Frage an Thomas Oppermann von Wilfried H. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Oppermann,
in Ihrer Bundestagsrede zur Debatte der 1. Lesung der neuen Begleitgesetze zum Lissabon-Vertrag [26.8.09] haben Sie gegen Schluss u. a. behauptet, Sie hätten in dieser Sommerzeit gerne auch über ein Verfassungsgesetz zur Ermöglichung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid – also der »dreistufigen Volksgesetzgebung« auf Bundesebene – debattiert; doch dazu habe es im Bundestag keine Regelungsvorschläge gegeben.
Das stimmt jedenfalls insofern nicht, als dem Bundestag sehr wohl ein Gesetzentwurf für das vorlag, was Sie vermisst haben. Seit dem 31. Oktober 2008 lag nämlich der Entwurf der Petitionsgemeinschaft »Wir sind das Volk-2009« dem Bundestag vor. Nur ließen Sie und das ganze Parlament abermals die Legislatur verstreichen, ohne diesen Entwurf auf die Tagesordnung zu setzen. Außerdem bekamen Sie diese Vorlage von der Initiative auch schon im Oktober 2008 persönlich auf den Tisch. Sie war u. a. von mir gezeichnet. – Nun stehen wir wieder vor einer Bundestagswahl, zu welcher auch Sie wieder kandidieren. Ich möchte daher Ihre Antwort auf die folgende »Gretchenfrage« in meine Wahlentscheidung einbeziehen und bitte Sie daher um Antwort auf diese Frage. Sie lautet:
Wie werden Sie sich - gewählt worden zu sein vorausgesetzt - als Volksvertreter in der nächsten Legislaturperiode verhalten, wenn der Regelungsvorschlag der Petitionsgemeinschaft »Wir sind das Volk-2009« zur Ausgestaltung des Abstimmungsrechtes des Volkes (gem. GG Art. 20 Abs. 2) auf der Agenda des Parlamentes stehen wird?
Für den Fall, dass Sie diesen Vorschlag doch nicht kennen sollten, können sie sich auf: http://www.abgeordnetenwatch.de/dr_edgar_wunder-180-25347.html . Informieren; hier zeigt ein Link den Weg. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie sich für oder gegen den entsprechenden Vorschlag entscheiden werden. Besten Dank für Ihre Antwort.
Mit besten Grüßen,
Wilfried Heidt
Sehr geehrter Herr Heidt,
dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages liegen aktuell mehrere Petitionen zum Themenkomplex „Direkte Demokratie“ vor. Sie befinden sich noch allesamt in der parlamentarischen Beratung. Das bedeutet, sie wurden Mitgliedern des Petitionsausschusses zugeleitet, diese lesen die Petitionen und geben ihre Voten ab. Diese Voten gehen von einem ablehnenden Abschluss einer Petition bis zu einer Überweisung einer Petition an die Bundesregierung, mit der Bitte um die Berücksichtigung des Vorschlags.
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits 1993, im Anschluss an die Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission, einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem ein Volksentscheid auf Bundesebene ermöglicht werden sollte. Im Jahr 2002 hatten wir zusammen mit dem damaligen Koalitionspartner erneut einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid eingebracht. Da es sich um eine Verfassungsänderung handeln würde, bedürfte es aber einer Mehrheit von zwei Dritteln in Bundestag und Bundesrat, die nicht zustande kommt, solange die CDU/CSU-Fraktion das Vorhaben ablehnt. Im Jahr 2004 haben wir deshalb nochmals versucht, die CDU/CSU-Fraktion umzustimmen, was leider nicht gelungen ist. Wir haben das Vorhaben trotzdem weiter verfolgt. Daher stand im Wahlmanifest der SPD zur Bundestagswahl 2005: „Wir brauchen mehr direkte Demokratie und damit den Volksentscheid.“ Im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU konnte 2005 leider nur vereinbart werden: „Die Einführung von Elementen der direkten Demokratie werden wir prüfen.“ Die CDU/CSU-Fraktion hält aber bis jetzt an ihrer überkommenen Auffassung fest, weshalb das Vorhaben in dieser Wahlperiode erneut zum Scheitern verurteilt war.
Den Standpunkt der SPD haben wir nochmals im Hamburger Parteiprogramm von 2007 mit den Worten bekräftigt: „Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger durch Volksbegehren und Volksentscheide. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund.“
Das Regierungsprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2009 enthält die Aussage: "Direkte Demokratie. Wir wollen Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene ermöglichen und dabei die Erfahrungen in den Ländern berücksichtigen."
