Frage an Ulrich Kelber von Marc-Steffen M. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Kelber,
Die Abstimmung unseres Parlaments zur Aufstockung des Euro-Rettungsschirms steht an.
Die Tatsache, dass Deutschland und damit der deutsche Steuerzahler für Schulden anderer Staaten haften soll, ist für die Mehrzahl der deutschen Wähler ohnehin nicht nachvollziehbar. Die überraschende Wendung aus Medienberichten über geplante Hebel-Instrumente des ESFS, die nun scheinbar unseren Finanzminister auch überraschen, lassen meinen Rest an Vertrauen in die Fähigkeiten der Politik in dieser Wirtschaftsfrage schwinden und bestärken mich in dem Glauben, dass die wenigsten Parlamentarier richtig informiert sind.
Verstehen Sie eigentlich, worauf wir uns da als Nation überhaupt einlassen? Haben Sie oder hat irgend ein anderes Parlament das eigentlich noch unter Kontrolle?
Das Risiko der tatsächlichen Inanspruchnahme der Staatsgarantie und das Risiko von großen Verlusten der EZB bei ihrem (unter dem Gesichtspunkt der Geldwertstabilität ohnehin inakzeptablen) Vorhaben des Aufkaufs wertloser Staatsanleihen kann und darf nicht einfach ignoriert werden! Allein die Dimensionen der genannten Zahlen – 200 Mrd Eur an Garantien, Anleiheaufkäufe und Notkredite im Wert von mehr als 1000 Mrd Euro, sind schier unglaublich.
Dazu fällt mir nur noch das alte Lied ein: „Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt?“
Als einfacher Geschäftsmann lasse ich persönlich die Finger von Geschäften, die ich nicht verstehe oder deren Risiko ich nicht überschauen kann. Dem schlechten Geld werfe ich auch kein Gutes hinterher, egal wie weh es tut. Als unseren demokratisch legitimierten Volksvertreter bitte ich Sie: Tun Sie für uns Steuerzahler dasselbe. Lassen Sie die Euro-Defizitler doch aus dem Euro austreten, die Banken werden es sicher überleben. Bitte „bestellen“ Sie uns keine unabsehbaren neuen Staatsschulden!
Wie werden Sie in der geplanten Abstimmung stimmen?
Mit freundlichen Grüßen
Marc-Steffen Müller
Regensburg
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Anfrage zu meinem Abstimmungsverhalten zur Erweiterung des europäischen Rettungsschirms. Ich habe mit Ja gestimmt, weil die EFSF ein notwendiger Schritt zur Bewältigung der Schuldenkrise ist, auch wenn er noch nicht ausreicht. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern weitergehende Anstrengungen, um die Stabilität der Eurozone zu gewährleisten. Uns jeglicher Hilfe zu verweigern, käme uns viel teurer zu stehen. So führte ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone nicht nur dazu, dass Griechenland mit der Wiedereinführung der Drachme seine Schulden in Euro überhaupt nicht mehr begleichen könnte. Ein Austritt hätte dramatische Folgen für die anderen betroffenen Länder und die Eurozone insgesamt.
Zweifelsohne stehen die betroffenen Länder maßgeblich in der Pflicht. Die Ursachen der Refinanzierungskrise dieser Staaten sind jedoch sehr unterschiedlich. Fakt ist aber, dass die Haushaltsdefizite der betroffenen Länder im Zuge der Finanzkrise massiv in die Höhe geschnellt sind. Auch das hat zu einem Vertrauensverlust geführt. Dabei haben Spanien und Irland in den Jahren vor der Finanzkrise 2007/2008 sogar Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet, auch Portugal lag nur knapp über dem Maastricht-Kriterium und war auf Konsolidierungskurs. Die betroffenen Staaten müssen ihre Haushalte wieder konsolidieren. Die einseitigen Spardiktate sind keine Lösung, denn anstatt die Einnahmen der Staatshaushalte zu verbessern, setzen sie auf Ausgabenkürzung und treffen damit vor allem Arbeitnehmer, Rentner und die soziale Infrastruktur.
Anstatt durch populistische Attacken auf die betroffenen Länder die Entsolidarisierung in Europa voranzutreiben, sollten deshalb vielmehr auch die Finanzmärkte und Banken einen deutlichen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten. Deshalb fordern wir die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zur Eindämmung von Spekulationen. Hierdurch lassen sich auch zusätzliche Mittel für Investitionen generieren. Eine wirksame Banken- und Finanzmarktregulierung ist zwingend. Risiko und Haftung müssen für Finanzmarktakteure wieder zusammenfallen. Als Gegengewicht zu den angelsächsischen Ratingagenturen, die mit ihren Urteilen über die Zukunft von Staaten entscheiden, bedarf es einer Europäischen Ratingagentur, die die Bonität von Ländern bewertet.
Die Rettung der Eurozone wird es nicht zum Nulltarif geben. Sie ist jedoch weit mehr als ein Akt der Nächstenliebe gegenüber Staaten, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Schulden zu bezahlen. Die Stabilität der Eurozone liegt im deutschen Interesse, weil ein Zusammenbruch unsere Wirtschaft immens schwächen würde. Es gilt das Motto: Es geht uns solange gut, wie es auch allen anderen in Europa gut geht. Deutschland ist nicht nur der größte Nettozahler, sondern auch der größte Profiteur der EU: 40 % der deutschen Exporte gehen in die Eurozone, 60 % sogar in die EU. Allein in den letzten beiden Jahren hat Deutschland durch die Mitgliedschaft in der Eurozone einen Wachstumsvorteil zwischen 2 bis 2,5 Prozentpunkten realisiert.
Unsere gemeinsame Währung erfordert auch eine verbindlichere Abstimmung der Wirtschafts- und Haushaltspolitiken. Aber auch bei dieser notwendigen Koordination müssen wir mehr Demokratie wagen. Das Europäische Parlament und der Deutsche Bundestag müssen angemessen beteiligt werden.
Mit freundlichem Gruß
Ulrich Kelber