Frage an Ulrich Kelber von Heinrich B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kelber,
eine von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Gesetzesinitiative sieht vor, eine geheime Liste von zu sperrenden Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt vom Bundeskriminalamt erstellen zu lassen und Internetprovider mit mindestens 10.000 Kunden gesetzlich zur Sperrung zu verpflichten. Die Initiative sieht weder eine richterliche Kontrolle noch eine Kontrolle durch eine andere unabhängige Stelle vor.
Meine Frage an Sie: Wie stehen Sie zu diesem Entwurf, über den am nächsten Donnerstag im Bundestag abgestimmt werden soll?
Insbesondere interessiert mich Ihre Ansicht aus dem Blickwinkel der Verfassungsmäßigkeit (geheime Liste ohne unabhängige Kontrolle, kein Richtervorbehalt, kleine Provider und Universitäten werden von der Regelung ausgenommen etc.).
Auch interessiert mich Ihre Ansicht zur Wirksamkeit dieses Gesetzes und zu möglichen Risiken und Nebenwirkungen. Einer der Einwände ist ja, dass primär die Löschung von solchen Webseiten und die wirksame Strafverfolgung der Täter vorzuziehen seien, und eine Websperre nur das letzte Mittel sein sollte (in Verbindung mit einer unabhängigen Kontrolle). Ferner interessiert mich Ihre Meinung zu den "Nebwirkungen" dieses Gesetzesvorhaben in Bezug auf Meinungs- und Rezipientenfreiheit.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Gruß
Heinrich Bauer
Sehr geehrter Herr Bauer,
vielen Dank für Ihre Frage zum Zugangserschwerungsgesetz.
Ich habe zu der Abstimmung über den Gesetzentwurf die folgende Erklärung zur Protokoll gegeben, die auch Ihre Einzelfragen alle beantwortet: "Die Bekämpfung von Kinderpornographie, der Schutz der missbrauchten Kinder und die strafrechtliche Verfolgung der Täter und Händler ist dringend geboten und muss in allen Formen verstärkt bekämpft werden – mit allen rechtsstaatlichen Mitteln. Der vorliegende Gesetzentwurf dient diesem Ziel nach meiner festen Überzeugung kaum und eröffnet Möglichkeiten einer Aufsicht im Internet, die ich für höchst bedenklich halte, weil ohne Not und zu weitgehend in die Grundrechte des Fernmeldegeheimnis und der Informationsfreiheit eingegriffen wird. Ich erkenne an, dass es meinen Fraktionskolleginnen und -kollegen in den Beratungen gelungen ist, den Ursprungsentwurf des Gesetzes, der nach meiner Überzeugung schlicht verfassungswidrig war, deutlich zu verbessern und so zu gestalten, dass er rechtsstaatliche Standards einhält. Dem eigentlichen Ziel, der Bekämpfung von Kinderpornographie, dient er aber nach wie vor nicht, immer noch befördert er „Wegsehen statt Handeln“. Kriminelle, die solche Inhalte verbreiten, ansehen und speichern wollen, können die angedachten Sperren leicht umgehen, in dem sie ihren Browser auf einen DNS-Proxy im Ausland umstellen, zu kleinen Providern wechseln oder schlicht die Ziffern der IP-Adressen eingeben. Ins reale Leben übertragen würde dieses Gesetz ungefähr wie folgt wirken: Wenn ein Polizist in einem Kiosk kinderpornographisches Material sieht, soll er das Straßenschild abschrauben, damit niemand mehr den Kiosk findet. Tatsächlich gibt es aber immer noch Straßenkarten, Navigationsgeräte und Nachbarn, die jedem sagen/zeigen können, wo der Kiosk ist. Die Stammkunden finden den Weg ohnehin. Zur Bekämpfung von Kinderpornographie wäre es notwendig, dass der Polizist den Kioskbesitzer festnimmt, das Material beschlagnahmt, die Vertriebswege recherchiert und alle Kunden, die Zwischenhändler und den Produzenten ebenfalls verfolgt und festnimmt. Notwendig zur tatsächlichen Bekämpfung von Kinderpornographie auch im Internet wären aus meiner Sicht Schwerpunktstaatsanwaltschaften, eine weitere Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften, öffentlicher Druck auf Provider, die sich weigern Server mit solchen Inhalten abzuschalten und öffentlicher internationaler Druck auf solche Staaten, die nicht intensiv bei der Bekämpfung von kinderpornographischen Inhalten in ihren Netzen mitarbeiten. Die letzten Tage und Wochen haben gezeigt, dass auch bei ausländischen Providern schnell eine Löschung solcher Webseiten und Inhalte erreicht werden kann. Dies muss forciert werden. Der Gesetzentwurf setzt die postulierte Lösung „Löschen vor Sperren“ nicht konsequent um.
Das Sperren von Internetseiten greift in die Grundrechte des Fernmeldegeheimnis ein und der Informationsfreiheit ein und bedürfte von daher einer ordentlichen richterlichen Überprüfungsmöglichkeit. Die Kontrolle der BKA-Sperrlisten durch das neu eingeführten Expertengremium entspricht nach meiner Auffassung nicht diesem Grundsatz. Auch wenn das Gesetz nun ausdrücklich nur für die Sperrung von Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten gelten soll und dies durch die Namensgebung dokumentiert wird, wird mit diesem Gesetz ein Tor zur Sperrung weiterer unliebsamer Internetseiten geöffnet, wie die Forderungen von Politikern aus CDU und CSU zeigen, die z.B. auch Onlinespiele und Tauschbörsen sperren wollen. Wie bei der Verwendung der Mautdaten wird sich auch hier zeigen: Pfade, die einmal begangen wurden, können schnell zu Straßen oder gar Autobahnen werden.
Da sich meine Fraktion mit großer Mehrheit dennoch für diesen so veränderten Gesetzentwurf ausgesprochen hat und das Gesetz auf drei Jahre befristet ist, stimme ich zu, da ich diese Entscheidung zwar für falsch, nicht aber für eine Gewissensfrage halte."
Es entspricht dem Selbstverständnis meiner Fraktion, dass wir nach einer Abstimmung in der Fraktion geschlossen die Mehrheitsmeinung vertreten, wenn es nicht um Gewissensfragen geht. Dies erwarte ich von meinen Kolleginnen und Kollegen in anderen/meinen Themenbereichen und deshalb können sie es auch von mir erwarten.
Mit freundlichem Gruß
Ulrich Kelber