Sie sehen also, dass die SPD schon lange für die direkte Demokratie auf Bundesebene kämpft und dies auch in der folgenden Legislaturperiode fortsetzen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Oppermann
Sehr geehrter Herr Dr. Weigele,
die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich mit ihrer Präambel des Grundgesetzes, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. - Europa heute heißt, dass 27 souveräne Mitgliedstaaten mit einer Gesamtbevölkerung von rund 500 Millionen Menschen gemeinsam die Ziele Frieden, Demokratie und Wohlstand verfolgen. Die Europäische Union ist im Kern ein Friedensprojekt. Sie hat durch eine mutige Erweiterungspolitik die in Europa bestehenden Gräben überwunden und so zu dauerhaftem Frieden und nie gekannter Stabilität beigetragen. Sie hat Gemeinsamkeit gestiftet und Gegensätze überwunden. Sie ist sich ihrer besonderer Verantwortung gegenüber ihren Nachbarstaaten bewusst. Das Europäische Modell mit seiner normativen Orientierung an Humanität, Demokratie und Rechtsstaat und seiner Offenheit für die kulturelle Vielfalt Europas ist ein großer Fortschritt. Die Europäische Union hat an Attraktivität nicht verloren. Aber die bestehenden Verträge stoßen längst an ihre Grenzen, denn die Anforderungen an die Europäische Union haben zugenommen. So sind die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern gewachsen, Abstimmungsprozesse sind komplizierter geworden und die Bürgerinnen und Bürger nehmen die Union oftmals nicht als ihr eigenes Projekt wahr.
Der Vertrag von Lissabon ist Voraussetzung, Grundlage und Rahmen für die Weiterentwicklung der Europäischen Union. Der Vertrag verbessert die demokratische Legitimation der Europäischen Union, die - anders als bei internationalen Organisationen üblich - auf den Entscheidungen direkt gewählter Volksvertreter beruht. Das betrifft nicht nur das Europäische Parlament, sondern auch die Beteiligung der nationalen Parlamente. Davon profitieren am Ende alle: Die Europäische Union ebenso wie die Mitgliedstaaten und deren Bürgerinnen und Bürger. Dies ist beileibe kein Selbstzweck:
Zum einen kann nur die Europäische Union nachdrücklich und europaweit für die Durchsetzung von Mindeststandards der Wirtschaft, der sozialen Sicherung und Teilhabe, beim Klimaschutz und beim schonenden Energieeinsatz sorgen. Der Euro hat durch seine Funktion als Stabilitätsanker Europas in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise Wohlstand, soziale Sicherheit und Stabilität bewahrt, und zwar weit besser als jede nationale Währung es vermocht hätte. Die „soft power“ eines zusammen wachsenden Europas als Raum des Rechts, der Freiheit und der Sicherheit hat ein enormes Integrationspotential. Der gemeinsame Binnenmarkt hat die Wirtschaftskraft und die Wettbewerbsfähigkeit Europas gefestigt. Davon profitiert Deutschland in besonderem Maße. Die gemeinsame Innen- und Justizpolitik ist Voraussetzung einer wirksamen Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität.
Zum anderen, auch das zeigt uns die aktuelle Krise deutlich, schwindet die Chance der einzelnen Nationalstaaten, auf das weltpolitische Geschehen noch Einfluss nehmen zu können. Europa hat sich im Zeitalter der Globalisierung behauptet. Selbst die großen Mitgliedsländer der Europäischen Union wären jedes für sich allenfalls Mittelgewichte in Weltpolitik und Weltwirtschaft. Nur gemeinsam bilden sie ein Schwergewicht und werden von anderen weltpolitischen Mächten auf Augenhöhe wahrgenommen.
Jürgen Habermas betont zurecht, dass nur die Europäische Union als global verhandlungsfähiges regionales Regime in der Lage ist, die prioritären globalen Probleme anzugehen: Dazu gehört eine faire Weltwirtschaftsordnung ebenso wie die globale Durchsetzung elementarer Menschenrechte, die internationale Sicherheit, der Klimaschutz und der schonende Umgang mit knappen Ressourcen.
Der nationalstaatliche Souveränitätsgedanke darf nicht gegen die Idee der Einigung Europas ausgespielt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner „Lissabon-Entscheidung“ bestätigt und auch den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes zur Verwirklichung eines vereinten Europas betont: Das Grundgesetz will die Europäische Integration, deshalb gilt in Deutschland der Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit. Das Gericht will mit seinem Urteil vom 30. Juni 2009 sicher stellen, dass das Europäische Vertragswerk in wirklich allen denkbaren Fällen nur mit ausdrücklicher Billigung der nationalen Parlamente verändert werden kann. Auf eine kurze Formel gebracht: Die Bundesregierung darf nur mit Zustimmung des Bundestages akzeptieren, dass Abstimmungsregeln geändert oder neue europäische Kompetenzen geschaffen werden. Damit betont das Gericht die Integrationsverantwortung des Deutschen Bundestages auf europäischer Ebene. Im Rahmen seiner innerstaatlichen Zuständigkeiten betrifft das auch den Bundesrat.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Oppermann