Frage an Thomas Oppermann von Halgurd G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Oppermann,
Wie Sie wissen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Klage gegen die Auflösung des 15.Deutschen Bundestages im Jahre 2005 die verfassungsmäßige Rechtmäßigkeit der „auflösungsgerichteten Vertrauensfrage“ bestätigt. Im Zusammenhang mit der vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder gestellten Vertrauensfrage, sprachen sich verschiedene Abgeordnete verschiedener Parteien(auch solche, die den Weg der „auflösungsgerichteten Vertrauensfrage“ begrüßten – was in meinen Augen ein wenig seltsam anmutet) dafür aus, dass in der folgenden Legislaturperiode angestrengt werden solle, ein direktes Selbstauflösungsrecht des Deutschen Bundestages via Abstimmung über eine Auflösung im Plenum(mit hohen Mehrheitshürden) durchzusetzen.
Meine Frage lautet
1. Welche Position nehmen Sie persönlich und welche Position nimmt Ihre Partei bzw. Ihre Fraktion zu der Frage eines solchen direkten Selbstauflösungsrechtes des Deutschen Bundestages ein?
und
2. Wie schätzen Sie die Meinungsverhältnisse bzw. die Durchsetzungsfähigkeit eines solchen Selbstauflösungsrechtes im gesamten Deutschen Bundestag ein?
Mit freundlichsten Grüßen
H. Gharib
Sehr geehrter Herr Gharib,
das Selbstauflösungsrecht des Deutschen Bundestages wurde im Rahmen der Auflösung des 15. Deutschen Bundestages 2005 von verschiedenen Seiten angesprochen. Die Verankerung eines Selbstauflösungsrechtes gestaltet sich indes schwierig.
Zunächst setzt die Einführung eines direkten Selbstauflösungsrechtes des Bundestages eine Verfassungsänderung voraus, die mit einer Mehrheit von 2/3 des Bundestages und des Bundesrates beschlossen werden muss. Weiter stellt sich die Frage nach dem Nutzen dieses direkten Selbstauflösungsrechts. Die parlamentarische Demokratie des GG ist auf eine größtmögliche Stabilität angelegt, um effektiv arbeiten zu können. Für den Fall einer Regierungskrise liegen Instrumente bereit, um die Handlungsfähigkeit des Parlaments, sowie der Regierung zu gewährleisten. Das konstruktive Misstrauensvotum, im Gegensatz zu dem Misstrauensvotum der Weimarer Zeit, spiegelt genau dieses Bestreben nach Stabilität und Kontinuität wieder.
Ein anderer Weg ist die Vertrauensfrage des Regierungschef an das Parlament. In dieser Vertrauensfrage stellt er seine Regierung zur Disposition. Bei der Auflösung des 15. Deutschen Bundestages im Jahr 2005 stellte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder die Vertrauensfrage. Offensichtlich handelte es sich dabei um eine auflösungsgerichtete Vertrauensfrage. Auf Grund einer Klage setzte sich das Bundesverfassungsgericht in einem Organstreitverfahren mit der Frage auseinander, ob dieser Vorgang zulässig war.
Das Bundesverfassungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die Auflösung des Bundestages verfassungsgemäß sei. Diese sog. „unechte Vertrauensfrage“ ist verfassungsgemäß, wenn der Verlust der parlamentarischen Handlungsfähigkeit droht. Eine Einschätzung über den Zustand dieser Handlungsfähigkeit muss dem Ermessenspielraum des Kanzlers zugebilligt werden. Weiter stellt diese „unechte Vertrauensfrage“ keine Alleinentscheidung des Bundeskanzlers dar. Drei Verfassungsorgane, der Bundeskanzler, der Deutsche Bundestag und der Bundespräsident haben die Möglichkeit die Auflösung des Deutschen Bundestages nach ihrer freien politischen Einschätzung zu verhindern.
Eine verfassungsrechtliche Regelung über ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages könnte zwar das Prozedere für eine Auflösung des Bundestages vorgeben und erleichtern, allerdings liegt darin gerade die Gefahr eines Anstieges von Bundestagsauflösungen. Nur drei Mal wurde in der Bundesrepublik ein Bundestag aufgelöst. Diese geringe Anzahl zeigt zum Einen die hohen verfassungsrechtlichen Hürden für eine Auflösung des Parlaments, zum Anderen unterstreicht diese Zahl auch die Stabilitäts-und Kontinuitätsbeziehungen, zwischen Parlament und Regierung, die in der Geschichte der Bundesrepublik stets Garant für eine vitale parlamentarische Demokratie waren.
Im Sinne dieser Betrachtung und mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse, kann davon ausgegangen werden, dass eine verfassungsrechtliche Verankerung eines Selbstauflösungsrechts des Deutschen Bundestages in absehbarer Zeit nicht zur Debatte steht.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Oppermann