Frage an Thomas Oppermann von Matthias S. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Oppermann,
ich möchte in Bezug auf den Bundestagswahlkampf der SPD gerne von Ihnen wissen, ob die SPD die sozialen Folgen der Nullzinspolitik im Blick hat. Hier sollte die SPD meiner Meinung nach ganz offen und ehrlich kommunizieren, was die sozialen Folgen sind und was sie dagegen zu tun gedenkt. Die Geldpolitik wird derzeit massiv zulasten derjenigen betrieben, die nicht wohlhabend sind, so dass die Lasten der Euro- und Staatsschuldenkrise vollständig auf die sozial Schwächeren und die ärmere Mittelschicht abgewälzt werden, während die Wohlhabenden sogar profitieren. Das ist hochgradig ungerecht und zerstört das Vertrauen in die Politik.
Von der Negativzinspolitik profitieren die reichen Immobilienbesitzer, Antiquitäten- und Kunstsammler, die Großaktionäre und alle reichen Investoren, die sich zu Nullzins die nächsten lukrativen Anlageobjekte anschaffen. Alle diese Leute bekommen dank der Politik unverdiente Profite, können Mieten erhöhen, sich an Immobilienwert- und Depotwertsteigerungen erfreuen und werden so immer reicher, ohne dafür etwas tun zu müssen.
Im Gegenzug werden die normalen Bürger, die sich keine Immobilien, Kunstsammlungen oder Unternehmensbeteiligungen leisten können, die sich aber mühsam vielleicht 50.000 Euro angespart haben, jetzt heimlich mit zwei Prozent pro Jahr enteignet. Jedes Jahr sind so real 1.000 Euro weg. Gibt es etwas Unsozialeres als eine derartige Inflation bei Nullzinsen allein zu Lasten der Schwächeren? Müsste es nicht einen Lastenausgleich geben, durch den alle Gesellschaftsschichten mit einem fairen Anteil zur Bewältigung der Euro- und Staatsschuldenkrise herangezogen werden? Für so etwas gibt es doch eigentlich ein Steuersystem! Hier passiert aber nichts, stattdessen wird das Geld heimlich von den Sparkonten der normalen Bürger "geklaut", die nicht so vermögend sind.
Mich macht das fassungslos. Die SPD muss das ehrlich thematisieren. Sonst ist es nicht glaubhaft, von sozialer Gerechtigkeit zu reden.
Sehr geehrter Herr Schwarzer,
Lothar Binding, der finanzpolitische Sprecher unserer Fraktion, hat Ihnen bereits mehrfach auf Abgeordnetenwatch zur EZB-Politik geantwortet.
Wie Sie wissen, ist die EZB ein unabhängiges Organ der Europäischen Union (EU). Das bedeutet, dass die EZB ihre geldpolitischen Entscheidungen frei von Einmischungen und Beschränkungen oder den Einfluss von Regierungen, eines Parlaments, Interessensgruppen, oder anderen Institutionen treffen kann. Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU überträgt der EZB die Aufgabe, die Inflationsrate niedrig zu halten und die Preisstabilität innerhalb der Eurozone sicherzustellen, um somit eine stabile Wirtschaft in Europa zu gewährleisten.
Dies vorangeschickt, möchte ich zur Nullzinspolitik der EZB folgendes sagen:
Aus Sicht der Sparerinnen und Sparer und auch gerade aus Sicht einer privaten Altersvorsorge ist es zwar es auf dem ersten Blick verständlich, dass Sie die gegenwärtige EZB-Nullzinspolitik negativ bewerten, weil sie den Nominalzins im Blick haben. Dass Sparbücher, Tagesgeld- und Festgeldkonten kaum noch Rendite bringen, ist ein ernstzunehmendes Problem der EZB-Politik. Solche Wertverluste hat der Sparer aber nicht nur, wenn der festgesetzte EZB-Leitzins so wie derzeit bei null ist. Dieses Phänomen ist immer dann zu beobachten, wenn die Inflationsrate höher als der nominale Zins ist. Der Realzins wird negativ, und Sparer machen einen Verlust. Das war in der bisherigen bundesdeutschen Geschichte keineswegs eine Seltenheit. Seit 1967 machten die Sparer in mehr als der Hälfte aller Jahre Realzins-Verluste.
Neben den negativen Wirkungen der Niedrigzinsen gibt es allerdings auch positive Effekte der EZB-Nullzinspolitik: Noch nie waren die Kreditzinsen für den Immobilienkauf und für Konsumentendarlehen so niedrig. Von zinsgünstigen Wohnimmobilien- und Konsumentenkrediten profitieren nicht nur "reiche Immobilienbesitzer", sondern auch und gerade junge Berufseinsteiger, Familien und ältere Menschen. Unternehmen investieren, und es haben so viele Menschen in Deutschland Arbeit wie nie zuvor. Gerade für sozial Schwächere ist eine starke Wirtschafts- und Beschäftigungslage in Deutschland von fundamentaler Bedeutung. Die bisherige relative Schwäche des Euros gegenüber dem Dollar wirkt auf exportorientierte Unternehmen wie ein zusätzliches Konjunkturprogramm. Auch gerade der deutsche Staat kann sich zu so günstigen Bedingungen refinanzieren, wie nie zuvor. Aus SPD-Sicht wäre es durchaus wünschenswert, dass Deutschland noch mehr in Bildung, Digitalisierung und Infrastruktur investiert oder jedenfalls diese Investitionen so vorbereitet, dass in der entsprechenden Konjunkturlage schnell gehandelt werden kann. Aber leider bremst hierbei unser Koalitionspartner.
Im Ergebnis rechne ich damit, dass die Null-Zins-Politik bald zu Ende geht.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Oppermann