Frage an Thomas Kossendey von Jan G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Kossendey,
da ich auch aus der Gemeinde Edewecht komme, aber schon seit 12 Jahren in München lebe, dachte ich mir, daß Sie vielleicht der beste Ansprechpartner für meine Fragen sind:
1. wir haben nunmehr 619 Abgeordnete im Bundestag, glauben Sie, das die Anzahl zu klein ist, um fundierte Entscheidungen zu treffen?
2. ich habe sehr oft den Eindruck, daß Lobbyisten Entscheidungen im Bundestag maßgeblich beeinflussen. Würden Sie mir zustimmen, daß Deutschland die von allen EU (außer Deutschland) Staaten angenommenen Regeln gegen Bestechlichkeit annehmen sollte?
3. Deutschland hat ca. 2 Billionen Euro Schulden, jede Sek. kommen 1350€ dazu. Macht es nicht Sinn, darüber nachzudenken, wie wir diese Schulden abbauen können (auch hinsichtl. der nächsten Generationen) und nicht ständig über Neuverschuldung reden? (Bis hierhin hat die Email schon 4x60x1350€ gekostet =32.400€)
4.Ich weiß noch aus meinen Zeiten in der Gemeinde, daß sie Wehrbeauftragter der Bundesregierung sind. Denken Sie, daß es Sinn macht den Sozialdienst/Bundeswehrdienst vorzuschreiben und zwar für 1 Jahr (nach der Ausbildung, bzw, Abitur)
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen,
Mit freundlichen Grüßen,
Jan Gerdes-Röben
Sehr geehrter Herr Gerdes-Röben,
für Ihre Fragen danke ich Ihnen und auch für Ihre Verbundenheit, obwohl Sie schon seit 12 Jahren nicht mehr in Edewecht wohnen.
Eigentlich ist es im Bundestag Usus, dass Anfragen an den zuständigen Wahlkreisabgeordneten weitergeleitet werden, da dieser als Ansprechpartner für die Menschen aus seinem Wahlkreis ist. Da Sie aber gebürtig aus meinem Wahlkreis stammen, setze ich mich über die Gepflogenheiten hinweg und beantworte ich Ihre Fragen gern selbst.
1) Nein, ich denke nicht, dass es notwendig ist, die Anzahl der Bundestagsabgeordneten zu erhöhen, zumal diese nicht statisch ist. Über die Mehrheit im Bundestag entscheidet bei einer Wahl zunächst das Verhältnis der von den Parteien gewonnenen Zweitstimmen. Die Hälfte der insgesamt 598 Abgeordneten sind Politiker, die in ihrem Wahlkreis die meisten Erststimmen bekommen haben. Die andere Hälfte zieht über die Landeslisten ein. Die Zahl der Direktmandate kann die eigentlich nach dem Zweitstimmenanteil festgelegte Sitzverteilung im Plenum stark verändern. Deshalb haben wir momentan 620 Bundestagsabgeordnete. Nach dem derzeit diskutierten Kompromiss zur Änderung des Bundeswahlgesetzes wird die Zahl der Abgeordneten ansteigen.
Generell bin ich nicht der Meinung, dass der Bundestag bei einer größeren Anzahl an Mitgliedern fundierte Entscheidungen treffen würde. Um fundierte Entscheidungen zu treffen kommt es nicht auf die Zahl der Abstimmenden an, sondern auf deren Kompetenz.
2) Politik funktioniert nicht, ohne „Lobbyisten“. Mal abgesehen von der negativen Assoziation, die dieses Wort mit sich bringt, sind alle Bürgerinnen und Bürger – angefangen bei den Jugendlichen, über die Familien bis hin zu den Rentnern (die als eine der einflussreichsten Gruppen gelten) – Lobbyisten, da sie ihre Meinung und Haltung an die Abgeordneten herantragen und möchten, dass ihr Vertreter in Berlin in ihrem Sinne abstimmt.
Ihre Frage war aber, ob Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) unterzeichnen sollte. Nun, Deutschland hat die Konvention am 9. Dezember 2003 unterzeichnet, bislang aber noch nicht ratifiziert. Im Deutschen Bundestag und auch in CDU-Fraktion wird argumentiert, mit der Umsetzung des UN-Abkommens die Abgeordneten mit weisungsgebundenen Beamten gleichgesetzt werden, obwohl sich ihre Tätigkeiten stark unterscheiden. Das hieße, dass künftig die Staatsanwaltschaften entscheiden, was als Parlamentarische Gepflogenheit eingestuft wird und was als Korruption zu werten ist. Damit wäre die im Grundgesetz festgelegte freie Mandatsausübung der Abgeordneten in Gefahr. Es liegt also nicht daran, dass deutsche Politiker versuchen geheime Machenschaften zu vertuschen, sondern sie fürchten einfach um die Rechtssicherheit des freien Mandats. Derzeit wird überfraktionell darüber diskutiert, wie Deutschland die UN-Konvention doch umsetzen könnte, ohne das freie Mandat zu gefährden. Wenn dies gewährleistet ist, befürworte ich die Umsetzung der Konvention.
Ohnehin veröffentliche ich bereits seit vielen Jahren meine Einkommensverhältnisse auf meiner Homepage unter dem Stickpunkt „Gläserner Abgeordnete“.
3) Ich stimme Ihnen zu. Und das ist auch genau die Haltung der Bundesregierung. Um die Neuverschuldung zu stoppen und die bestehenden Schulden abzubauen haben wir in der letzten Legislaturperiode die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Sie soll die Einnahmen und Ausgaben von Bund und Ländern wieder ins Gleichgewicht bringen. Der Bund muss sein strukturelles Defizit bis 2016 zurückführen und die Länder dürfen ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen. Die Schuldenbremse ist nachhaltig und ist deshalb eingeführt worden, um den zukünftigen Generationen zu schonen.
Für das Jahr 2013 wird der Bund zwar 18 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen, der Kernhaushalt des Bundes ist dabei ausgeglichen.
Die Neuverschuldung von 18 Milliarden Euro für 2013 hat zwei Gründe:
Erstens: 8 Milliarden Euro fließen in den ESM und damit erfüllen wir europäische Forderungen.
Zweitens: 10 Milliarden Euro stellen wir den Ländern zur Verfügung, die im Bundesrat bei Beschlüssen oft zusätzliche Gelder vom Bund verlangen. Zusammen ergeben sich daraus die 18 Milliarden, die der Bund 2013 aufnehmen muss. Die christlich-liberale Koalition ist also auf einem sehr guten Weg die bestehenden Schulden bald abbauen zu können.
Zu Ihrer letzen Frage: Ich bin nicht der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags. Das ist Hellmut Königshaus. Ich bin Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung und damit der Vertreter des Ministers in politischen Angelegenheiten.
Ihr Vorschlag einen Pflichtdienst von einem Jahr einzuführen wirft verfassungsrechtliche Probleme auf. Artikel 12 unseres Grundgesetzes verbietet die Einführung eines Pflichtdienstes, ebenso die Europäische Menschenrechtscharta (Artikel 5) und Artikel 4 der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen. Zudem haben wir bereits heute in einigen Regionen mehr Freiwillige, die sich um einen Platz im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes bewerben, als es dafür vorgesehene Stellen gibt.
Lieber Herr Gerdes-Röben, ich hoffe, ich konnte alle Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantworten.
Beste Grüße aus der Heimat,
Thomas Kossendey