Frage an Torsten Schneider von Ralf B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Schneider,
mit Bestürzung habe ich das Papier der Koordinierungssitzung der A-Staatssekretäre der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg vom 13.05.2011 mit dem Titel „Änderung des Kinder- und Jugendhilferechts (SGB XII)“ gelesen. Die geplante Abschaffung des individuellen Rechtsanspruchs der Hilfesuchenden ist ein Angriff auf das Kernstück der Jugendhilfe, das gerade den Schwachen und wenig Durchsetzungsfähigen eine starke Stellung verleiht. Ohne dieses Recht sind die Hilfe suchenden Menschen den Wechselbädern der Politik und Finanzstrategen unterworfen. Welche Konsequenzen das hat, zeigt gerade die aktuelle Entwicklung in Neukölln (48 Projekte wurden zum 30.9. gekündigt).
Bitte teilen Sie mir mit, wie Sie persönlich zu dieser Initiative stehen und wie sich Ihre Partei zu diesem Vorstoß positioniert!
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Bub,
ich bedanke mich für Ihre Frage, die Sie als Interessenvertreter natürlich besonders befasst. Allerdings vermag ich nicht zu erkennen, dass der „individuelle Rechtsanspruch der Hilfesuchenden“ abgeschafft werden soll, wenngleich ich diese politische Wertung von interessierte Seite bereits kenne. Damit sprechen Sie offenbar § 27 Abs. 1 SGB VIII an, der dem Personensorgeberechtigten - meiner Ansicht nach wäre besser, dem Kind oder Jugendlichen selbst - einen Hilfeanspruch gewährt, soweit „eine entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist“.
Dieser Anspruch steht nicht zur Debatte und soll insbesondere nicht abgeschafft werden. Vielmehr heißt es in dem angesprochenen Arbeitspapier der Verwaltung: „ … den Rechtsanspruch vorrangig durch eine Gewährleistungsverpflichtung des öffentlichen Jugendhilfeträgers zu erbringen … mit dem Ziel des Ausgleichs sozialer Benachteiligung.“ Damit liegt der Überlegungsfokus der Verwaltung gerade nicht beim Hilfesuchenden selbst, sondern bei der bundesweit zu beobachtenden Abkehr vom Einzelhilfegedanken hin zu einer regelrechten Industriealisierung samt Kostenexplosion in diesem Bereich; der Aufwuchs allein in Berlin liegt im dreistelligen Millionenbereich.
Ich werde mich politisch einsetzen, dass zum Wohle der Kinder und Jugendlichen und dabei vor allem zum Ausgleich sozialer Benachteiligung der Rechtsanspruch erfüllt wird. Politisch unterstütze ich allerdings jede davon unabhängige Ausgabenbegrenzung. Im Übrigen wurden - nicht zuletzt durch meinen politischen Einsatz als Sprecher und Ausschussvorsitzender - die Berliner Bezirke von den Risiken ausgerechnet dieser Kostensteigerungen freigestellt; eine bundeweit einmalige Privilegierung der kommunalen Ebene.
Die etwaige Kündigungen im Bezirk Neukölln standen nach meinen Informationen gerade nicht im Zusammenhang mit dem individuellen Rechtsanspruch des § 27 Abs. 1 SGB VIII, sondern verursachten sich aus einer unseriösen Fachpolitik einhergehend mit einer unverantwortlichen Haushaltsüberziehung.
Ich bedanke mich für die Gelegenheit, diese beiden Fehlsichten richtig stellen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Torsten Schneider, MdA