Frage an Tom Koenigs von Reineke J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Koenigs,
wie ist Ihre Meinung zum geplanntem ESM?
Soweit mir bekannt ist, ist die endgültige Abstimmung im Bundestag am 25.05 geplannt. Als mündiger Bürger ist mir meine Stimmabgabe sehr wichtig, und ich muss Ihnen bekanntgeben, dass Sie für mich unwählbar würden, sollten Sie diesem Gesetz Ihre (und damit meine als Ihr Wähler) Zustimmung erteilen.
Der Inhalt dieses Vertrages ist scheinbar der einer Finanz-Wirtschaftlichen-Lösung zu anhaltenden Finanz-Wirtschaftlichen-Problemen. Doch sehe ich in dem Vertragstext vielmehr einen weiteren Schritt in ein undemokratisches Europa. Ein Europa indem jedes Individuum immer weniger zu sagen hat.
Kritische Fragen:
A) Wieso ist die Kapitalbereitstellung "unwiderruflich und uneingeschränkt"? (§ 8 Abs. 4 & § 9 Abs. 3) Eigentlich ist doch das Volk der Souverän und muss das Recht haben auch hier seine Meinung zu revidieren!
B) Wieso soll der Gouverneursrat die Kompetenz haben diesen völkerrechtlichen Vertrag in Stellen selbsttätig zu ändern? (u.a. § 10, 14 - 18, Anhänge 1 & 2) Auch hier Eingriff in die nationale Volkssouveränität!
C) Warum soll diese neu zu schaffende Institution vollkommen juristisch Immun sein (§ 32 - 35), absolut Steuerbefreit (§ 36) und für seine Bediensteten eigene Steuern erheben dürfen? (§ 36 Abs. 5)
D) Wieso sollte der ESM Aufgaben an die EU-Kommission vergeben dürfen und nicht umgekehrt? ( § 13) Ganz naiv, glaubt doch der Bürger, die Kommission sei das höhste EU-Gremium gefolgt von dem EU-Parlament.
E) Wieso können säumige EU-Staaten von ihrem Stimmrecht ausgeschlossen werden? (§ 4 Abs. 8) Warum hier Möglichkeiten schaffen über die Köpfe (evtl. sogar zu ungunsten) einzelner Mitglieder abzustimmen. In Gänze erinnert mich das (auch das reguläre) Abstimmungsverfahren an das Preußische 3-Klassenwahlrecht, inder einige "Gleicher" als andere sind. Wieso ist schlussendlich meine demokratische Stimme aus Deutschland mehr wert als die eines Estländers?
Ich bin auf Ihre Meinung gespannt
Sehr geehrter Herr Reineke,
danke für Ihre Frage. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, wenn die europäische Einigung sich nicht in einer gemeinsamen Währung erschöpft, sondern auch mit einer gemeinsamen Währungs-, Finanz- und Sozialpolitik mündet. Der ESM ist da ein Schritt in die richtige Richtung, trotz Bedenken bei manchen Details.
Ihre Fragen kann ich nicht umfassend beantworten, weil die Bundesregierung den ESM aushandelt und deswegen im Gegensatz zu mir über die Diskussionen bezüglich einzelner Artikel im Details informiert ist. Aber einige Hinweise will ich Ihnen dennoch geben:
Zu A): Der ESM muss über sein Kapital uneingeschränkt verfügen können, weil er am Markt teilnimmt und von anderen Marktteilnehmern ja auch erwartet, dass diese ihr Kapital verlässlich einbringen, wenn dies so vertraglich ausgehandelt wurde. Genauso verhält es sich, wenn der deutsche Staat über seine Bundesunternehmen in der Privatwirtschaft tätig wird. Demokratisch bedenklich sind solche Arrangements nicht, weil auch in Demokratien Verträge zu halten sind.
Zu B): Ich erkenne nicht, wie die genannten Artikel die nationale Souveränität betreffen.
Zu C): Wem sollte der ESM denn Steuern zahlen? Der EU? Das wäre doch widersinnig, weil der ESM sein Kapital aus Steuermitteln der Mitgliedsstaaten erhält, die dann noch einmal versteuert werden würden. Ich vermute, dass deswegen eine Steuerbefreiung vorgesehen ist.
Zu D) Die Kommission soll ein Memorandum of Understanding ("MoU") aushandeln, in dem die Konditionen der Hilfsmaßnahmen festgehalten werden. Es leuchtet mir ein, dass das besser die Kommission als der ESM machen soll: Die Kommission ist schließlich ein ordentliches politisches Organ der EU und muss ihre Handlungen gegenüber Parlament und Regierungen rechtfertigen.
Zu E): Der Entzug des Stimmrechts ist als ultima ratio eine gängige Sanktion im internationalen Recht. Ich bin mir nicht sicher, ob sie in diesem Zusammenhang das beste Mittel ist, aber sehe im Stimmrechtsentzug auch kein Drei-Klassen-Wahlrecht.
Der ESM wird aber nicht alle Probleme Europas lösen können; auch dann nicht, wenn Ihre Bedenken ausgeräumt wären. Wir Grünen fordern einen starken Stabilitäts- und Wachstumspakt mit klaren Regeln zur Vermeidung von übermäßiger Verschuldung und eine Wirtschafts- und Solidarunion, in der Fehlentwicklungen in einzelnen Staaten frühzeitig erkannt werden. Denn Deutschlands Zukunft liegt in einem starken geeinten Europa.
Mit freundlichen Grüßen
Tom Koenigs