Frage an Timo Müller von Michael K. bezüglich Bildung und Erziehung
Hallo Herr Müller,
wie stellen Sie sich die schulische Entwicklung in den nächsten 10 Jahren im Rheingau Taunus Kreis vor?
Favorisieren Sie das dreigliedrige Schulsystem oder könnten sie sich eine flächendeckende IGS Schulform vorstellen?
Kann eine erhöhte öffentliche Überwachung Ihrer Meinung nach nur Schaden oder auch Vorteile bringen?
Stellen Sie Ihre persönliche Meinung über den Parteienzwang wenn es um strittige Entscheidungen geht?
Vielen Dank für Ihre Mühe.
Mit freundlichen Grüßen
M. K.
Sehr geehrter Herr K.,
hier meine Positionen zu den von Ihnen gestellten Fragen:
1.) Schulformen:
Ich unterrichte neben dem Studium bereits seit 2012 auch einige Wochenstunden Latein an einer IGS. Ich weiß daher aus eigener Erfahrung, dass es für die LehrerInnen eine besondere Herausforderung darstellt, in einer Klasse mit ganz unterschiedlichen Leistungsniveaus jeder Schülerin und jedem Schüler einzeln gerecht zu werden - so, dass niemand den Anschluss verliert, zugleich aber sich niemand wegen Unterforderung langweilt. Ich halte trotz dieser Schwierigkeiten die IGS für die bessere und gerechtere Schulform. Sie erfordert spezielle Ausbildung und Kompetenzen von ihren Lerhkräften, kann aber große Vorteile für die SchülerInnen bieten, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind. Beispielsweise können durch Lerntandems, "team teaching" & Co. schwächere und stärkere SchülerInnen wechselseitig voneinander profitieren. Zudem ist ein Aufstieg während der Bildungskarriere viel leichter und unkomplizierter möglich als im dreigliedrigen Schulsystem mit seiner strikten Trennung. Viele meiner Freunde haben in ihrer Schulzeit selbst die Schulform gewechselt und z.B. nach der Mittleren Reife noch ein sehr erfolgreiches Abitur abgelegt. Sie mussten allerdings oft unverhältnismäßig größere Schwierigkeiten dazu überwinden als diejenigen, die von Anfang an auf dem Gymnasium waren (Bürokratieaufwand beim Wechsel, unterschiedliche Stoffcurricula etc.). In einer IGS ist das viel leichter: Wenn sich irgendwann in der Schullaufbahn das Leistungsniveau ändert, muss man nicht erst die Schule wechseln, seine Klassengemeinschaft und den Freundeskreis wechseln usw. - sondern man macht einfach am Ende einen anderen Abschluss. Das halte ich für fairer und besser als das derzeitige System, in dem man Schicksalsentscheidungen bei Zehnjährigen trifft.
2.) Überwachung - nur Nachteile oder auch Vorteile?:
Für den Staat hat eine Überwachung natürlich auch Vorteile, beispielsweise kann man im Nachhinein Verbrechen besser aufklären. Aber Überwachungsmaßnahmen wie z.B. Videoüberwachung, Staatstrojaner, Vorratsdatenspeicherung etc. stellen einen derart massiven und schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des betroffenen Bürgers dar, dass ich sie nach sorgfältiger Güterabwägung für unverhältnismäßig halte und daher strikt ablehne.
3.) Parteienzwang oder Gewissen?:
Das kann ich kurz machen, denn das Grundgesetz ist dazu eindeutig: "Sie [die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." (GG Art. 38 Abs.1). Insofern kann und darf es eigentlich keinen Fraktionszwang (und schon gar keinen Parteienzwang) geben. Daher stimme ich selbstverständlich so ab, wie es mein Gewissen mir vorgibt, auch wenn das möglicherweise manchmal nicht mit der Parteilinie übereinstimmen mag. Das ist die Freiheit des Mandats, die die Väter und Mütter des Grundgesetzes dort aus gutem Grund und völlig zurecht festgeschrieben haben. In diesem Zusammenhang finde ich es dann übrigens auch einen erstaunlichen Vorgang, wenn einzelne Abstimmungen (zuletzt z.B. über die "Ehe für alle") ausdrücklich zur Gewissensfrage erklärt werden und der "Fraktionszwang" ausdrücklich aufgehoben wird. Nach dem Wortlaut des Grundgesetzes sollte das eigentlich eine Selbstverständlichkeit für jede Abstimmung sein!
Mit freundlichen Grüßen
Timo Müller