Frage an Thomas Oppermann von Reinhard B.
Sehr geehrter Herr Oppermann!
Wie bewerten Sie die Verfassungsmäßigkeit der Flüchtlingskrise?
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans Jürgen Papier hat in einem Interview mit dem “Handelsblatt -der Bundesregierung “eklatantes Politikversagen” in der Flüchtlingskrise vor.
Als zweiter Top-Jurist, hat der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio der Bundesregierung ebenfalls versagen vorgeworfen.
U.a. sagte Papier, dass die Regierungspolitik die “Leitplanken” des deutschen und europäischen Asylrechts “gesprengt”, habe. Laut Papier hat die Politik Deutschland in Gefahr gebracht. Die Politik “hat die zentrale Verpflichtung, Gefahren entgegenzutreten, die durch eine dauerhafte, unlimitierte und unkontrollierte Migration in einem noch nie da gewesenen Ausmaß nach Deutschland entstehen können”. So aber sei - unter anderem - der Sozialstaat bedroht.
- Was gedenkt die SPD dagegen schnell und vor allem wirksam zu unternehmen?
- Wie hoch sind die "wahren" Kosten?
Welche Summe, incl. aller Leisteungen (Sozialleistungen für Flüchtlinge (Unterbringung, Sozialhilfe, Kindergeld...) Personalkosten für Lehrer, zusätzliche Beamte, Polizei etc.) wird für dieses und das kommende Jahr veranschlagt?
Wie steht es mit der schwarzen Null?
- Halten Sie weiter an der unbelehrbaren Dame fest, die diese Lawine - ohne jegliche Folgenabschätzung losgetreten hat?
Freundliche Grüße
Reinhard Brunke (im Interesse vieler SPD Wähler in meinem persönlichen Umfeld)
Sehr geehrter Herr Brunke,
2015 sind 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Das sind so viele wie in den 15 Jahren davor zusammen. Dahinter steckt zuallererst eine großartige Leistung. Die Menschen in diesem Land, die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben unseren großen Respekt verdient.
Zugleich ist völlig klar: In dieser Geschwindigkeit kann der Zuzug nicht weitergehen. Wir müssen die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, deutlich reduzieren, und zwar nicht um irgendwelcher Rechtspopulisten willen, sondern deshalb, weil inzwischen sogar diejenigen, die den Flüchtlingen wohlgesonnen sind, sagen: Unsere Fähigkeit, Flüchtlinge aufzunehmen, ist begrenzt. Wir brauchen Zeit, um durchzuatmen. Wir brauchen auch Zeit, um die Voraussetzungen für Integration zu schaffen. - Das wird nicht gelingen, wenn jeden Tag weiterhin 3 000 oder mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Deshalb muss nun in drei Bereichen gehandelt werden:
Wir wollen erstens die Fluchtursachen bekämpfen und die Lage der Flüchtlinge in der Krisenregion verbessern. Wir haben auf internationalen Konferenzen den Erfolg erzielt, dass nun 10 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, um die Flüchtlinge im Nahen Osten besser zu versorgen. Das ist ein großer Schritt. Das kann noch nicht das letzte Wort sein. Aber damit können wir etwas erreichen.
Wir wollen zweitens die Außengrenzen der Europäischen Union mithilfe von Frontex, aber auch mithilfe der Türkei sichern und damit den Flüchtlingen einen legalen Fluchtweg schaffen. Wir wollen drittens durch Kontingente den bisher von kriminellen Schleusern gesteuerten Fluchtprozess unterbinden, den Menschen eine Möglichkeit eröffnen, legal und sicher nach Europa zu kommen, und gleichzeitig die Zahl der Flüchtlinge reduzieren.
Ich halte das nach wie vor für die beste Lösung, um die Flüchtlingsströme zu begrenzen, zuallererst aus menschlicher Sicht; denn nur mit Kontingenten können wir ganzen Familien eine sichere und legale Zuflucht ermöglichen. Auch aus europäischer Sicht ist das nach wie vor der bessere Weg, weil das die einzige Möglichkeit ist, die Renationalisierung der europäischen Binnengrenzen zu verhindern, die Freizügigkeit zu erhalten und die Destabilisierung unserer südöstlichen Nachbarn und der Balkanländer zu vermeiden.
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten außerdem bereits zwei Asylpakete auf den Weg gebracht. Die Eckpunkte dieser Pakete waren:
- Die Asylverfahren sollen durchschnittlich nur noch drei Monate dauern. Weitere Staaten sollen als sichere Herkunftsstaaten (Marokko, Algerien, Tunesien) eingestuft werden
- Für bestimmte Gruppen von Asylbewerbern (aus sicheren Herkunftsländern, mit Folgeanträgen und ohne Mitwirkungsbereitschaft) wurde ein beschleunigtes Verfahren beschlossen: Das BAMF entscheidet innerhalb von einer Woche über den Asylantrag, Rechtsbehelfsverfahren werden in zwei Wochen abgeschlossen.
