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Thomas Oppermann
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Frage von Erik W. •

Frage an Thomas Oppermann von Erik W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Oppermann,

kurz zu meiner Person: ich war von Sept. 2009 bis Mai 2012 Mitglied der SPD und bin zu den Piraten gewechselt, sehe mich aber weiterhin als Sozialdemokrat und habe weiterhin gute, freundschaftliche Kontakte zur SPD vor Ort.
Ich war heute bei der Urteilsverkündung des BVerfG und habe mehrere Fragen, die ich nicht alle einzeln stellen möchte, da m.E. auch ein Kontext besteht:

Zum Wahlgesetz:
Soviel ich weiß, trat die SPD im Bundestag dafür ein, die Überhangsmandate (ÜM) durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien zu egalisieren. Aber man hört in der SPD auch viele kritische Stimmen zu den ÜM, insbesondere, da sie aufgrund der Verteilung der Erststimmen der Mitte-Links-Parteien auf mehrere Parteien fast ausschließlich an CDU/CSU gehen dürften.
1. Ist der SPD-Entwurf Mehrheitsmeinung in der Fraktion oder war er als möglicher Kompromiss mit dem Regierungslager gedacht?
2. Wie ist ihre Haltung zu ÜM?
3. Wäre es ohne ÜM einfacher, die restlichen Vorgaben des BVerfG zu erfüllen?
4. Wofür werden Sie sich bei den Verhandlungen zum neuen Wahlgesetz besonders einsetzen?
5. Geht die Regierungskoalition das ganze Verfahren noch einmal grundsätzlich an, oder will sie im Wahlgesetz von 2011 lediglich die beanstandeten Punkte durch möglichst geringfügige Änderungen verfassungskonform machen?

Zum Mitgliederbegehren in der SPD über die Vorratsdatenspeicherung:
7. Halten Sie das Mitgliederbegehren für sinnvoll?

Zur BTW 2013:
8. Halten Sie derzeit eine Zusammenarbeit mit den Piraten auf Bundesebene ab 2013 für denkbar?
9. Angenommen, es reicht 2013 nicht für Rot-Grün. Welche der folgenden Konstellationen können Sie sich vorstellen? Welche erscheint Ihnen am sympatischsten? Welche schließen Sie aus?
CDU/CSU-SPD
SPD-Grüne-FDP
SPD-Grüne-Piraten (Koalition oder Tolerierung)
SPD-Grüne-Linke (Koalition oder Tolerierung)

Ich hoffe, Sie finden die Zeit, meine Fragen zu beantworten. Die Mail wurde länger als gedacht.

Mit freundlichen Grüßen
Erik Wohlfeil

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wohlfeil,

in meiner Rede zum Wahlrecht vor dem Deutschen Bundestag habe ich am 26. Mai 2011 ausgeführt, dass ich Überhangmandate aus vier Gründen für höchst problematisch halte. Die Rede können Sie auf meiner Webseite hier nachlesen: http://www.thomasoppermann.de/details.php?ID=759

Erstens: Sie verleihen manchem Wähler ein doppeltes Stimmgewicht.
Zweitens: Die Überhangmandate führen zu einer massiven regionalen Ungleichverteilung der Mandate und damit zu unterschiedlichem politischem Einfluss der verschiedenen Regionen.
Drittens: Die Überhangmandate verletzen die Chancengleichheit der politischen Parteien bei den Wahlen. Die SPD braucht für ein Bundestagsmandat 68 500 Stimmen, die CSU 62 000 Stimmen, die CDU nur 61 000 Stimmen.
Viertens und am gravierendsten: Die Überhangmandate können die Mehrheiten im Deutschen Bundestag umdrehen.

Einen solchen Effekt des Umdrehens von Mehrheiten demonstriert beispielsweise eine Modell-Berechnung des Politikwissenschaftlers Dr. Stephan Klecha vom 4. Juni 2011, die Sie ebenfalls auf meiner Webseite finden: http://www.thomasoppermann.de/details.php?ID=757

Wir haben mit unserer Klage gegen das Wahlrecht der Koalition einen großen Erfolg erzielt. Das Bundesverfassungsgericht hat das Wahlrecht von Schwarz-Gelb für verfassungswidrig erklärt. Das ist eine schwere Niederlage für Merkels Koalition, die das Wahlrecht im Alleingang durchgesetzt hatte.

Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass das schwarz-gelbe Wahlgesetz das negative Stimmgewicht noch immer nicht beseitigt. Und: Die Richter haben erstmals eine zu hohe Anzahl von Überhangmandaten für verfassungswidrig erklärt.

Die Koalition hat mit den Regeln gespielt und damit das Vertrauen in die Demokratie aufs Spiel gesetzt. Sie wollte das Wahlrecht als Machtrecht missbrauchen und hat dafür vom Verfassungsgericht die politische Höchststrafe bekommen. Merkel ist mit ihrer Strategie gescheitert, den eigenen Machterhalt durch das Wahlrecht abzusichern. Im Ergebnis hat die Koalition einen rechtsfreien Raum geschaffen: Deutschland steht ohne gültiges Wahlrecht da. Das müssen wir zügig ändern. Die Zeit der Alleingänge ist jetzt vorbei.

Klar ist: Überhangmandate beeinträchtigen das gleiche Stimmrecht der Wählerinnen
und Wähler. Das Bundesverfassungsgericht hat neue, engere Grenzen für Überhangmandate gezogen. Sie dürfen nicht dazu führen, dass der Charakter der Bundestagswahl als eine Verhältniswahl verloren geht. Die im Zweitstimmenergebnis ausgedrückte Mehrheitsverteilung muss sich in der Sitzverteilung des Bundestages widerspiegeln.

Wir werden mit unserem Vorschlag, alle Überhangmandate auszugleichen, in die interfraktionellen Verhandlungen gehen, die am 28. August beginnen. Das Wahlrecht ist Demokratierecht, es ist das Fundament unserer Verfassung. Das Wahlrecht muss den Wählerwillen repräsentieren und Mehrheiten korrekt abbilden. Jede Stimme hat das gleiche Gewicht. Auf dieses Prinzip müssen sich die Wählerinnen und Wähler verlassen können.

Zu Ihrer Frage nach der Vorratsdatenspeicherung: Wir haben auf unserem letzten Bundesparteitag, dem höchsten Parteigremium, am 6. Dezember 2011 intensiv über dieses komplexe Thema debattiert. Unser Beschluss „Datenschutz und Grundrechte stärken – Datenspeicherung begrenzen!“ beschreibt eine angemessene Balance zwischen den Prinzipien des Datenschutzes und einer wirksamen Strafverfolgung schwerster Straftaten unter Einhaltung der strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Den Parteitagsbeschluss können Sie hier nachlesen:
http://www.spd.de/linkableblob/21948/data/66_beschluss_datenspeicherung.pdf

Zu Ihrer dritten Frage: Unser erklärtes Ziel ist es, bei der nächsten Bundestagswahl die schwarz-gelbe Bundesregierung durch ein rot-grünes Bündnis abzulösen. Rotgrün verkörpert einen klaren Markenkern. Wir stehen für eine ökologische Industriepolitik, soziale Gerechtigkeit und moderne Familienpolitik. Für unsere Inhalte haben wir schon jetzt die gesellschaftliche Mehrheit. Bei der Bundestagswahl werden wir diese auch auf die Wahlzettel bringen.

Die Entwicklung der Piraten verfolge ich mit großem Interesse und tausche mich mit ihnen regelmäßig über Twitter aus. Nach dem letzten Bundesparteitag der Piraten vom 29. April 2012 habe ich kommentiert: „Offen ist leider geblieben, ob die Piraten auch bereit sind, konkret Verantwortung zu übernehmen. Die Piraten müssen sich entscheiden, ob sie mehr sein wollen, als eine Protestbewegung. Das setzt aber eine inhaltliche Kursbestimmung voraus, die auf diesem Parteitag schlicht nicht stattgefunden hat. Es ist viel zu früh, um über mögliche Koalitionen zu spekulieren. Aber es wäre gut, wenn die Piraten sich irgendwann auf eine Regierungsbeteiligung als Ziel politischen Handelns einigen. Nur Opposition ist Mist. Man muss auch etwas umsetzen wollen. Sonst sind die Wählerstimmen schlicht verschenkt.“

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Oppermann