Frage an Tom Koenigs von Christoph R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Koenigs,
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gehört gewiss zu den bedeutendsten Errungenschaften im Bereich der Menschenrechte, die Europa vorzuweisen hat. Ein Gerichtshof für Menschenrechte mit obligatorischer Jurisdiktion über alle Mitgliedsstaaten ist in dieser Form weltweit einmalig und beredtes Vorbild für andere regionale Menschenrechtsschutzsysteme.
In offensichtlichem Widerspruch zu seiner Wichtigkeit und Bedeutung aber leidet der Gerichtshof unter schwerwiegender anhaltender Unterfinanzierung. 119.000 anhängige Individualbeschwerden zum Ende des Jahres 2009 liefern ein eindringliches Zeugnis von der Arbeitsbelastung des Gerichtshofes, die die Bearbeitung von Beschwerden innert angemessener Frist praktisch aussichtslos werden lässt und mithin Verlässlichkeit als auch Qualität des Gerichtshofes als Kernstück europäischen Menschenrechtsschutzes gehörig in Frage stellt.
Auch die endgültige Ratifikation des 14. Zusatzprotokolls wird die Effizienz des Gerichtshofes nur geringfügig, nicht aber in erforderlichem Maße steigern. Das Grundproblem der immensen Unterfinanzierung hingegen bleibt bestehen. Selbst nach Erweiterung des Europarates in Folge des Endes des Kalten Krieges hin zu einer wahrhaft paneuropäischen Organisation verfolgten die Mitgliedsstaaten konsequent eine ‚zero growth policy‘ im Hinblick auf die Finanzierung des Gerichtshofs, welche den EGMR entscheidend geschwächt und beschädigt hat. Mit einem Jahresbudget von knapp 57 Millionen Euro ist europäischer Menschenrechtsschutz bislang zu einem „Schnäppchenpreis“ zu haben. Wenn man Stimmen aus dem Ministerkomitee glauben mag, soll ebendem bei der Interlaken-Konferenz im Februar an der Politik des pekuniären Nullwachstums festgehalten werden.
Daher möchte ich Sie fragen, ob Sie sich persönlich dafür einsetzen werden, die finanzielle Ausstattung des Gerichtshofs seiner Bedeutung angemessen voranzutreiben.
Mit vorzüglichen Grüßen,
Christoph Rostig
Sehr geehrter Herr Rostig,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage und Ihr Interesse an den Belangen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)!
Wie Sie bereits beschrieben haben, ist der Gerichtshof das europäische Instrument, welches den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durchsetzt und die Grundlage für ein einheitliches Rechtssystem in Europa bietet. Seiner Vorreiterrolle sowie seinen Errungenschaften ist es zu verdanken, dass ähnliche regionale Institutionen errichtet wurden wie beispielsweise der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte oder der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte.
Mit dem Erfolg des Gerichtshofes ging aber auch eine substantielle Arbeitsbelastung einher, die eine Bearbeitung von Beschwerden in einer angemessenen Frist nur erschwert ermöglichten. Hier setzt das 14. Zusatzprotokoll an, welches dem Gerichtshof die notwendigen Instrumente zur Verfügung stellt, um unzulässige Beschwerden effizienter und schneller zurückzuweisen zu können. Somit wird mehr Zeit für die Fälle geschaffen, die eine eingehendere Prüfung erfordern.
Die Ratifizierung des 14. Zusatzprotokolls durch Russland am 15. Januar 2010 hat nun dessen Inkrafttreten ermöglicht. Dennoch ist es tatsächlich so, dass diese Entwicklung einen wichtigen und notwendigen Schritt darstellt, aber nicht ausreichend ist. Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagdland, hat dies bei seiner Reise nach Deutschland am 19. Januar 2010 verdeutlicht und ebenfalls betont, dass das Inkrafttreten des 14. Zusatzprotokolls nicht die Lösung der Probleme darstellt. Vielmehr müsse man der Arbeitsbelastung auf einer tiefer liegenden Ebene entgegentreten, nämlich bei einer Reform des Justizwesens in den Mitgliedstaaten selbst.
Weiterhin hat der Generalsekretär am 25. Januar 2010 seine Reformbestrebungen bezüglich des Europarates präsentiert, welche unter anderem auf eine weitergehende Reform des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzielen. Hierbei geht es aber nicht um eine größere Bereitstellung von finanziellen Ressourcen, sondern vielmehr um eine systematische Umsetzung und Ausführung der Europäischen Menschenrechtskonvention in den Mitgliedsstaaten.
In Anbetracht der Tatsache, dass 50 % der zulässigen Klagen Beschwerden betreffen, die vom Gerichtshof bereits behandelt worden sind, so ist es unerlässlich, dass die Mitgliedsstaaten ihr Justizwesen und ihr nationales Recht den Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention anpassen. Am 18.-19. Februar 2010 findet diesbezüglich eine Konferenz in Interlaken (Schweiz) statt, welche diese Probleme angehen und eine Roadmap für eine weitergehende Reform des EGMR erstellen möchte.
Als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates werde ich daher den Generalsekretär Jagdland bei seinen Reformbemühungen aktiv unterstützen und die Entwicklung der Konferenz in Interlaken genau verfolgen.
Mit freundlichen Grüßen
Tom Koenigs