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Frage von Frédéric L. •

Frage an Ulla Schmidt von Frédéric L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Schmidt,

Wären Sie bereit, als die meinen Wahlbezirk vertretende Abgeordnete, dem deutschen Bundestag die folgenden Wünsche bzw. Gedankenanstöße entgegenzubringen?

1. Die Regierungszeit des Bundeskanzlers sollte sich auf zwei Wahlperioden beschränken. (So hätte sich Herr Schröder auch den peinlichen Abgang erspart.)

2. Dem einzelnen Bürger sollte die Direktwahl seines Staatsoberhauptes angeboten werden. Dies könnte neben dem Bundeskanzler auch auf den Bundespräsidenten zutreffen.

Diese Ideen orientieren sich übrigens an den Wahlrechten und -pflichten der USA und Frankreich, zwei der ältesten Demokratien dieses Planeten.

Mit freundlichen Grüßen,
Frédéric Linn

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Linn,

vielen Dank für Ihre Fragen und Vorschläge zur Ausgestaltung unseres politischen Systems in Deutschland. Für Ihre Anregungen finden sich bisweilen unter Politikerinnen und Politikern prominente Befürworterinnen und Befürworter. Ich unterstütze jedoch keine der genannten konkreten Anregungen.

Das Mitte 1949 etablierte politische System der Bundesrepublik Deutschland hat sich hervorragend bewährt. Es ist vom Grundgesetz als eine parlamentarische Demokratie konzipiert. In ihr spielen ein starker Bundestag als einziges direkt vom Volk gewähltes Verfassungsorgan, und die Bundesregierung mit einer oder einem vom Bundestag gewählten und kontrollierten Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler an der Spitze, die zentralen politischen Rollen. Die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident als Staatsoberhaupt ist im Wesentlichen auf symbolische und repräsentative Funktionen beschränkt.

Eine Direktwahl der politischen Spitzenämter auf Bundesebene war von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes nach den schlechten Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung, die einen starken direkt gewählten Reichspräsidenten beinhaltete, bewusst nicht vorgesehen. Die im Grundgesetz konzipierte Gewaltenverschränkung und -kontrolle zwischen Legislative (Bundestag) und Exekutive (Bundesregierung) und die politisch eingeschränkte Rolle der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten würden in Frage gestellt, wenn es durch eine Direktwahl der politischen Spitzenämter zu einer deutlichen Machtverschiebung zugunsten eines oder beider dieser Ämter käme. Der Vorschlag der Direktwahl dieser beiden Spitzenämter beinhaltet daher nicht weniger als eine Neukonzeption des politischen Systems in Deutschland. Dafür sehe ich auf Grund der außerordentlich positiven Erfahrungen mit unserer Verfassung keine Veranlassung.

Zielt Ihr Vorschlag der Direktwahl hingegen auf die Etablierung von Elementen der direkten Demokratie und mehr Bürgerbeteiligung ab, bin ich voll bei ihnen. Die SPD setzt sich dafür ein, dass Volksbegehren und Volksentscheide auch auf der Bundesebene ermöglicht werden. Leider ist es bisher nicht gelungen, dafür eine für die Änderung des Grundgesetzes notwendige Zweidrittelmehrheit zu finden. Wir werden aber nicht in unserem Bemühen nachlassen, diese wichtige Ergänzung des Grundgesetzes zu erreichen.

Für eine Beschränkung der Regierungszeit der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers sehe ich keine Notwendigkeit. Die von Ihnen genannten USA und Frankreich haben präsidentielle (USA) bzw. semipräsidentielle (Frankreich) Regierungssysteme, in denen der Präsident als direkt vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt, als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und in den USA auch als Regierungschef weitreichende Machtbefugnisse in seiner Person vereinigt. Charakteristisch für diese Regierungsform ist die Unabhängigkeit des direkt gewählten Präsidenten vom jeweiligen Parlament. So kann der Präsident auch nicht durch ein politisches Misstrauensvotum einer Parlamentsmehrheit abgewählt werden. Damit verfügt er über eine Machtfülle, welche in keiner Weise mit der einer Bundeskanzlerin oder eines Bundeskanzlers vergleichbar ist, und die latente Gefahr von politischen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen in sich birgt. Daher unterwarfen sich die amerikanischen Präsidenten – mit Ausnahme von Franklin D. Roosvelt – nach dem Vorbild Georg Washingtons der Selbstbeschränkung, nur maximal zwei Amtsperioden lang zu regieren. Erst 1951 wurde dieses Prinzip formal in die amerikanische Verfassung aufgenommen. Diese Amtszeitbegrenzung vermindert das Risiko des Machtmissbrauchs und dient der Abwehr der genannten Fehlentwicklungen.

Diese Funktionen übernimmt in der parlamentarischen Demokratie unseres Grundgesetzes das Parlament, das die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler jederzeit durch ein konstruktives Misstrauensvotum abwählen kann. Wenn eine Politikerin oder ein Politiker Klasse und Format hat, das Amt der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers länger als zwei Wahlperioden auszufüllen, und dies von den Wählerinnen und Wählern gewünscht wird, spricht meines Erachtens nichts dafür, sie oder ihn durch eine Amtszeitbeschränkung daran zu hindern. Zumal bei einer Amtszeitbeschränkung die Gefahr bestünde, dass eine Bundeskanzlerin oder ein Bundeskanzler in ihrer oder seiner zweiten Amtszeit zunehmend handlungsunfähig würde, wenn absehbar wäre, dass sie oder er das Amt schon bald nicht mehr innehat.

Was übrigens die Wiederwahlmöglichkeit des französischen Präsidenten anbelangt, ist festzuhalten, dass seit 2002 die mehrfache Wiederwahlmöglichkeit des Präsidenten in der Verfassung verankert ist, nachdem gleichzeitig die Dauer einer Amtsperiode von sieben auf fünf Jahre reduziert wurde.

Mit herzliche Grüßen,

Ihre Ulla Schmidt