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Frage von Karla B. •

Frage an Ties Rabe von Karla B. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Rabe,

der Hamburger Presse gestern konnte ich entnehmen, dass Sie für ein geschlossenes Vorgehen der im Parlament vertretenen Parteien hinsichtlich der Information der Bürger plädieren, schließlich habe man gerade einen Kompromiss in Sachen Schulreform gefunden.
Alle Ihre anderen Verlautbarungen lesen sich aber so, wie sie von Ihnen zu diesem Thema seit Beginn der Reformbemühungen immer wieder eingebracht werden - als hätten Sie nicht gerade für die Reform gestimmt.
Dazu passt Ihre Aussage, dass Sie Ihren Widerstand gegen die Primarschule als nicht widerlegt sehen. Ich bin irritiert und wäre Ihnen sehr dankbar, könnten Sie mir diesen offensichtlichen Widerspruch auflösen.

Ich gehe davon aus, dass die SPD wohlüberlegt der Reform zugestimmt hat und bitte Sie als SPD- Schulexperte, mir darüberhinaus folgende Fragen zu beantworten:

- Wie soll Ihrer Meinung nach die Reform finanziert werden, wenn allein die Baukosten schon an die 500 Mio Euro kosten werden?
- Wie sollen die Grundschulen die in den nächsten drei Jahren zu erwartenden 28.000 Schüler und Schülerinnen mehr unterbringen?
- Mit welchen Maßnahmen können jeweils mehrere Standorte für Primar- und Stadtteilschulen vermieden werden?
- Wie müssen die Kinder mit Förderbedarf am sinnvollsten integriert werden?
- Wie sollen mit welchen Mitteln die schulischen Förderkurse ausgebaut werden?
- Welche konkreten Verbesserungen wie beispielsweise andere Unterrichtsmethoden müssen wie sofort angeschoben werden?
- Wie kann das Gastschulabkommen so verändert werden, dass Hamburg nicht in bisherigem Maße draufzahlen muss?

Mit freundlichen Grüßen

Karla Böttger

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Frau Böttger,

vielen Dank für Ihr Schreiben, auf das ich gern antworten möchte. Da Sie praktisch alle Probleme der Schulpolitik ansprechen, fällt die Antwort etwas ausführlicher aus.

Zur Primarschule und zur Schulreform

Ich habe immer gesagt: "Ich halte die Idee der Primarschule im Grundsatz zwar für sinnvoll, sehe aber in der Einführung deutlich mehr Risiken als Chancen und lehne deshalb die Einführung der Primarschule in Hamburg ab. Denn die Primarschule lässt sich in Hamburg nur einführen, wenn man praktisch alle Hamburger Schulen neu "erfindet". Die Hoffnung auf positive Lerneffekte durch zwei Jahre längeres Lernen wiegt die Risiken dieser Riesenbaustelle der Schulpolitik nicht auf ."
Meine Meinung hat sich in Bezug auf die Primarschule nicht geändert. Aber die SPD konnte im Gegenzug in den Verhandlungen mit CDU und GAL erhebliche Verbesserungen für Hamburgs Schulen insgesamt durchsetzen. Die Einigungsformel: "Die SPD setzt Qualität, Kostenentlastungen, Schulkonsens und Elternbeteiligung durch - die Grünen bekommen ihre Primarschule." Die von der SPD durchgesetzten Verbesserungen sind:

1. Sorgfältige Planung: Die Primarschule wird bis zum Schuljahr 2012/13 verbindlich eingeführt. Die schulischen Gremien können bis dahin entscheiden, wann ihre Schule zur Primarschule wird. Die Eltern entscheiden bis dahin, ob ihre Kinder nach der vierten Klasse in die fünfte Klasse einer weiterführenden Schule wechseln. Damit werden die Planungen um ein Jahr entschleunigt - Zeit, die dringend nötig ist, um die Reform sorgfältig vorzubereiten.

2. Deutlich kleinere Klassen: Die Klassen 1-6 dürfen höchstens 23 Schüler groß sein, in sozial benachteiligten Gebieten sogar nur 19 Schüler. Eltern haben darauf einen Rechtsanspruch. Dagegen hatten sich die Grünen bis zuletzt gewehrt.

3. Entlastungen für Familien: Das Büchergeld wird zum Sommer 2010 abgeschafft.

4. Beteiligung der Eltern: Das bisherige Elternwahlrecht zum Besuch einer weiterführenden Schule wird ohne Abstrich auf die neue Schulstruktur übertragen.

5. Mehr Qualität für die Primarschule: Eine Primarschule startet erst, wenn es genügend Räume und Fachlehrer gibt, wenn alle Kollegen fortgebildet wurden und wenn die Schulinspektion die Schule geprüft hat. Bei Schulen mit zwei Standorten sollen Schüler von der ersten bis zur sechsten Klasse an einem Standort bleiben.