- Die beschleunigten Verfahren für diese Gruppe sollen in besonderen Aufnahmeeinrichtungen durchgeführt werden: Es besteht Residenzpflicht bis zur Entscheidung über den Asylantrag, im Falle der Ablehnung bis zur Rückführung, die unmittelbar aus der Einrichtung erfolgen soll.
- Die Flüchtlinge mit Bleiberecht müssen schnell integriert, diejenigen ohne Bleiberecht schnell zurückgeführt werden.
- Die Mittel für Sprachkurse werden deutlich aufgestockt.
- Wir investieren weitere 2 Mrd. € in ein Wohnungsbauprogramm. Damit schaffen wir Wohnungen nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Mieter, die bezahlbare Wohnungen suchen.
Sie sprechen in Ihrer Frage außerdem die Kosten der Integration an: Die Integration der Flüchtlinge wird eine Daueraufgabe für das kommende Jahrzehnt. Was konkret getan werden muss, habe ich in mehreren Reden vor dem Deutschen Bundestag ausgeführt, z.B. hier: http://www.thomasoppermann.de/details.php?ID=1633
Außerdem möchte ich auf das Integrationspapier hinweisen, das unsere Ministerinnen gemeinsam mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer kurz vor Weihnachten vorgestellt haben: http://www.spdfraktion.de/themen/f%C3%BCr-ein-jahrzehnt-umfassender-gesellschaftspolitik
Wenn wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen wollen, müssen wir bei der Integration klotzen statt kleckern. Wir brauchen einen Integrationsplan für Deutschland, der mit konkreten Maßnahmen unterlegt ist, mit Investitionen in Kitas und Schulen, in Ausbildungs- und Arbeitsplätze, in Sprach- und Integrationskurse und natürlich in den Wohnungsbau.
Dieser Integrationsplan muss im Rahmen des geplanten Asylpakets III verabschiedet werden. Wir wollen 5 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen, um neue Erzieherinnen und Lehrkräfte einzustellen und um Menschen in Arbeit zu bringen. Von diesen Anstrengungen werden nicht nur die Zuwandererinnen und Zuwanderer profitieren, sondern wir alle.
Drittens sprechen Sie die verfassungsrechtliche Diskussion über die Flüchtlingspolitik an. Der Vorwurf, dass geltendes Recht verletzt wird, trifft nicht zu. Ich habe hierzu vor dem Deutschen Bundestag am 17. Februar ausgeführt:
„Es steht der Vorwurf im Raum, die Bundeskanzlerin habe mit ihrer Entscheidung, die Flüchtlinge aus Ungarn bei uns aufzunehmen, geltendes Recht gebrochen, und sie tue es noch immer, weil viele Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten nicht zurückgewiesen werden. Richtig ist, dass sich nach Artikel 16 a Absatz 2 des Grundgesetzes niemand auf das Asylrecht berufen kann, der aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft einreist. Aber nach europäischem Recht besitzt die Bundesrepublik Deutschland ein Selbsteintrittsrecht. Sie kann jederzeit ein Asylverfahren an sich ziehen, auch dann, wenn dafür nach den Dublin-III-Regeln ein anderer europäischer Staat zuständig wäre.
Von diesem Selbsteintrittsrecht hat die Bundeskanzlerin mit ihrer Richtlinienkompetenz im letzten September Gebrauch gemacht. Aufgrund dessen sehen wir aus humanitären und politischen Gründen vorübergehend davon ab, Flüchtlinge in sichere Drittstaaten zurückzuschicken oder schon an der Grenze zurückzuweisen. Das ist eine politische Ermessensentscheidung. Diese kann man zwar kritisieren, aber die Rechtslage ist eindeutig. Deutschland darf nach geltendem Recht Flüchtlinge aufnehmen, registrieren und versorgen.
Deshalb ist es für mich absolut unverständlich, wenn einige den Eindruck erwecken, die Bundesrepublik würde geltendes Recht brechen, oder - noch schlimmer - die Bundesrepublik sei ein Unrechtsstaat, in dem sich gleichsam eine Herrschaft des Unrechts ausbreite. Ich finde, das ist starker Tobak.“
Die komplette Rede finden Sie hier: http://www.thomasoppermann.de/details.php?ID=1683
Außerdem möchte ich Sie auf einen Gastbeitrag unseres Justizministers Heiko Maas zu diesem Thema hinweisen: http://www.rp-online.de/politik/deutschland/heiko-maas-bayerns-klagedrohung-ist-nicht-viel-mehr-als-heisse-luft-aid-1.5792036
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Oppermann