Frage an Thomas Kutschaty von Theo M. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Kutschaty,
Sie sind Justizminister von NRW und somit für die Gefängnisse in diesem Land zuständig. Aus Medienberichten habe ich entnommen, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf eine Klage eines Häftlings abgewiesen hat, der die Unterbringung auf vier Quadratmetern gerügt hat und deshalb Klage eingereicht hat (siehe http://www.ruhrbarone.de/richter-vier-quadratmeter-zum-leben/ ). Vor dem Landgericht hatte er noch Recht bekommen, vor dem Oberlandesgericht nicht mehr. Die Begründung lautete, der Häftling hätte sich nicht genug um seine Verlegung bemüht.
Mich irritieren dabei zwei Dinge:
1. Wieso lassen Sie es zu, dass Häftlinge unter diesen Bedingungen leben müssen? Haben sie nicht auch in Mindestmaß an Menschenwürde verdient?
2. Wieso hat das Land NRW gegen den Richterspruch des Landgerichts nochmal Berufung eingelegt? Abgesehen davon, dass das Urteil des Oberlandesgerichts ein Skandal ist, ist es ein noch größerer Skandal, dass das Justizministerium diese Praxis durch das eingelegte Rechtsmittel sogar noch billigt.
Mit freundlichen Grüßen,
Theo Marx
Sehr geehrter Herr Marx,
zu Ihrer ersten Frage kann ich Ihnen mitteilen, dass die Unterbringungsverhältnisse für die Gefangenen insbesondere durch bauliche Maßnahmen kontinuierlich verbessert werden. Neben den zur Zeit laufenden großen Baumaßnahmen an 7 Vollzugsstandorten sind auch für die kommenden Jahre weitere Vollzugsbaumaßnahmen beabsichtigt. Dabei sollen verstärkt Altanstalten mit geringen Haftraumflächen, überalterter Bausubstanz und unzureichender baulicher Infrastruktur durch zeitgemäße moderne Neubauten ersetzt werden. Dies nimmt naturgemäß einen gewissen Zeitraum in Anspruch.
Hinsichtlich Ihrer weiteren Frage hat das Land Nordrhein-Westfalen gegen das von Ihnen wohl angesprochene Urteil des Landgerichts Duisburg vom 6. Januar 2010 (2 O 360/08) das Rechtsmittel der Berufung zum Oberlandesgericht Düsseldorf deshalb eingelegt, weil es die Entscheidungsgründe des Landgerichts aus rechtlichen Erwägungen nicht für überzeugend hält.
Zwar entspricht es gefestigten Grundsätzen der Rechtsprechung, dass der Betroffene bei einer schweren Verletzung seiner Menschenwürdegarantie durch den Staat im Haftvollzug eine Geldentschädigung mittels eines Amtshaftungsanspruches fordern kann. Indes löst nach der Rechtsprechung eine etwaige Amtspflichtverletzung von Bediensteten des Landes nicht automatisch und zwingend solch eine Geldentschädigung aus. Sie wird vielmehr nach der vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Judikatur erst jenseits einer Erheblichkeitsschwelle geschuldet. Auch im Anwendungsbereich der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist anerkannt, dass eine - die Wiedergutmachung durch Geldersatz fordernde - unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne der Konvention erst vorliegt, wenn sie ein Mindestmaß an Schwere erreicht. Diese Beurteilung hängt u.a. von der Bedeutung der Tragweite des Eingriffs, dem Anlass und Beweggrund für die Unterbringung des Beschwerdeführers in den von ihm beanstandeten räumlichen Verhältnissen und von dem Grad des Verschuldens ab. Zu berücksichtigen ist dabei auch, wie der Gefangene subjektiv seine Situation zu der damaligen Zeit empfunden hat und wie wichtig ihm das Anliegen einer Verlegung gewesen ist. In dem von Ihnen zitierten Fall hielt das Land insoweit die Ausführungen und Bewertungen des landgerichtlichen Urteils nicht für zutreffend.
Zum anderen überzeugten die Ausführungen des Landgerichts zu dem im Rahmen des Amtshaftungsanspruches geltenden Haftungsausschluss (§ 839 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch) nicht. Danach tritt die Ersatzpflicht des Staates nicht ein, wenn es der Gefangene vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels (z.B. Antrag an die Strafvollstreckungskammer auf Einzelunterbringung) abzuwenden. Die Vorschrift trägt einem zentralen Grundsatz des Amtshaftungsrechts Rechnung, indem sie unterbindet, dass zunächst ein abwehrbarer Schaden klaglos hingenommen und dann vom Verletzten später dafür Geldersatz gefordert wird, ohne zunächst mit den rechtlich gebotenen Mitteln zu versuchen, diesem schädigenden Zustand unmittelbar abzuhelfen (kein sog. "dulde und liquidiere"). So hätte der Gefangene im gegebenen Fall etwa unmittelbar einen förmlichen Antrag an die Anstaltsleitung auf Zuweisung eines Einzelhaftraumes stellen können. Die Annahme des Landgerichts Duisburg, selbst bei einem Erfolg des Rechtsmittels des Gefangenen hätte das Land die Haftsituation nicht ändern können, wurde nicht den tatsächliche Gegebenheiten gerecht. Denn dem Land war es in der betreffenden Haftanstalt u.a. wegen der ständigen Fluktuation in der Belegung möglich, an der Haftsituation des Gefangenen etwas zu ändern. Insoweit war es gehalten, gegen die Ausführungen des Landgerichts Duisburg in die Berufung zu gehen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dem Land mit Urteil vom 25. August 2010 (I-18 U 21/10) Recht gegeben. Die Rechtsauffassung des Landes zu § 839 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch ist im Übrigen in einem gleichgelagerten Fall vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 11. März 2010 (III ZR 124/09) bestätigt worden.
Viele Grüße
Thomas Kutschaty