6. Abitur an der Stadtteilschule: Alle Stadtteilschulen führen über eigene 11. Klassen in eigene Oberstufen. Bei wenigstens 25 Oberstufenschülern soll diese Oberstufe sogar am eigenen Standort eingerichtet werden.

7. Zehn Jahre Schulfrieden. CDU, SPD und GAL verpflichten sich, zehn Jahre lang die neue Schulstruktur nicht mehr zu verändern.

In der Öffentlichkeit und in der Partei gab es viel Lob für die von der SPD durchgesetzten Verbesserungen. 284 Delegierte des SPD-Parteitags stimmten am Wochenende bei nur zwei Gegenstimmen für den Kompromiss. Aus Kreisen der Senatsparteien wurden Schulexperten mit dem Satz zitiert: "Die einzigen echten Verbesserungen des Schulgesetzes hat die SPD durchgesetzt."

Das sehen wir genauso.
Viele sagen jetzt: "Das sind schöne Verbesserungen, die wir gut finden, aber dafür braucht man die Primarschule nicht." Wer das sagt hat theoretisch Recht, kleinere Klassen usw. wären ohne Primarschule noch besser. Aber diese Theorie kann kaum Praxis werden. Denn als Politiker muss ich Ihnen sagen: Wir konnten diese sinnvollen Verbesserungen nur durchsetzen, weil im Gegenzug der Senat "seine Primarschule" bekommen hat.

Also lautet die Alternative: Entweder gibt es sinnvolle Verbesserungen mit der (Last der) Primarschule - oder es gibt keine Primarschule und auch keine sinnvollen Verbesserungen. Das ist die Alternative, vor der jetzt jeder Bürger steht. Auch die SPD stand vor dieser Alternative.

Ich würde mich freuen, wenn Sie ebenfalls diese Abwägung treffen und vielleicht zu einer ähnlichen Einschätzung kommen. Eine grundlegende Wende der Schulpolitik mit dem Ziel ernsthafter qualitativer Verbesserungen und Konzentration auf das Wesentliche wird erst möglich sein, wenn dieser Senat die Verhandlungsergebnisse der SPD ernst nimmt - oder abgewählt wird.

In Bezug auf Ihre zahlreichen Einzelfragen will ich mich um kurze Antworten bemühen, obwohl zu jedem Thema seitenlange Abhandlungen notwendig wären.

Ihre ersten drei Fragen berühren Fragen, die der Senat beantworten muss. Wir als Opposition müssen uns Gedanken darüber machen, ob die von uns durchgesetzten Verbesserungen und Veränderungen machbar und finanzierbar sind, nicht aber sicherstellen, dass der Senat sein eigenes Projekt Primarschule auf die Reihe bekommt. Daher ist die SPD für die ersten drei Fragen eigentlich die falsche Adresse. Trotzdem dazu einige kurze Antwortentwürfe:

1. Wie soll die Reform finanziert werden?
Der Senat hat zugesagt, eine Finanzierung sicherzustellen. Wir als Opposition sind angesichts des bisherigen Finanzgebarens des Senats sehr skeptisch, ob das gelingen wird. Wir halten deshalb zusätzliche Einsparungen bei Großprojekten (Elbphilharmonie) und zusätzliche Steuereinnahmen (mehr Steuerprüfer für mehr Steuerehrlichkeit, Vermögenssteuer) für sinnvoll. Der Senat lehnt beides ab, ohne Alternativen zu haben.

2. Wie sollen die Grundschulen die in den nächsten drei Jahren zu erwartenden 28.000 Schüler und Schülerinnen mehr unterbringen?
Durch zügigen Ausbau der Grundschulen, der nach meiner Berechnung in der Tat wenigstens 400 Millionen Euro kosten wird. Die Maßnahmen will der Senat im Rahmen des neuen Sondervermögens Schulbau ausschließlich über Kredite finanzieren. Wir sehen das skeptisch, weil es keine Tilgungsperspektive gibt.

3. Mit welchen Maßnahmen können jeweils mehrere Standorte für Primar- und Stadtteilschulen vermieden werden?
Wir haben durchgesetzt, dass in allen strittigen Fragen das Ziel gilt, dass die Schüler von Klasse 1 bis 6 an einem Ort bleiben. Es sollen lieben Lehrer und Schulleiter wandern, als Kinder. Aber das bedeutet eben auch: Lehrer müssen wandern, die Schulorganisation wird schwieriger.
4. Wie müssen die Kinder mit Förderbedarf am sinnvollsten integriert werden?
Durch einen zügigen Ausbau der bewährten Integrationsklassen und integrativen Regelklassen. Wir fordern eine Verdoppelung dieser seit Jahren bewährten und sehr gut funktionierenden Angebote in den nächsten zwei Jahren. Einen entsprechenden Antrag haben wir in die Bürgerschaft eingebracht, er wurde von CDU und GAL abgelehnt.

