Frage an Thomas Oppermann von Uwe R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Oppermann,
der 20-Uhr-tagesschau vom 22.09.2015 entnehme ich, dass Sie die Einladung der CSU an Herrn Orban kritisieren. Nun ist Ungarn wegen des Grenzzauns zu Serbien weltweit berüchtigt. Da kann man Ihre Kritik verstehen.
Aber sehen Sie denn tatsächlich einen Unterschied zwischen diesem Grenzzaun (zwischen Ungarn und Serbien), der seit einigen Tagen erst besteht, und dem Grenzzaun um Ceuta und Melilla herum (Grenze zu Marokko), der bekanntlich schon seit vielen Jahren besteht und in den letzten Jahren immer weiter militärisch aufgerüstet wurde? Dies geschah bekanntlich mit Zustimmung der SPD und der Sozialdemokraten Spaniens.
Einer Einladung der SPD an spanische Politiker haben Sie bislang nie widersprochen.
Können Sie mir das bitte erklären?
Vielen Dank im Voraus für eine ehrliche und inhaltlich schlüssig begründete Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Reinecke
Sehr geehrter Herr Reinecke,
wir kritisieren den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán u.a. wegen seines unsolidarischen Verhaltens in der Flüchtlingskrise. Er zeigte keinerlei Bereitschaft, eine Lösung innerhalb der EU zu finden. Im Gegenteil: Mit der Errichtung eines Grenzzauns wurde die gesamteuropäische Flüchtlingspolitik insgesamt sehr erschwert.
Die Errichtung eines Zauns an der ungarisch-serbischen Grenze hat die Flüchtlingswelle nicht gestoppt, sondern den Druck vor allem in den beiden EU-Staaten Kroatien und Slowenien massiv erhöht.
Die Schaffung eines Grenzzaunes gegenüber einem EU-Mitgliedsland (auch wenn dieses noch kein Schengen-Vollmitglied ist) ist ein Affront. Anders verhält es sich, wenn es um den Schutz der EU-Außengrenze geht.
Die SPD hat aber noch weitere wesentliche Kritikpunkte an der Regierung von Viktor Orbán: im Mai hat er eine Volksbefragung mit dem tendenziösen Inhalt durchgeführt, Flüchtlinge pauschal als Wirtschaftsflüchtlinge und potentielle Terroristen zu brandmarken. Das Europäische Parlament hat in einer Entschließung die Befragung der ungarischen Bürger als „irreführend und mit Vorurteilen behaftet“ verurteilt. Damit hat Herr Orbán bewusst Ressentiments geschürt. Diese Politik der ungarischen Regierung wird durch eine Hetz-Kampagne gegen Flüchtlinge u.a. in regierungstreuen Medien und auf Plakatwänden unterstützt.
Europa kann diese humanitäre Herausforderung nur gemeinsam bestehen. Es muss entschlossen handeln und sich auf seine gemeinsamen Werte der Mitmenschlichkeit
und der gegenseitigen Solidarität besinnen.
Dass sich die Innenminister am 23. September wenn auch nur mit Mehrheitsentscheidung auf die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen verständigt haben, ist ein erster Schritt. Ich bin froh, dass auch Polen dem Kompromiss zugestimmt hat.
Wir können aber natürlich bei diesem Kompromiss nicht stehen bleiben. Bei der Flüchtlingsfrage brauchen wir genauso wie in der Griechenland-Krise ein Mindestmaß an europäischer Solidarität. Es steht nicht in Einklang mit europäischem Recht, wie in den letzten Wochen in Ungarn, Serbien, Kroatien und Slowenien die Flüchtlinge hin- und hergeschoben worden sind. Dies habe ich bereits in mehreren Reden vor dem Deutschen Bundestag ausgeführt: http://www.thomasoppermann.de/details.php?ID=1633 und http://www.thomasoppermann.de/details.php?ID=1624
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Oppermann