über die Zukunft unserer Kranken- und Rentenversicherung, über die Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und darüber entscheiden, welche Steuern wir zahlen sollen? Was ist angemessen für eine 60- bis 80-Stunden-Woche unter öffentlicher Beobachtung?

Mein Eindruck ist, dass in der Öffentlichkeit die Höhe der Abgeordnetenentschädigung letztlich weit überwiegend akzeptiert wird - wenn auch natürlich nicht von allen.

Kritisiert wird vor allem, dass die Abgeordneten selbst über die Höhe von Entschädigung und Altersentschädigung entscheiden. Im Rahmen der geltenden Verfassung ist es aber nicht möglich, die Entscheidung über die Höhe der Diät auf andere zu übertragen, obwohl auch viele Abgeordnete angesichts der meist kritischen Öffentlichkeit eine solche Übertragung der Entscheidung befürworten. Der Deutsche Bundestag muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes selbst über jede Erhöhung der Entschädigung vor den Augen der Öffentlichkeit durch Gesetz entscheiden. Die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung kann daher nicht auf eine unabhängige Expertenkommission übertragen oder durch eine automatische jährliche Anpassung in der Höhe der durchschnittlichen Steigerung der Löhne und Gehälter ersetzt werden.

Der Bundesgesetzgeber hat den verfassungsrechtlichen Vorgaben und den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts bei der Verabschiedung des Abgeordnetengesetzes im Jahre 1977 Rechnung getragen, indem er als Orientierungsgröße für die Entschädigung der Abgeordneten die Bezüge solcher Amtsinhaber, die einer mit den Abgeordneten vergleichbaren Verantwortung und Belastung unterliegen, wählte. Als vergleichbar mit den Abgeordneten, die Wahlkreise mit 300.000 Bürgerinnen und Bürgern vertreten, wurden Bürgermeister kleiner Städte mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern bzw. Fachdezenenten von Städten wie Bonn angesehen. Sie erhalten als kommunale Wahlbeamte auf Zeit eine Vergütung der Besoldungsgruppe B6. Als vergleichbar wurden auch die einfachen Richter bei einem obersten Gerichtshof des Bundes (Bundesgerichtshof, Bundesarbeitsgericht, etc.) angesehen, die bei der Ausübung ihres Amtes ähnlich wie Abgeordnete unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Sie erhalten eine Vergütung nach der Besoldungsgruppe R6. Mit der Änderung des Abgeordnetengesetzes im Jahre 1995 wurde der Orientierungsrahmen für die Abgeordnetenentschädigung genau mit einem Zwölftel der Jahresbezüge der Beamtenbesoldungsgruppe B6 und der Richterbesoldungsgruppe R6 vorgegeben.

Diese Bezugsgrößen wurden bisher nie erreicht. Zu den Monatsbezügen der Besoldungsgruppe B6/R6 in Höhe von rund 7.668 Euro (bei Verheirateten, ohne Kinder) besteht derzeit aber immer noch eine Differenz von 659 Euro; das sind 9,4 Prozent. Werden, wie heute im Gesetz vorgesehen, die Sonderzahlungen anteilig berücksichtigt, ist die Differenz sogar noch etwas größer, in meinem Fall ca. 1.200 Euro monatlich. Es war richtig, dass die Abgeordneten wegen der in den letzten Jahren angespannten wirtschaftlichen Lage die Entschädigung und die Altersentschädigung seit dem Jahre 2003 nicht angehoben haben. Jetzt wächst die Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Löhne, Gehälter und auch die Renten steigen allmählich wieder. Die jüngsten Tarifabschlüsse in der Metallindustrie bringen eine Lohnsteigerung um 4,1 Prozent, der Abschluss in der Chemiebranche sieht Lohnerhöhungen von 3,6 Prozent vor und das Baugewerbe hat sich auf eine Erhöhung von 3,1 Prozent geeinigt. Auch bei den Renten wird 2008 dadurch wohl erstmals wieder eine spürbare Erhöhung folgen.

Angesichts der positiven wirtschaftlichen Entwicklung ist auch eine Anhebung der Entschädigung möglich und vertretbar. Zugleich soll der berechtigten öffentlichen Kritik an der heutigen Systematik von Entschädigung und Altersentschädigung Rechnung getragen werden. Denn neben der Art und Weise, wie die Höhe der Diäten festgelegt wird, steht vor allem die Höhe des Altersversorgungsanspruches in der Kritik und dass das Modell der Altersversorgung von Abgeordneten weitgehend dem Vorbild der Beamtenversorgung folgt. Im Unterschied zu den Beamten, die meist ein ganzes Berufsleben lang für ihren jeweiligen Dienstherren (Gemeinde, Land, Bundesrepublik Deutschland) tätig sind, gehen Abgeordnete typischerweise vor und nach der Mandatszeit einer Erwerbstätigkeit nach. Anders als den Beamten, die im Alter auf eine Vollversorgung angewiesen sind, stehen ihnen meistens aus dieser Erwerbstätigkeit auch noch andere Versorgungsansprüche zu. Wir wollen daher die Kritik aufgreifen und folgende Änderungen vornehmen:

1. Absenkung des Altersversorgungsanspruches
Die neuen Versorgungsregelungen sehen eine Abkehr von den bisherigen, sich an der Vollversorgung orientierenden Regelungen der Altersentschädigung in die Richtung einer lückenfüllenden Teilversorgung für die Mitgliedschaft im Parlament vor („Baukastensystem“), die nur einen Teil des Berufslebens der Abgeordneten darstellt. Derzeit erhält ein Abgeordneter nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag für jedes Jahr seiner Mitgliedschaft eine Altersentschädigung in Höhe von 3 Prozent der monatlichen Diät. Das gilt jedoch nur, wenn er mindestens acht Jahre lang Mitglied des Bundestages war. Nach diesen acht Jahren erhält er also 24 Prozent der monatlichen Diät von derzeit 7.009 Euro als Altersversorgung. Zukünftig sollen statt 3 Prozent nur noch 2,5 Prozent pro Jahr der Mitgliedschaft gezahlt werden. Nach acht Jahren im Bundestag erhält ein ehemaliger Abgeordneter dann nicht mehr 24 Prozent der Diät, sondern nur noch 20 Prozent.
Der Steigerungssatz der Altersentschädigung, der bis 1995 noch 4 Prozent der Abgeordneten­entschädigung pro Jahr der Mitgliedschaft im Bundestag betrug, wird also von jetzt 3 Prozent weiter auf 2,5 Prozent herabgesenkt. Der Höchstsatz der Altersentschädigung von nunmehr 67,5 Prozent der Abgeordnetenentschädigung wird künftig erst nach 27 und nicht wie bisher bereits nach 23 Mandatsjahren erreicht. (Den Höchstanspruch erwerben aber nur wenige Abgeordnete, da die meisten Abgeordneten dem Bundestag nur zwei bis drei Legislaturperioden angehören). Ein Versorgungsanspruch im Alter entsteht nach dem Konzept der lückenfüllenden Teilversorgung nach dem ersten Jahr der Mitgliedschaft. Darüber hinaus wird die Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung („Rente mit 67“) mit der stufenweisen Anhebung der Altersgrenze für die Altersentschädigung von dem 65. Lebensjahr auf das 67. Lebensjahr wirkungsgleich umgesetzt.

2. Dauerhafter Orientierungsmaßstab für die Entschädigung
Um dem in weiten Kreisen der Bevölkerung verbreiteten Wunsch nachzukommen, dass die Abgeordneten nicht selbst nach unverständlichen Maßstäben über die Höhe der Entschädigung entscheiden sollen und gleichzeitig der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichtes zu entsprechen, dass die Abgeordneten eben selbst über ihre Entschädigung entscheiden müssen, soll die Abgeordneten­entschädigung in zwei Schritten an die 1975 vom Verfassungsgericht vorgegebene Höhe angepasst werden. In Zukunft erfolgt eine Anhebung der Entschädigung nur, wenn sich die Vergütung der mit den Abgeordneten vergleichbaren Bürgermeister und der Bundesrichter ändert. Und der Bundestag beschließt darüber jedes Mal neu in einem eigenen Gesetz vor den Augen der Öffentlichkeit. Es besteht die Hoffnung, dass wenn in Zukunft die Abgeordnetenentschädigung dauerhaft den Vergütungen der Bürgermeister von Städten und der Bundesrichter folgt, die für die parlamentarische Demokratie notwendige Akzeptanz für die konkrete Höhe der Entschädigung der Abgeordneten allmählich wächst und deutlich wird, dass die Gesetze des Bundestages zur Entschädigung der Abgeordneten nicht als „Selbstbedienung“ beschrieben werden können.
Übrigens: Die Mehrkosten für die Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung belaufen sich im Jahr 2008 auf rund 2,4 Mio. Euro und ab dem Jahr 2009 auf weitere rund 2,4 Mio. Euro jährlich. Bei den Versorgungsaufwendungen wird die Herabsetzung des Steigerungssatzes für die Altersentschädigung langfristig zu einem Einsparvolumen führen.

Ich habe mir erlaubt, Ihnen meine Auffassung etwas ausführlicher darzustellen. Über Thema Diäten und Altersvorsorge machen sich zu Recht viele Menschen Gedanken. Ich habe ihnen daher gerne meine Meinung dazu dargelegt. Ich würde mich freuen, wenn Sie die Informationen überzeugt haben und Sie Verständnis für den von uns gemachten Vorschlag hätten. Ich glaube, dass es ein guter und ausgewogener Vorschlag ist.

Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Kelber