5. Wie sollen mit welchen Mitteln die schulischen Förderkurse ausgebaut werden?
Den Schulen muss nach einem Schlüssel zusätzliches Geld für Lehrerstunden oder Honorarkräfte zur Verfügung gestellt werden. Damit sollten die Schulen dann eigenverantwortlich Förderkurse organisieren. 3.000 bis 4.000 Sitzenbleiber kosten die Stadt im Jahr 20-24 Millionen Euro, das Geld sollte in Zukunft in Förderkurse fließen. Selbst wenn man den gesamten Förderunterricht nicht über (preiswerte) Honorarkräfte, sondern über teurere verbeamtete Lehrer abwickeln würde, könnte man mit dem Geld 7.500 Lehrerwochenstunden finanzieren, genug, um jedem schwachen Schüler zusätzlich jede Woche 10 Stunden Nachhilfe in kleinen 5er-Gruppen zu geben - zusätzlich zur normalen Schulzeit. So viel Lebenszeit haben die Kinder gar nicht, wie der Staat an Fördermaßnahmen finanzieren könnte.

6. Welche konkreten Verbesserungen wie beispielsweise andere Unterrichtsmethoden müssen wie sofort angeschoben werden?
Wir brauchen:
- eine Verpflichtung der Lehrer, sich gegenseitig zu hospitieren und abzustimmen
- eine Verpflichtung der Schulleitungen, die Lehrer häufiger zu hospitieren und zu beraten
- eine Erhöhung der Fortbildungsstunden in Kombination mit genaueren Vorgaben für die Art der Fortbildungen
- eine Entwicklung von geeigneten und standardisierten Unterrichtsmaterial für individualisierten Unterricht auf für die Schulklassen ab Klasse 5
- regelmäßige Leistungstests der Schüler - nicht um die Schüler zu benoten, sondern um Defizite in Schule und Unterricht zu erkennen und beheben zu können.

7. Wie kann das Gastschulabkommen so verändert werden, dass Hamburg nicht in bisherigem Maße draufzahlen muss?

Vermutlich zahlt Hamburg im Jahr bei den Gastschülern 8 bis 16 Millionen Euro drauf.

Allerdings wurden bei Abschluss des Abkommens auch Gegenleistungen von Schleswig-Holstein aus ganz anderen Politikfeldern (Umwelt, Jugendpolitik, Finanzpolitik) einberechnet, die damals offensichtlich mit einer hohen Millionensumme taxiert wurden. In diesem Durcheinander weiß heute niemand genau zu sagen, wer da eigentlich was zahlt. Deshalb brauchen wir zunächst einmal eine transparente Darstellung sämtlicher Leistungen und Gegenleistungen.

Dann brauchen wir vermutlich mehr Geld von Schleswig-Holstein. Dazu wären wirklich engagierte Gespräche auf der Ebene der Regierungschefs nötig, Verhandlungen einzelner Behörden machen wenig Sinn.

Und wenn das nicht gezahlt wird, dann muss Hamburg eigentlich nur warten und gar nichts tun. Denn die Primarschule führt dazu, dass ab 2012 keine Schleswig-Holsteiner Kindern mehr Hamburgs weiterführende Schulen besuchen können. Unsere weiterführenden Schulen beginnen ab 2012 nämlich erst mit Klasse 7. Schleswig-Holsteins Schüler verlassen die Grundschule aber nach Klasse 4. Sie können künftig gar nicht mehr nach Hamburg kommen. Also spielt die Zeit Hamburg in die Hände.

Wovon ich gar nichts halte, ist die gegenwärtige aggressive Hektik der Schulbehörde. Es geht nicht an, Schulkinder, die aus welchen Gründen auch immer auf Hamburgs Schulen gehen und in Schleswig-Holstein wohnen, während ihrer Schulzeit abzuschulen. Hamburg sollte aufpassen, dass keine Schüler aus SH unberechtigt aufgenommen werden. Wenn sie aber hier schon jahrelang zur Schule gehen, dann wäre es unmenschlich, sie von der Schule zu verweisen. So ein Verhalten gibt es nicht einmal zwischen verfeindeten Staaten.

Ich hoffe, Ihre Fragen beantwortet zu haben. Gern stehe ich für weitere Nachfragen zur Verfügung.

Herzliche Grüße

Ties Rabe
Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft
Schulpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion