Frage an Thomas Silberhorn von Alexander K. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Silberhorn,
wie beurteilen Sie die steuerrechtliche Situation in Deutschland, insbesondere im Hinblick auf das Steueraufkommen großer Konzerne?
Wäre es nicht notwendig Schlupflöcher zu schließen, die sich selbst in Deutschland durch unterschiedliche Gewerbesteuersätze, insbesondere aber auch EU-weit durch eine uneinheitliche Steuergesetzgebung bieten?
Es ist klar, dass dies ein Projekt auf europäischer Ebene von ungeheurem Ausmass wäre. Doch Vorschläge der FDP zielen sogar in eine andere Richtung und beziehen sich auf die Steuerreform in Österreich: http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2007/2007_040/05.html
Wäre es nicht an der Zeit deutlich zu machen, dass die Regierung nicht gewillt ist, die Spirale von legaler Steuervermeidung und immer höheren Gewinnen mitzutragen? Das Argument, dass der Standort sonst nicht zu halten ist, ist etwas löchrig. Denn es wird immer Länder geben, die niedrigere Steuersätze bieten als Deutschland. Und dass erstklassige Infrastruktur nun einmal etwas kostet.
Mit freundlichen Grüßen
Alexander Kitterer
Sehr geehrter Herr Kitterer,
vielen Dank für Ihre Anfrage, mit der Sie anmahnen, Steuerschlupflöcher insbesondere für große Konzerne zu schließen.
Die Relevanz dieses komplizierten Themas verdeutlicht eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, derzufolge eine Besteuerungslücke von 100 Milliarden Euro zwischen den in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nachgewiesenen Gewinnen und den steuerlich erfassten positiven Gewinnen besteht. Im Klartext: 100 Milliarden Euro Gewinne, die in Deutschland entstehen, werden nicht hier versteuert.
Der Deutsche Bundestag hat dieses Problem mit der Unternehmensteuerreform aufgegriffen, die zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist. Das wesentliche Ziel dieser Reform ist es, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass wieder mehr Unternehmensgewinne in Deutschland entstehen und hier versteuert werden. Zu diesem Zweck wird zunächst für Kapitalgesellschaften die steuerliche Gesamtbelastung aus Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag von bisher ca. 39 auf 29,8 Prozent gesenkt. Die steuerliche Gesamtbelastung der Personengesellschaften wird auf ein entsprechendes Niveau gesenkt, wobei die Mehrzahl dieser Unternehmen ohnehin deutlich unter der Belastung der Kapitalgesellschaften liegt. Insgesamt befinden wir uns damit wieder auf einem international wettbewerbsfähigen Niveau.
Im Gegenzug wurde die so genannte Zinsschranke eingeführt, wonach Zinszahlungen (genauer: der Saldo aus Zinserträgen und Zinsaufwendungen) den Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen um maximal 30 Prozent mindern dürfen. Dies verhindert, dass Unternehmen allein aus steuerlichen Gründen eine hohe Fremdkapitalquote anstreben. Insbesondere soll diese Zinsschranke die Praxis erschweren, in Deutschland erwirtschaftete Erträge mittels konzerninterner grenzüberschreitender Fremdkapitalfinanzierung ins Ausland zu transferieren und so die Steuerbemessungsgrundlage in Deutschland zu schmälern. Grenzüberschreitende Transaktionen innerhalb eines Konzerns müssen zudem wie vergleichbare Transaktionen zwischen fremden Dritten behandelt werden (so genannter Fremdvergleichsgrundsatz). Das bedeutet, dass konzerninterne Verrechnungspreise - insbesondere für immaterielle Wirtschaftsgüter und Funktionsverlagerungen - nicht mehr zur "Steueroptimierung" eingesetzt werden können. Schließlich werden durch eine Verschärfung beim so genannten Mantelkauf zur Übernahme verschuldeter Unternehmen die ungerechtfertigte Nutzung von Verlustvorträgen und der Handel damit verhindert. Alle diese Maßnahmen tragen dazu bei, Steuerschlupflöcher zu stopfen und so das Steuersubstrat zu sichern.
Eine Harmonisierung des Steuerrechts in der EU würde die aufgeworfenen Probleme m.E. nicht ausreichend lösen. Zwar wird die Kommission voraussichtlich im September 2008 einen Richtlinienentwurf für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage vorlegen. Dieses Projekt wirft jedoch - trotz einiger Vorteile wie vor allem geringere Befolgungskosten für die Unternehmen - offene Fragen insbesondere im Hinblick auf bislang kaum abschätzbare Umverteilungswirkungen auf. So könnte etwa die eingeschränkte Geltendmachung von Verlustvorträgen wieder ausgehebelt werden. Die zahlreichen bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen müssten womöglich durch EU-Abkommen ersetzt werden, ohne dass klar wäre, wem die Einkünfte aus Drittstaaten dann zuzurechnen wären.
Für einen sinnvollen Ansatz halte ich die Einrichtung einer Arbeitsgruppe "aggressive Steuerplanung" bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Ihre Aufgabe ist es, Steuerplanungsmodelle weltweit zu sammeln und zu analysieren sowie Strategien zu entwickeln, wie sie aufgedeckt und bekämpft werden können. Eine Datenbank, in der bereits mehr als hundert Modelle registriert sind, befindet sich im Aufbau. Daraus wird deutlich, dass das Schließen von Steuerschlupflöchern letztlich nur durch internationale Kooperation - weit über die EU hinaus - gelingen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Silberhorn