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Thomas Oppermann
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Frage von Heike R. •

Frage an Thomas Oppermann von Heike R. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Oppermann,
Sie sind Jurist und können mir sicher mein Problem beantworten, ganz ohne Parteipolemik.
Wenn Putin gegen das Völkerrecht verstößt reagiert Merkel sofort mit massiven Sanktionen.
Hingegen wenn eine lose Allianz (ohne UN Votum) aus Franzosen, Briten und Amerikanern völkerrechtswidrig Syrien bombardiert, drücken Merkel und Maas ihre Unterstützung aus.
quelle: https://www.huffingtonpost.de/entry/syrien-angriff-war-laut-bundestags-gutachten-volkerrechtswidrig_de_5ad9d310e4b0e4d0715f80cd?utm_hp_ref=de-deutschland
Tragen solche Politiker mit ihrer Unterstützung eines gravierenden Völkerrechtsbruchs nicht selbst zur Erosion dieses Regelwerkes bei?
Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-angriff-gutachten-101.html
Oder sollte mir eigentlich klar sein, dass Bundestagsgutachten nur dann von der Regierung akzeptiert und gebraucht werden, wenn diese der Regierung selbst genehm sind?
Warum besitzt niemand der Politiker die Größe einzugestehen, dass es Völkerrechtsbruch war? Wieso keine öffentl./polit. Aufarbeitung der Zustimmung zum Völkerrechtsbruch durch Kanzlerin und Außenminister ?
Warum wird Putin wegen der Okkupation der Krim sanktioniert, nicht aber die Türkei wegen der bis heute anhaltenden Okkupation von Nordzypern, oder wegen der Besetzung Nordsyriens, oder dem Angriffskrieg in Irak? Oder Israel wegen seiner völkerrechtswidrigen Siedlungs- und Vertreibungspolitik? Es ist zwar schon etwas her, haben aber die USA nicht auch gewaltsam militärisch Hawai okkupiert und einverleibt?
Herr Oppermann, warum behandelt die Bundesregierung die Türkei und deren Völkerrechtsbrüche anders als die der Russen? So ist doch zumindest meine eindeutige öffentliche Wahrnehmung !
Halten Sie eine Art "Nibelungentreue" zu einem historischen Bündnispartner für immer und ewig angeraten?
Warum zeigt die Bundesregierung nicht endlich öffentlich klare Kante gegen Trump, wie sie es doch auch gegen Putin nicht scheut?

Mit freundlichem Gruß
Dr.med. H. R.

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Sehr geehrte Frau R.,

für den jüngsten Angriff auf die Giftgasanlagen in Syrien durch die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich gab es keine explizite Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dies stellt auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages fest. Allerdings gab es bereits in der Vergangenheit einschlägige VN-Resolutionen, die im Falle eines erneuten Chemiewaffeneinsatzes durch das syrische Regime die Anwendung von Kapitel VII der VN-Charta durchaus als Möglichkeit in Betracht zogen – allerdings nur nach erneuter Zustimmung des Sicherheitsrats.

Das Gewaltverbot ist ein zentraler Grundsatz der UN-Charta. Alle Staaten müssen sich daran halten. Allerdings ist das Gewaltverbot auch in der Vergangenheit immer wieder missachtet worden. Das bedeutet aber nicht, dass das Völkerrecht nur auf dem Papier besteht. Ein Problem in diesem Zusammenhang ist die Zusammensetzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Durch das Vetorecht der fünf permanenten Mitglieder werden immer wieder Entscheidungen blockiert, die den VN-Sicherheitsrat de facto handlungsunfähig machen.

Eine Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg ist es, dass weder das Gewaltverbot noch der Schutz der territorialen Integrität der Staaten dazu da sind, Gewaltherrscher zu schützen. Die staatliche Souveränität darf kein Schutzmantel für Kriegsverbrecher sein. Wenn massiv Menschenrechte verletzt werden, wenn ein Völkermord abgewendet werden soll, dann kann es unter Umständen erforderlich sein, aktiv einzugreifen.

Vor dem Kosovo-Krieg 1999 ist in zahlreichen VN-Sicherheitsratsresolutionen die Vertreibung und Ermordung der albanischen Bevölkerung durch serbische Einheiten scharf verurteilt worden – dennoch kam am Ende keine Resolution zustande, die nach Kapitel VII die internationale Gemeinschaft zur Gewaltanwendung ermächtigt hätte.

Eine humanitäre Intervention als letztes Mittel hat sich weltweit dennoch bislang nicht als Recht durchgesetzt, aus Angst vor Missbrauch. Dennoch gibt es auch wichtige Fürsprecher, die darauf hinweisen, dass in extremen Situationen, wo gerade auch mit Blick auf die Werte der UN-Charta, ein Nicht-Handeln unzumutbar erscheint. In diesem Zusammenhang möchte ich an die Debatte zur sogenannten „Schutzverantwortung“ („Responsibility to Protect“/R2P) erinnern.

Es kommt daher immer auf den Einzelfall an - und die grundsätzliche Haltung, dass das Völkerrecht gewahrt bleibt. In Syrien haben die drei genannten Staaten - ohne ausdrückliche Ermächtigung - gezielt Giftgasanlagen angegriffen. Der Angriff richtete sich gegen ein Land, das in der Vergangenheit bereits mehrfach gegen die Chemiewaffenkonvention verstoßen hat.

Die drei Staaten haben offenbar alles getan, um zivile Opfer zu vermeiden. Es ging darum, tödliche, nach dem Völkerrecht geächtete Waffen auszuschalten, deren weitere Produktion zu unterbinden und damit zu verhindern, dass der syrische Diktator Assad weiterhin die eigene Bevölkerung massakriert. Auch das muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden.

Der VN-Sicherheitsrat muss stets und so lange wie möglich eingeschaltet bleiben - schon um deutlich zu machen, wer seiner Verantwortung für den Frieden gerecht wird, wer einem Morden weiter zusehen will und wer nicht. Wenn dann als letztes Mittel nur der militärische Eingriff bleibt, dann muss dessen Unausweichlichkeit im Sinne der internationalen Ordnung auf der Hand liegen und darf das Bekenntnis zum Gewaltverbot nicht an Glaubwürdigkeit verlieren.

Es liegt daher auch an uns, eine konsistente Position zu beziehen und zu verteidigen. Wenn sich Rechtsstaaten klar hinter die Prinzipien der VN-Charta stellen und Ausnahmen überzeugend begründen, dann ist damit letztendlich auch dem Völkerrecht gedient.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Oppermann