Frage an Thomas Oppermann von Felix G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Oppermann,
ich zitiere aus der Taz vom 31.01.07 (Interview mit Ihnen zum Fall Kurnaz):
"taz: Kurnaz ist in Bremen geboren und aufgewachsen. Deutschland ist seine Heimat. Hat die Bundesregierung ihre Fürsorgepflicht ihm gegenüber verletzt?
Thomas Oppermann: Deutschland hat selbstverständlich auch für Einwanderer eine Fürsorgepflicht. Aber wenn ein Terrorismusverdacht gegeben ist, dann schränkt das die Fürsorgepflicht ein. Trotzdem haben sich die deutschen Behörden immer wieder nachhaltig für Kurnaz´ Freilassung in die Türkei eingesetzt."
Zu Ihrer Antwort habe ich drei Fragen:
1) Wie begründet sich die Bezeichnung "Einwanderer" für jemanden, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, auch wenn er keinen deutschen Pass besitzt?
2) Wie ist die Einschränkung der Fürsorgepflicht aufgrund eines bloßen Verdachts mit dem Geist des deutschen Rechts vereinbar, zu dessen Grundsätzen die Unschuldsvermutung bis zur Verurteilung gehört? (Ich bin mir bewusst, dass der Wortlaut der geltenden Bestimmungen eine solche Argumentation wohl zuläßt.)
3) Das Wort "nachhaltig" beinhaltet meines Erachtens den dauerhaften Erfolg einer Handlung, der darüber hinaus für die Zukunft vorsorgt ("nachhaltige Forstwirtschaft"). Sich nachhaltig für einen Gefangenen in Guantanamo einzusetzen würde somit ungefähr bedeuten, dass er freikommt und dass zusätzlich Guantanamo geschlossen wird, damit so etwas nicht wieder passieren kann. So war es ja nun wirklich nicht. Allein die Kombination "immer wieder nachhaltig" erscheint mir als ein Widerspruch in sich. Ist meine Auffassung des Wortes nachhaltig hier fehlerhaft? Oder handelt es sich um eine reine Worthülse?
Sehr geehrter Herr Golcher;
Ihre drei Fragen möchte ich wie folgt beantworten:
1. Murat Kurnaz kommt aus einer Einwandererfamilie. Seine Eltern sind aus der Türkei eingewandert. Kurnaz ist zwar in Deutschland geboren, aber dennoch kein Staatsbürger. Da er aber eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat, ist er ein Einwohner. Was ich zu Einwanderern gesagt habe, gilt auch für Einwohner.
2. In Frage 2 werden die Begriffe Unschuldsvermutung, Verurteilung und Verdacht nicht präzise benutzt. Die Unschuldsvermutung ist ein Grundsatz aus dem Strafverfahrensrecht. Sie besagt, dass ein Beweis für die strafrechtliche Schuld eines Tatverdächtigen die Voraussetzung für eine strafgerichtliche Verurteilung ist. Dieser Grundsatz gilt in dieser Form nicht im Bereich der Gefahrenabwehr. Nach dem Terrorismusbekämpfungsgesetz zum Beispiel genügt es, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass ein Ausländer eine terroristische Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, ihm die Einreise zu verweigern. Der Betreffende bekäme in diesem Fall nicht einmal ein Touristenvisum. Das deutsche Recht setzt nicht eine rechtskräftige Verurteilung eines Terroristen voraus, sondern lässt für Gefahrenabwehrmaßnahmen einen Terrorverdacht ausreichen. So war zum Beispiel der mutmaßliche Kofferbomber aus Kiel, so weit ich weiß, strafrechtlich vorher nicht in Erscheinung getreten. Hätten die Sicherheitsbehörden aber gewusst, dass er Züge in die Luft sprengen und eine große Zahl von Menschen töten will, hätten sie ihn sofort ausgewiesen, auch wenn er diese Straftaten noch nicht begangen hätte bzw. begehen konnte.
3. Wenn Ihnen das Wort nachhaltig unpassend erscheint, ersetzen Sie es durch kontinuierlich.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Oppermann